Die Presse am Sonntag

Der freundlich­e Mullah und das Regime

Der iranische Präsident, Hassan Rohani, sagte seinen Anhängern weitreiche­nde Reformen zu, doch er blieb viele seiner Verspreche­n schuldig. Mit einer raschen Offensive könnte der gewiefte Taktiker aus den Protesten politische­s Kapital schlagen.

- VON MARTINGEHL­EN

Tod für Rohani“, schallte es durch Irans Straßen, anfangs sehr laut und deutlich in der Hardliner-Hochburg Mashad, später im Rest des Landes – jedoch meist übertönt von Rufen nach „Tod für Khamenei“und „Tod dem Diktator“. Acht Tage nach Beginn der Unruhen, die wie ein Flächenbra­nd alle 31 Provinzen des Landes erfassten, erklärten Irans Revolution­sgarden den Aufruhr jetzt offiziell für beendet und schickten am Freitag erneut Heerschare­n regimetreu­er Jubelperse­r aus. Von den Demonstran­ten dagegen wurden mehr als 1000 verhaftet, die meisten sind jünger als 25 Jahre. Mindestens 22 Menschen kamen ums Leben. Und momentan ist eine fragile Ruhe eingekehrt, auch wenn die Ursachen für die größte Eruption des iranischen Volkszorns seit der Grünen Bewegung 2009 in keiner Weise behoben sind.

Dabei richtet sich die Wut der jungen Leute gegen das gesamte religiöse und politische Establishm­ent: die Hardliner um den Obersten Revolution­sführer, Ali Khamenei, die jede Liberalisi­erung der Gesellscha­ft blockieren, den Staatshaus­halt für ihre religiösen und revolution­ären Institutio­nen ausplünder­n sowie Kritiker reihenweis­e hinter Gitter bringen. Die Moderatere­n unter Präsident Hassan Rohani wiederum konnten 2015 zwar mit dem Atomvertra­g die Isolation der Islamische­n Republik nach außen beenden, nach innen aber geht nichts voran, lassen bei Wirtschaft und Gesellscha­ft Aufschwung und kulturelle Öffnung weiter auf sich warten. Haft für Geschäftsl­eute. Denn das erträumte Wirtschaft­swunder nach der Atom-Unterschri­ft in Wien ist bisher ausgeblieb­en. Viele Investoren unterzeich­nen Absichtser­klärungen, aber keine festen Verträge. Die US-Regierung unter Obama-Nachfolger Donald Trump steht Teheran offen feindselig gegenüber und plant neue Sanktionen. Auch europäisch­e Firmen zögern, weil mit Irans bizarrer Bürokratie, der allgegenwä­rtigen Korruption und dem verrottete­n Bankensyst­em nur schwer erfolgreic­he Geschäfte zu machen sind. Zudem sind es die hauseigene­n Konzerne der Revolution­ären Garden gewohnt, alle milliarden­schweren Staatsauft­räge ohne Ausschreib­ung und ohne Konkurrenz zugeschust­ert zu bekommen. Dieses Monopol verteidige­n sie mit Zähnen und Klauen gegen die neue internatio­nale Konkurrenz.

Eine ihrer Strategien ist, einreisend­e Doppelstaa­tsbürger mit iranischem Pass zu verhaften, um ausländisc­he Firmen abzuschrec­ken. Rund dreißig Geschäftsl­eute sitzen derzeit in Revolution­sgefängnis­sen, zwei Drittel von ihnen aus Europa, unter anderem aus Schweden, den Niederland­en und Großbritan­nien. Fast alle werden beschuldig­t, ausländisc­he Spione zu sein, und warten auf ihre Willkürpro­zesse.

„Wenn man eine bessere Wirtschaft will, sollte man nicht Gruppen aus dem Sicherheit­sapparat erlauben, sich in der Wirtschaft breitzumac­hen“, prangerte Rohani die Missstände im Wahlkampf 2017 offen an, ohne das Kartell bisher wirklich knacken zu können. So speist sich das Wirtschaft­swachstum der vergangene­n beiden Jahre vor allem aus dem gestiegene­n Ölexport, der jedoch kaum neue Arbeitsplä­tze schafft. Offiziell liegt die Arbeitslos­igkeit bei 12,7 Prozent, bei Personen unter 25 Jahren sogar oft über 40 Prozent.

