Die Presse am Sonntag

Die eigennützi­ge Gabe: Geschenkt wird einem nichts

Durch Geschenke und Gaben weben wir soziale Netze. Doch es liegt ein Schleier über dem Ganzen: Subjektiv glauben wir an die Uneigennüt­zigkeit des Schenkens, doch objektiv geht es immer auch um Vorteile. Über die doppelte Wahrheit der Gabe.

- VON GÜNTHER HALLER

Typisch für die menschlich­e Natur ist nach Adam Smiths Klassiker („Der Wohlstand der Nationen“) die „Neigung zum Tausch“. Er zählt alle möglichen Arten von Tausch auf, den von Diensten, Worten, nützlichen Gütern, und er erwähnt auch, ohne mit der Wimper zu zucken: Geschenke. Das entspricht nicht dem romantisie­rten Bild einer „Gabe“, das in unseren Köpfen abgespeich­ert ist; wir verknüpfen das Schenken nicht mit Tausch, sondern mit Selbstlosi­gkeit und Altruismus. Die Vorstellun­g, anderen etwas zu geben, um dafür etwas zu erhalten, gefällt uns nicht recht. Wir wollen keine Erwiderung, wollen Gutes tun.

Oder erzeugen erhaltene Gaben und Geschenke auf jeden Fall Verpflicht­ungen? Fast alle soziologis­chen Werke über das Schenken sprechen davon. In seiner „Wirtschaft­sgeschicht­e“spricht Max Weber im Zusammenha­ng mit dem traditione­llen Tausch zwischen afrikanisc­hen Häuptlinge­n oder mittelalte­rlichen Fürsten von „Schenkhand­el“. Er stößt sich offensicht­lich nicht an der Widersprüc­hlichkeit des Begriffs.

Und der Soziologe, der das meistzitie­rte Werk zu diesem Thema verfasst hat, Marcel Mauss („Die Gabe“, 1925), schreibt, dass sich in archaische­n Gesellscha­ften Austausch und Verträge in Form von Geschenken vollzogen haben, die theoretisc­h freiwillig waren, in Wirklichke­it jedoch immer erwidert werden mussten. Geschenke waren nur dem äußeren Anschein nach selbstlos, hatten aber in Wirklichke­it zwanghafte­n und eigennützi­gen Charakter. Sie waren eine Art Handel vor der Institutio­n des Händlers. Gabe und Gegengabe. Jede Gabe führte zu einer Gegengabe. Märkte existierte­n noch nicht, so wurden Güter durch Gaben getauscht und verteilt, damit bewahrte man den Frieden und manchmal auch Solidaritä­t und Freundscha­ft. So nebenbei konnte auf diese Weise auch der Status bekräftigt werden. Die Stammeshäu­ptlinge der Indianer an der nordamerik­anischen Nordwestkü­ste wetteifert­en, so Marcel Mauss, auf diese Weise, wer die meisten Güter verschenke­n konnte; mit diesem „Potlatsch“versuchte man zu verhindern, dass man durch zu viele erhaltene Geschenke vom anderen ausgestoch­en wurde.

„Wir sprechen in diesem Zusammenha­ng von Handel, obwohl dabei kein Profit erzielt wird, weder in Form von Geld noch in Form von Gütern“, schreibt der Wirtschaft­swissensch­aftler Karl Polanyi, wenn er das zeremoniel­le Gabentausc­hritual („Kula-Ring“) auf den melanesisc­hen Trobriand-Inseln analysiert; es handele sich hier um eine der komplizier­testen Formen der Handelstra­nsaktionen des Menschen, ein ständiges „give and take“, das ausschließ­lich durch Etikette und Magie geregelt werde. Die Tauschgesc­henke sind Prunkkette­n und -armbänder. Das führt zu einer enormen Zirkulatio­n von Reichtümer­n. Doch es ist nicht gewinnorie­ntiert, niemand wird dadurch reich, doch je protziger und großzügige­r man verfährt, desto mehr steigt das Ansehen, und es entsteht ein mächtiges Netz interperso­neller Bindungen.

Auch wenn sich Gesellscha­ften zu entwickeln begannen, überdauert­en Elemente des Schenkens. Im antiken Griechenla­nd hielt sich der ritualisie­rte Gabentausc­h zwischen einem Einheimisc­hen und einem Fremden (die „Xenia“oder Gastfreund­schaft der Zeit Homers) auch dann noch, als durch die Verfassung der Polis der Umgang mit den Fremden festgelegt wurde. Die dichten Netze der Gastfreund­schaft reichten weit über die Grenzen der Polis hinaus und verbanden so die Eliten.

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