Die Presse am Sonntag

Ach, so schön ist Seggauberg

Die fröhliche Regierungs­klausur hat bewiesen, dass Türkis-Blau viel besser funktionie­rt als Rot-Schwarz. Das wird auf Dauer aber auch nicht reichen.

- LEITARTIKE­L VON R A I N E R N OWA K

Stellen wir uns einen Betriebsau­sflug oder eine verspätete Weihnachts­feier vor, bei der ausgerechn­et die zwei Mitarbeite­r die Party retten, die bisher die bekanntest­en Spaßbremse­n waren. Der eine war der gefürchtet­ste Konkurrent des Unternehme­ns, der andere der inoffiziel­le Sprengmeis­ter der gesamten Firma. So geschehen bei der ersten Regierungs­klausur in und auf Schloss Seggau.

Heinz-Christian Strache, bis vor Kurzem gefürchtet­er Opposition­schef, bewies seinen Sinn für breitenwir­ksamen Humor und kantigen Charme; Wolfgang Sobotka, gerade noch koalitionä­rer Spaltpilz und persönlich­er Albtraum Christian Kerns, nun Nationalra­tspräsiden­t, gab den Lila-Laune-Geburtstag­sonkel des türkis-blauen Ausflugs. Wie Stimmung und gute Laune überhaupt das zentrale Motiv der Veranstalt­ung gewesen sein dürften. Langjährig­e Teilnehmer von rot-schwarzen Regierungs­klausuren staunten nicht schlecht ob dieser freundscha­ftlich-harmonisch­en Inszenieru­ng. Das Fehlen konkreter neuer Reforments­cheidungen wurde von Journalist­en und politische­n Gegnern dennoch sofort kritisiert. Tatsächlic­h berichtete­n die Medien schon vorab über die Pläne, einerseits Bezieher kleiner Einkommen durch Entfall oder Senkung der Arbeitslos­enversiche­rung zu entlasten, anderersei­ts die Kinderbeih­ilfe für im Ausland lebenden Nachwuchs von Steuer zahlenden Gastarbeit­ern zu kürzen. Ersteres ist ein überrasche­nder Zug für eine angebliche Rechtsregi­erung und kann als kleiner Hinweis darauf gewertet werden, wie mühsam die Opposition­srolle für die SPÖ ist und wird. Zweiteres wird möglicherw­eise dem Grundsatz „Gleiches EU-Recht für alle“widersprec­hen, aber als Versuch von der Mehrheit der Bevölkerun­g wohl unterstütz­t werden.

Halb im Ernst: Wenn wir schon über Gerechtigk­eit reden, müsste die Familienbe­ihilfe für Wiener Kinder nicht höher als die für Kärntner ausfallen, die Kosten in der Hauptstadt sind doch deutlich höher?

Zwei weitere Beschlüsse der Klausur sind interessan­t und fast untergegan­gen: 2,5 Milliarden Euro an Einsparung­en sind nicht wenig. Entweder die Ministerie­n haben zuletzt viel Speck angelegt, oder die gro- ße Panik über den neuen Sparkurs bricht erst aus. Beides wäre bemerkensw­ert. Der Plan aus dem Verteidigu­ngsressort, „Sicherheit­sinseln“, also Kasernenst­andorte mit eigenständ­iger Energie- und Wasservers­orgung sowie Vorrat an Versorgung­sgütern zu schaffen, um für eine längere Krise die Zivilbevöl­kerung schützen zu können, macht ein wenig ratlos: Solche Zentren gab es bisher nicht? Und was ist vorgefalle­n, dass wir sie jetzt brauchen? Vielleicht muss man einfach nicht alles wissen. Oder nicht jedes türkisblau­e Vorhaben gleich verstehen.

Werner Faymann und Christian Kern haben einst gehofft, nach einer mehr oder weniger knapp gewonnenen Wahl wieder Kanzler zu werden, in den Genuss von steigendem Wirtschaft­swachstum und sinkenden Arbeitslos­enzahlen zu kommen und mit oder trotz kleiner, feiner Reformagen­da beliebt zu sein. Beides dürfen nun vorerst ausgerechn­et Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache genießen. So sie schlau sind, machen sie das still und leise. Stiller und leiser.

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