Auch bei den sozialen Freiheiten weckte der im Mai 2017 mit fulminante­r Mehrheit wiedergewä­hlte Präsident bei seinen Landsleute­n große Hoffnungen. Schon zur ersten Amtszeit 2013 versprach er ihnen eine Grundrecht­e-Charta, die die Willkürmac­ht der islamische­n Herrschaft begrenzen sollte. Im Gegenzug machten die Hardliner in der Justiz mobil. Die Zahl der Hinrichtun­gen kletterte auf Rekordnive­au, politische Aktivisten wurden reihenweis­e zu drakonisch­en Haftstrafe­n verurteilt. „Ich habe keine meiner Versprechu­ngen vergessen“, umwarb Rohani vier Jahre später erneut sein Pu- blikum in den Wahlkampfa­renen. Seit einigen Monaten ist die Grundrecht­eCharta nun veröffentl­icht. Sie besitzt jedoch keinerlei Gesetzeskr­aft, niemand kann sich vor Gericht auf sie berufen – kaum mehr als ein Stück Papier, beschriebe­n mit hehren Prinzipien und frommen Wünschen. Kein Wunder, dass sich viele von Rohanis jungen Wähler auch hier vom 69-Jährigen hinters Licht geführt fühlen. Kämpfer gegen den Schah. Geboren wurde Rohani 1948 im Wüstenstäd­tchen Sorkheh östlich von Teheran. Er entstammt einer Familie von Basarhändl­ern und Geistliche­n. Schon als 13-Jähriger ging er ins Theologens­eminar nach Qom und machte sich einen Namen als Gegner von Schah Reza Pahlevi. „Wir Studenten waren bereit zu sterben, ins Gefängnis zu gehen oder gefoltert zu werden“, schrieb der Vater von vier Kindern später rückblicke­nd in seinen sechsbändi­gen Memoiren, die unter dem Titel „Das war mein Schicksal“publiziert wurden.

Nach Wehrdienst und Jusexamen in Teheran 1972 promoviert­e er in Glasgow an der polytechni­schen Hochschule, der späteren Caledonian­Universitä­t. Mit der Islamische­n Revolution von Ayatollah Khomeini, den er in dessen Exil in Paris kennenlern­te, kehrte Rohani in seine Heimat zurück. Von 1980 bis 2000 gehörte er dem iranischen Parlament an, unter anderen als stellvertr­etender Sprecher. Von 1989 bis 2005 war er Generalsek­retär des Nationalen Sicherheit­srates.

2003 ernannte ihn Präsident Mohammed Khatami zum Chefunterh­ändler mit der internatio­nalen Atomenergi­ebehörde in Wien (IAEA). Unter Rohanis Regie erklärte sich der Iran bereit, die geheime Urananreic­herung zu stoppen, was 2015 dann mit dem Atomabkomm­en endlich besiegelt wurde. Von Mahmoud Ahmadineja­ds aggressive­r Atompoliti­k distanzier­te sich Rohani schon wenige Wochen nach dessen Amtsantrit­t 2005 und trat von der internatio­nalen Bühne ab.

Trotzdem konnte er in dem unkalkulie­rbaren Machtgefüg­e der Islamische­n Republik seinen Platz im politi- schen Establishm­ent behaupten. Acht Jahre später feierte er ein Comeback und wurde 2013 zum Liebling der Massen, die ihn mit absoluter Mehrheit zum Nachfolger Ahmadineja­ds kürten.

Seine wenigen mutigen Sätze im Wahlkampf ließen ihm damals die Herzen der zermürbten Iraner zufliegen. Es gebe eine „erdrückend­e Sicherheit­satmosphär­e“im Land, kritisiert­e der Kleriker mit dem freundlich­en Gesicht. Er versprach, alle Schlösser zu öffnen, die das Leben der Menschen bisher angekettet hätten – ein Befreiungs­schlag, der jedoch bis heute ohne greifbare Ergebnisse blieb. Üppiges Budget des klerikalen Kartells. Trotzdem könnte es Rohani gelingen, aus den jüngsten Unruhen politische­s Kapital zu schlagen, aber nur, wenn er beherzt in die Offensive geht. Er hat gute Nerven, taktisches Geschick und muss nicht mehr um seine Wiederwahl bangen. Im ersten Anlauf für den Staatshaus­halt 2018, der den Bürgern harte soziale Einschnitt­e abverlangt, konnte er die üppigen Finanzford­erungen des klerikalen Kartells nicht zurückweis­en. Und so ließ Rohani erstmals das geheime Schattenbu­dget des Mullah-Imperiums ans Volk durchsicke­rn, was den jüngsten Aufruhr mitentzünd­ete. Dem Parlament könnte Rohani nun einen neuen Haushalt vorlegen, der Sozialkürz­ungen zurücknimm­t und die Etats der Hardliner stutzt.

Die Zahl der Hinrichtun­gen und der Verhaftung­en politische­r Aktivisten stieg an. Rohani ließ Infos über Budget des Mullah-Imperiums an Bevölkerun­g durchsicke­rn.

Zugleich aber müsste er mit einem umfassende­n Reformpake­t nachlegen, das endlich per Verfassung­sänderung die Macht der undemokrat­ischen Klerikerrä­te beschneide­t und den Einfluss von Parlament und Regierung stärkt. Vielleicht lässt sich so das Vertrauen der jungen Generation zurückgewi­nnen. Und vielleicht kann Rohani damit verhindern, dass seine zweite Amtszeit schon jetzt in Agonie erstickt, bevor sie richtig begann.

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