Der freundliche Mullah und das Regime
Der iranische Präsident, Hassan Rohani, sagte seinen Anhängern weitreichende Reformen zu, doch er blieb viele seiner Versprechen schuldig. Mit einer raschen Offensive könnte der gewiefte Taktiker aus den Protesten politisches Kapital schlagen.
Tod für Rohani“, schallte es durch Irans Straßen, anfangs sehr laut und deutlich in der Hardliner-Hochburg Mashad, später im Rest des Landes – jedoch meist übertönt von Rufen nach „Tod für Khamenei“und „Tod dem Diktator“. Acht Tage nach Beginn der Unruhen, die wie ein Flächenbrand alle 31 Provinzen des Landes erfassten, erklärten Irans Revolutionsgarden den Aufruhr jetzt offiziell für beendet und schickten am Freitag erneut Heerscharen regimetreuer Jubelperser aus. Von den Demonstranten dagegen wurden mehr als 1000 verhaftet, die meisten sind jünger als 25 Jahre. Mindestens 22 Menschen kamen ums Leben. Und momentan ist eine fragile Ruhe eingekehrt, auch wenn die Ursachen für die größte Eruption des iranischen Volkszorns seit der Grünen Bewegung 2009 in keiner Weise behoben sind.
Dabei richtet sich die Wut der jungen Leute gegen das gesamte religiöse und politische Establishment: die Hardliner um den Obersten Revolutionsführer, Ali Khamenei, die jede Liberalisierung der Gesellschaft blockieren, den Staatshaushalt für ihre religiösen und revolutionären Institutionen ausplündern sowie Kritiker reihenweise hinter Gitter bringen. Die Moderateren unter Präsident Hassan Rohani wiederum konnten 2015 zwar mit dem Atomvertrag die Isolation der Islamischen Republik nach außen beenden, nach innen aber geht nichts voran, lassen bei Wirtschaft und Gesellschaft Aufschwung und kulturelle Öffnung weiter auf sich warten. Haft für Geschäftsleute. Denn das erträumte Wirtschaftswunder nach der Atom-Unterschrift in Wien ist bisher ausgeblieben. Viele Investoren unterzeichnen Absichtserklärungen, aber keine festen Verträge. Die US-Regierung unter Obama-Nachfolger Donald Trump steht Teheran offen feindselig gegenüber und plant neue Sanktionen. Auch europäische Firmen zögern, weil mit Irans bizarrer Bürokratie, der allgegenwärtigen Korruption und dem verrotteten Bankensystem nur schwer erfolgreiche Geschäfte zu machen sind. Zudem sind es die hauseigenen Konzerne der Revolutionären Garden gewohnt, alle milliardenschweren Staatsaufträge ohne Ausschreibung und ohne Konkurrenz zugeschustert zu bekommen. Dieses Monopol verteidigen sie mit Zähnen und Klauen gegen die neue internationale Konkurrenz.
Eine ihrer Strategien ist, einreisende Doppelstaatsbürger mit iranischem Pass zu verhaften, um ausländische Firmen abzuschrecken. Rund dreißig Geschäftsleute sitzen derzeit in Revolutionsgefängnissen, zwei Drittel von ihnen aus Europa, unter anderem aus Schweden, den Niederlanden und Großbritannien. Fast alle werden beschuldigt, ausländische Spione zu sein, und warten auf ihre Willkürprozesse.
„Wenn man eine bessere Wirtschaft will, sollte man nicht Gruppen aus dem Sicherheitsapparat erlauben, sich in der Wirtschaft breitzumachen“, prangerte Rohani die Missstände im Wahlkampf 2017 offen an, ohne das Kartell bisher wirklich knacken zu können. So speist sich das Wirtschaftswachstum der vergangenen beiden Jahre vor allem aus dem gestiegenen Ölexport, der jedoch kaum neue Arbeitsplätze schafft. Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit bei 12,7 Prozent, bei Personen unter 25 Jahren sogar oft über 40 Prozent.
