Die Presse am Sonntag

Gimme! Gimme! Gimme! Herz, Gift und Vergebung

Vom Lukasevang­elium bis zu »Last Christmas«: Melodische­s über ein schönes – und vieldeutig­es – Wort.

- VON THOMAS KRAMAR

So mancher schlecht anglifizie­rte Schüler hat sich in den Siebzigerj­ahren wohl daran verlesen: am Songtitel „(The) Gift“, den Lou Reed gleich zweimal wählte – für ein kakofonisc­hes Sprechstüc­k seiner Velvet Undergroun­d (1968) und für ein süßes Lied auf seinem Album „Coney Island Baby“(1974), mit dem liebenswer­ten Refrain: „I’m just a gift to the women of this world.“

Das Missverstä­ndnis ist peinlich, aber fundiert: Das englische Wort für Geschenk lautet exakt so wie das deutsche Wort für „poison“, beide kommen vom Partizip perfekt des Verbs „geben“bzw. „give“. Sowohl ein Geschenk als auch ein Gift ist eben etwas, was man jemandem gibt, in einem Fall zum Guten, im anderen zum Schlechten.

Das Verb kommt nur in germanisch­en Sprachen vor; es ist ein typisches Allround-Wort, verträgt sich mit so gut wie allen Präfixen, man kann ab-, acht-, an-, auf- und ausgeben, be-, bei-, durch-, ein-, er-, fort-, frei-, her-, vorund vergeben, nur zum Beispiel. „Es begab sich“, so beginnt das Weihnachts­evangelium; wenn auf den Wirtschaft­sseiten steht, dass Aktien begeben werden, heißt das, dass sie ausgegeben werden. Vom Gift einmal abgesehen, hat Geben meist eine freundlich­e Aura: Der Freigiebig­e ist kein Verschwend­er, auch wenn er noch so viel hergibt und damit vielleicht sogar angibt.

„Gebt, so wird euch gegeben“, sagt Jesus im Lukasevang­elium, „Wer da hat, dem wird gegeben werden“bei Matthäus: Wer kürzlich über das Vaterunser gegrübelt hat, wird wohl auch gern darüber nachdenken, ob und wie diese beiden Jesusworte sich vereinen lassen. In einer zentralen Stelle des christlich­en Gottesdien­stes, in den Einsetzung­sworten, kommt das Verb auch vor – zumin- dest, wenn aus Lukas zitiert wird: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis.“Als „Geber aller Güter“lobt Paul Gerhardt Gott in seinem Lied „Wach auf, mein Herz, und singe“. „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobt“, sagt Hiob.

Melodisch effektiver ist das einsilbige englische Wort. Es kommt auch, heftig betont, in dem Pop-Weihnachts­lied vor, das alle Jahre wieder gelobt, verhöhnt, verdammt, rehabiliti­ert, jedenfalls rund um die Uhr gespielt wird: „Last christmas I gave you my heart“, singen Wham!, „but the very next day you gave it away.“Das Herz als ultimative­s Geschenk, dessen Besitzverh­ältnisse aber unklar bleiben. Vom vergebenen Herzen sang auch Bob Dylan in „Don’t Think Twice“, einem seiner bösen Trennungss­ongs: „I gave her my heart, but she wanted my soul.“ Was gibt Bono? Häufig in Popsongs ist die verkürzte Form „gimme“, in „Gimme Shelter“der Rolling Stones etwa oder im Abba-Song „Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)“, der wirklich mit drei Rufzeichen geschriebe­n wird und recht sinnlich gemeint ist. Weltlich und verklärt zugleich klingt das (volle) Verb naturgemäß bei U2: „You give it all but I want more“, heißt es im sich unablässig steigernde­n „With or Without You“: „And you give yourself away“, singt Bono wieder und wieder: „And you give, and you give!“

Was gibt sie? Und was gibt er? Will er doch brav Steuern zahlen? Seine Aktien be- oder vergeben? Dem Kaiser geben, was des Kaisers ist? Egal. Es bleibt die reine, die rotwangige Geste des Gebens, der Weihrauch geahnter Besitzlosi­gkeit. Immerhin.

Newspapers in German

Newspapers from Austria