Gimme! Gimme! Gimme! Herz, Gift und Vergebung
Vom Lukasevangelium bis zu »Last Christmas«: Melodisches über ein schönes – und vieldeutiges – Wort.
So mancher schlecht anglifizierte Schüler hat sich in den Siebzigerjahren wohl daran verlesen: am Songtitel „(The) Gift“, den Lou Reed gleich zweimal wählte – für ein kakofonisches Sprechstück seiner Velvet Underground (1968) und für ein süßes Lied auf seinem Album „Coney Island Baby“(1974), mit dem liebenswerten Refrain: „I’m just a gift to the women of this world.“
Das Missverständnis ist peinlich, aber fundiert: Das englische Wort für Geschenk lautet exakt so wie das deutsche Wort für „poison“, beide kommen vom Partizip perfekt des Verbs „geben“bzw. „give“. Sowohl ein Geschenk als auch ein Gift ist eben etwas, was man jemandem gibt, in einem Fall zum Guten, im anderen zum Schlechten.
Das Verb kommt nur in germanischen Sprachen vor; es ist ein typisches Allround-Wort, verträgt sich mit so gut wie allen Präfixen, man kann ab-, acht-, an-, auf- und ausgeben, be-, bei-, durch-, ein-, er-, fort-, frei-, her-, vorund vergeben, nur zum Beispiel. „Es begab sich“, so beginnt das Weihnachtsevangelium; wenn auf den Wirtschaftsseiten steht, dass Aktien begeben werden, heißt das, dass sie ausgegeben werden. Vom Gift einmal abgesehen, hat Geben meist eine freundliche Aura: Der Freigiebige ist kein Verschwender, auch wenn er noch so viel hergibt und damit vielleicht sogar angibt.
„Gebt, so wird euch gegeben“, sagt Jesus im Lukasevangelium, „Wer da hat, dem wird gegeben werden“bei Matthäus: Wer kürzlich über das Vaterunser gegrübelt hat, wird wohl auch gern darüber nachdenken, ob und wie diese beiden Jesusworte sich vereinen lassen. In einer zentralen Stelle des christlichen Gottesdienstes, in den Einsetzungsworten, kommt das Verb auch vor – zumin- dest, wenn aus Lukas zitiert wird: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis.“Als „Geber aller Güter“lobt Paul Gerhardt Gott in seinem Lied „Wach auf, mein Herz, und singe“. „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen; der Name des Herrn sei gelobt“, sagt Hiob.
Melodisch effektiver ist das einsilbige englische Wort. Es kommt auch, heftig betont, in dem Pop-Weihnachtslied vor, das alle Jahre wieder gelobt, verhöhnt, verdammt, rehabilitiert, jedenfalls rund um die Uhr gespielt wird: „Last christmas I gave you my heart“, singen Wham!, „but the very next day you gave it away.“Das Herz als ultimatives Geschenk, dessen Besitzverhältnisse aber unklar bleiben. Vom vergebenen Herzen sang auch Bob Dylan in „Don’t Think Twice“, einem seiner bösen Trennungssongs: „I gave her my heart, but she wanted my soul.“ Was gibt Bono? Häufig in Popsongs ist die verkürzte Form „gimme“, in „Gimme Shelter“der Rolling Stones etwa oder im Abba-Song „Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)“, der wirklich mit drei Rufzeichen geschrieben wird und recht sinnlich gemeint ist. Weltlich und verklärt zugleich klingt das (volle) Verb naturgemäß bei U2: „You give it all but I want more“, heißt es im sich unablässig steigernden „With or Without You“: „And you give yourself away“, singt Bono wieder und wieder: „And you give, and you give!“
Was gibt sie? Und was gibt er? Will er doch brav Steuern zahlen? Seine Aktien be- oder vergeben? Dem Kaiser geben, was des Kaisers ist? Egal. Es bleibt die reine, die rotwangige Geste des Gebens, der Weihrauch geahnter Besitzlosigkeit. Immerhin.