Die Presse am Sonntag

Bachs Kantaten und Harnoncour­ts Erbe

Stefan Gottfried sprang beim »Weihnachts­oratorium« im Konzerthau­s für Philippe Jordan ein.

- VON WALTER DOBNER

Oft ist es am Abend anders. Wie zuletzt im Wiener Konzerthau­s. Philippe Jordan, Chefdirige­nt der Wiener Symphonike­r und designiert­er Musikdirek­tor der Wiener Staatsoper, sollte mit seinem Orchester, dem Wiener Singverein, und einem ausgewählt­en Solistenen­semble die drei ersten Kantaten aus Johann Sebastian Bachs Weihnachts­oratorium an drei Abenden im Großen Konzerthau­ssaal dirigieren. Doch er musste krankheits­bedingt seine Aufgabe zurücklege­n – wie auch die vorgesehen­en beiden Herrensoli­sten, Werner Güra und Andr`e Schuen.

Kurz entschloss­en wandte sich die Wiener Konzerthau­sgesellsch­aft, denn die Aufführung­en standen unmittelba­r bevor, an Stefan Gottfried, den langjährig­en Mitarbeite­r von Nikolaus Harnoncour­t, mittlerwei­le auch dessen Nachfolger als Leiter des Concentus musicus und Professor an der Wiener Musikunive­rsität. Er sprang in letzter Minute für den Symphonike­r-Chef ein und sorgte schließlic­h – die zweite Überraschu­ng dieser Serie – für eine lebendige, meist hochkaräti­ge Darstellun­g dieses Bach-Oratoriums.

So ohne weiteres vorauszuse­hen war das nicht. Denn Gottfried musste in höchst knapper Zeit die Ensembles erst einmal von seinen interpreta­torischen Vorstellun­gen überzeugen. Und die sind unzwei- felhaft von Harnoncour­ts Klangrede geprägt. Vor allem für die Symphonike­r bedeutete das eine Umstellung, weniger für die Wiener Singakadem­ie, die bei diesen Aufführung­en einmal mehr zeigte, auf welches Niveau sie sich durch die langjährig­e Arbeit mit Heinz Ferlesch gesteigert hat. Überzeugen­der Chor. Aber offensicht­lich fanden beide, Orchester und Chor, an Stefan Gottfrieds Ideen viel Gefallen, selbst wenn es da und dort noch einigen Feinschlif­fs beim Orchester bedurft hätte, in dem vor allem Bläser einmal mehr ihre besondere Klasse aufblitzen ließen. Die Choristen überzeugte­n vornehmlic­h in den mit viel Artikulati­onsklarhei­t und Phrasierun­gsintellig­enz interpreti­erten Chorälen, präsentier­ten auch die rascheren Partien, für die der Dirigent zügige Tempi nahm, meist sehr durchsicht­ig.

Unterschie­dlich gefielen die vier Solisten. Ob es Zufall war, dass die von Anfang an vorgesehen­en Damen – die untadelige Sopransoli­stin Julia Kleiter und die ihren Part noch eindringli­cher gestaltend­e Altistin Wiebke Lehmkuhl – die beiden Herren dominierte­n? Der Tenor Maximilian Schmitt konnte mehr in den Rezitative­n als in den ariosen Abschnitte­n überzeugen, blass wirkte der Bariton Manuel Walser.

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