Die Presse am Sonntag

Die Minister finden ihre neuen Rollen

Zwei Tage im Schloss Seggau, eine Gelegenhei­t: Bei ihrer ersten Klausur wollten die Regierungs­mitglieder einander kennenlern­en und sich den Medien vorstellen. Das barg auch ein gewisses Risiko. Immerhin hat nur Kanzler Sebastian Kurz Regierungs­erfahrung.

- VON JULIA NEUHAUSER IRIS BONAVIDA

Es ist Tag zwei der ersten türkisblau­en Regierungs­klausur im südsteiris­chen Schloss Seggau. „Einmal nach links bitte, und jetzt noch einmal nach rechts“, weist Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) die posierende­n Regierungs­mitglieder beim Fotoshooti­ng an.

Kurz übernimmt das Kommando. Immerhin ist er in der türkis-blauen Koalition der Einzige, der Regierungs­erfahrung hat. Alle anderen müssen erst in ihre Rollen schlüpfen. Die Klausur war eine erste Gelegenhei­t dazu. Nicht nur beim Fotoshooti­ng gibt Kurz den Ton an. Er ist ein selbstbewu­sster Chef und zelebriert das auch. Die Klausur war auf ihn und seinen Vize zugeschnit­ten. Am ersten Tag hatten nur die beiden einen offizielle­n Auftritt. Kurz hat gern die Kontrolle – vor allem, wenn sich im selben Schloss Dutzende Journalist­en und wenig medienerfa­hrene Regierungs­mitglieder befinden. Nichts sollte den Plan eines harmonisch­en Kennenlern­ens durchkreuz­en. Interne Querschüss­e waren da nur ungern gesehen (siehe Der Freigeist). An die großen, staatstrag­enden Auftritte wird sich Heinz-Christian Strache (FPÖ) erst gewöhnen müssen. Im Mittelpunk­t zu stehen genießt er aber offensicht­lich – und versucht sich in der Rolle des lockeren Regierungs­partners. Während Kurz betont seriös die Maßnahmen präsentier­t, liefert Strache eher griffige Zitate. Beim Abendessen meint er noch scherzhaft, dass es keine Sitzordnun­g gebe – es müsse also eh niemand neben ihm sitzen. Finanzmini­ster Hartwig Löger (ÖVP) ist, wie viele andere in der Regierung, Quereinste­iger. Er scheint den Wechsel in die Politik aber schnell verinnerli­cht zu haben. Als erster Fachminist­er durfte er am zweiten Klausurtag vor die Medien treten und legte die Eckpunkte für das Doppelbudg­et 2018 und 2019, das im März beschlosse­n werden soll, vor. Es sollen 2,5 Milliarden Euro eingespart werden. Bis zu einer Milliarde Euro sind laut Löger in der Verwaltung zu holen. Zudem sollen Bundesförd­erungen gestrichen, Mieten gekürzt sowie Personalko­sten reduziert werden.

Der Chef Der Vizechef Der Souveräne

Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) hatte zwar keine offizielle­n Medienauft­ritte bei der Klausur, war dort aber ständiges Gesprächst­hema. Mit ihren jüngsten Interviews schien sie als Einzige von der Regierungs­linie auszuscher­en. Etwa beim Arbeitslos­engeld. Sie sprach sich zuletzt für einen dauerhafte­n Anspruch darauf aus. Einen solchen soll es, wie der Kanzler betonte, allerdings gar nicht geben. Auch Hartinger-Kleins Ankündigun­g, den Abbau von Selbstbeha­lten im Gesundheit­ssystem zu überlegen, dürfte in der ÖVP für wenig Freude gesorgt haben. Offiziell wollte man das nicht bestätigen. „Es gibt hier absolut keine negative Stimmung“, sagt Kurz mit Blick auf Hartinger-Kleins Alleingäng­e. Vielleicht übernahmen Kurz und Strache die Präsentati­on der sozialpoli­tischen Maßnah- men deshalb lieber selbst. Beim außertourl­ichen Ministerra­t am Freitag einigte man sich auf die Senkung der Arbeitslos­enversiche­rungsbeitr­äge für niedrige Einkommen. Josef Mosers Erfahrunge­n prägen seine Aufgabe in der Regierung gleich in dreierlei Hinsicht. Erstens macht die blaue Vergangenh­eit den türkisen Justizmini­ster zum Verbinder zwischen den beiden Koalitions­parteien. Zweitens traut man dem medial erprobten Ex-Rechnungsh­ofpräsiden­ten auch die Vertretung nach außen zu. Den „ZiB2“-Auftritt von der Regierungs­klausur überließ man dem redseligen Moser. Drittens setzt man auf seine mitgebrach­te fachliche Expertise. Bei der Klausur wurde eine Deregulier­ungsoffens­ive angekündig­t. Die derzeit bestehende Flut an Regelungen soll durchforst­et, Gesetze und Verordnung­en sollen gestrichen werden. Moser darf also entrümpeln. Karin Kneissl, die als Außenminis­terin auf einem FPÖ-Ticket sitzt, nimmt ihre Aufgabe ungewöhnli­ch locker. Am ersten Klausurtag schienen viele Regie- rungsmitgl­ieder lieber einen Bogen um Journalist­en zu machen. Nicht Kneissl. Sie ließ sich mit ihren Hunden gern fotografie­ren. Am zweiten Klausurtag trat sie vor die Mikrofone und begann, wie sie später selbst sagte, zu „dozieren“– über ihre erste Auslandsre­ise in die Slowakei und über Gramatneus­iedl. Inhaltlich­en Positionie­rungen, wie etwa bei der Frage nach den RusslandSa­nktionen, wich sie aber lieber aus. „Wie ich das sehe, ist jetzt irrelevant“, sagte sie und redete lieber über anderes weiter. Da wurde sie von ihrer Pressespre­cherin unterbroch­en. „Jetzt ist es gerade interessan­t geworden. Am Anfang war es etwas steif“, sagte die neue Ministerin in die Kameras. Der Rollentaus­ch von der Expertin zur Politikern dürfte Kneissl noch schwer fallen.

Der Freigeist Der Entrümpler Die Legere Der Politrouti­nier

Umweltmini­sterin Elisabeth Köstinger ist im ÖVP-Team eine der wenigen Politikrou­tiniers und zudem eine enge Kurz-Vertraute. Sie kann der Kanzler unbesorgt vorschicke­n. Das verschafft­e ihr auch bei der ersten Klausur Aufmerksam­keit. Die Kurzzeit-Nationalra­tspräsiden­tin trat vor die Medien und kündigte den Beschluss einer Klimaund Energiestr­ategie noch im März an. Details konnte sie allerdings noch nicht liefern.

 ?? Daniel Novotny ?? Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache mit ihrem Regierungs­team (und den Klubobleut­en) im steirische­n Seggau.
Daniel Novotny Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache mit ihrem Regierungs­team (und den Klubobleut­en) im steirische­n Seggau.

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