Auch bei den sozialen Freiheiten weckte der im Mai 2017 mit fulminanter Mehrheit wiedergewählte Präsident bei seinen Landsleuten große Hoffnungen. Schon zur ersten Amtszeit 2013 versprach er ihnen eine Grundrechte-Charta, die die Willkürmacht der islamischen Herrschaft begrenzen sollte. Im Gegenzug machten die Hardliner in der Justiz mobil. Die Zahl der Hinrichtungen kletterte auf Rekordniveau, politische Aktivisten wurden reihenweise zu drakonischen Haftstrafen verurteilt. „Ich habe keine meiner Versprechungen vergessen“, umwarb Rohani vier Jahre später erneut sein Pu- blikum in den Wahlkampfarenen. Seit einigen Monaten ist die GrundrechteCharta nun veröffentlicht. Sie besitzt jedoch keinerlei Gesetzeskraft, niemand kann sich vor Gericht auf sie berufen – kaum mehr als ein Stück Papier, beschrieben mit hehren Prinzipien und frommen Wünschen. Kein Wunder, dass sich viele von Rohanis jungen Wähler auch hier vom 69-Jährigen hinters Licht geführt fühlen. Kämpfer gegen den Schah. Geboren wurde Rohani 1948 im Wüstenstädtchen Sorkheh östlich von Teheran. Er entstammt einer Familie von Basarhändlern und Geistlichen. Schon als 13-Jähriger ging er ins Theologenseminar nach Qom und machte sich einen Namen als Gegner von Schah Reza Pahlevi. „Wir Studenten waren bereit zu sterben, ins Gefängnis zu gehen oder gefoltert zu werden“, schrieb der Vater von vier Kindern später rückblickend in seinen sechsbändigen Memoiren, die unter dem Titel „Das war mein Schicksal“publiziert wurden.
Nach Wehrdienst und Jusexamen in Teheran 1972 promovierte er in Glasgow an der polytechnischen Hochschule, der späteren CaledonianUniversität. Mit der Islamischen Revolution von Ayatollah Khomeini, den er in dessen Exil in Paris kennenlernte, kehrte Rohani in seine Heimat zurück. Von 1980 bis 2000 gehörte er dem iranischen Parlament an, unter anderen als stellvertretender Sprecher. Von 1989 bis 2005 war er Generalsekretär des Nationalen Sicherheitsrates.
2003 ernannte ihn Präsident Mohammed Khatami zum Chefunterhändler mit der internationalen Atomenergiebehörde in Wien (IAEA). Unter Rohanis Regie erklärte sich der Iran bereit, die geheime Urananreicherung zu stoppen, was 2015 dann mit dem Atomabkommen endlich besiegelt wurde. Von Mahmoud Ahmadinejads aggressiver Atompolitik distanzierte sich Rohani schon wenige Wochen nach dessen Amtsantritt 2005 und trat von der internationalen Bühne ab.
Trotzdem konnte er in dem unkalkulierbaren Machtgefüge der Islamischen Republik seinen Platz im politi- schen Establishment behaupten. Acht Jahre später feierte er ein Comeback und wurde 2013 zum Liebling der Massen, die ihn mit absoluter Mehrheit zum Nachfolger Ahmadinejads kürten.
Seine wenigen mutigen Sätze im Wahlkampf ließen ihm damals die Herzen der zermürbten Iraner zufliegen. Es gebe eine „erdrückende Sicherheitsatmosphäre“im Land, kritisierte der Kleriker mit dem freundlichen Gesicht. Er versprach, alle Schlösser zu öffnen, die das Leben der Menschen bisher angekettet hätten – ein Befreiungsschlag, der jedoch bis heute ohne greifbare Ergebnisse blieb. Üppiges Budget des klerikalen Kartells. Trotzdem könnte es Rohani gelingen, aus den jüngsten Unruhen politisches Kapital zu schlagen, aber nur, wenn er beherzt in die Offensive geht. Er hat gute Nerven, taktisches Geschick und muss nicht mehr um seine Wiederwahl bangen. Im ersten Anlauf für den Staatshaushalt 2018, der den Bürgern harte soziale Einschnitte abverlangt, konnte er die üppigen Finanzforderungen des klerikalen Kartells nicht zurückweisen. Und so ließ Rohani erstmals das geheime Schattenbudget des Mullah-Imperiums ans Volk durchsickern, was den jüngsten Aufruhr mitentzündete. Dem Parlament könnte Rohani nun einen neuen Haushalt vorlegen, der Sozialkürzungen zurücknimmt und die Etats der Hardliner stutzt.
Die Zahl der Hinrichtungen und der Verhaftungen politischer Aktivisten stieg an. Rohani ließ Infos über Budget des Mullah-Imperiums an Bevölkerung durchsickern.
Zugleich aber müsste er mit einem umfassenden Reformpaket nachlegen, das endlich per Verfassungsänderung die Macht der undemokratischen Klerikerräte beschneidet und den Einfluss von Parlament und Regierung stärkt. Vielleicht lässt sich so das Vertrauen der jungen Generation zurückgewinnen. Und vielleicht kann Rohani damit verhindern, dass seine zweite Amtszeit schon jetzt in Agonie erstickt, bevor sie richtig begann.