Die Presse am Sonntag

Blick von Wien nach Teheran

Die irŻnische Community in Österreich ist trŻ©itioneller­weise kein Freun© ©es religiösen Regimes. Die Żktuellen Proteste verfolgt sie zwŻr hoffnungsf­roh, ãleiãt Żãer vorsichtig.

- VON DUYGU ÖZKAN UND MANFRED SEEH

Nicht dieselben Fehler machen wie vor knapp 40 Jahren – das was eines der ersten Dinge, die ihr eingefalle­n sind. Zu dem Zeitpunkt war bereits klar, dass sich die Proteste im Iran von den üblichen Streiks, den einzelnen Demonstrat­ionen unterschei­den. Es war schon eine Bewegung quer durch das Land, eine richtige Hoffnung für die Regimegegn­er. „Man erinnert sich an die Islamische Revolution. An die Proteste von 2009“, sagt die im Wiener Exil lebende Iranerin, die nicht genannt werden möchte, weil sie um ihre Familie fürchtet. Sie ist sichtlich erbost. „Wir müssen behutsam mit diesen Protesten umgehen, es dürfen nicht dieselben Fehler wie in der Vergangenh­eit passieren.“Welche? „Dass Europa schweigt, die Welt. Dass sie das Regime im Iran letztlich doch dulden.“

Es sind Hunderttau­sende, die im Iran seit rund zwei Wochen regelmäßig auf die Straße gehen, um gegen das fundamenta­listische Regime zu demonstrie­ren, auch wenn der Klerus die Proteste jüngst als gescheiter­t erklärt hat. Knapp zwei Dutzend Menschen kamen ums Leben, Gebäude brannten ab, Hunderte wurden festgenomm­en. Solidaritä­tsveransta­ltungen fanden auch in Wien statt, insgesamt blickt die iranische Community gebannt auf die Islamische Republik. Rund 12.000 Iraner und mehr als 16.000 Menschen, die im Iran geboren worden sind, aber mittlerwei­le die österreich­ische oder eine andere Staatsbürg­erschaft haben, lebten 2016 bzw. 2015 in Österreich – die weitaus meisten von ihnen in Wien.

Hierhin kam die Ärztin Jaleh Lackner-Gohari 1955 als Studentin, und von hier aus hat sie die Islamische Revolution 1979, die vielen Aufruhre seither, die Proteste der Grünen Bewegung (2009) und die aktuellen Ereignisse aufmerksam verfolgt. Als Aktivistin betreute sie Frauen, die nach der Islamische­n Revolution nach Wien geflüchtet wa- ren. Ihr falle auf, erzählt Lackner-Gohari, dass bei den aktuellen Protesten viele Frauen dabei seien, auf beiden Seiten. Es sei ein Aufstand der Arbeiter, die endlich ihr Gehalt regelmäßig beziehen wollen, ein Aufstand der Pensionist­en, der Jungen und Studenten. Die Proteste heute und vor knapp zehn Jahren würden zeigen, wie sich die iranische Gesellscha­ft verändert habe, weg von einer „stammesbet­onten“Struktur hin zur Individual­ität, zum eigenen Mitwirken an der Demokratie. Verklärte Erinnerung­en. Der Blick von Wien aus in den Iran sei sehr oft von Nostalgie geprägt, sagt Lackner-Gohari. Eine Einschätzu­ng, die viele kritische Beobachter innerhalb der Community teilen: Die Erinnerung an vermeintli­ch bessere Zeiten. „Dabei wird vergessen“, sagt die pensionier­te Medizineri­n, „dass es unter dem Schah auch Repression und Zensur gegeben hat.“Was die heterogene iranische Gemeinde in Wien eint, sei vielleicht, „dass sie gegen das bestehende Regime im Iran ist“. Das treffe auf die Bürgerlich­en zu, auf die vielen Ärzte und Ingenieure, die bisweilen zum Studium nach Österreich kamen. Und freilich auch auf diejenigen, die nach der Machtübern­ahme des Ayatollah Khomeini flüchteten und die bisweilen an ihrer dogmatisch linken Weltanscha­uung weiterhin festhalten.

Ein Teil der Auslandsir­aner sehnt sich eine (modern interpreti­erte) Reinstalla­tion des Schah-Regimes herbei, während die Volksmudja­heddin, die den Schah mitstürzte­n, über ihre Exilorgani­sationen weiterhin von einem islamisch geprägten Sozialismu­s träumen. Dazwischen die zweite und Folgegener­ationen, deren Verbindung zum Iran sich zwar emotional, aber weniger intensiv gestaltet. „Nur die Realpoliti­k, die Mittelmäßi­gkeit, die den Alltag im Iran prägt, finden Sie hier kaum“, sagt Lackner-Gohari. Aber sichtbar sei in der Auslandsco­mmunity die Diskrepanz einer Gesellscha­ft, die stark von Ideologie geprägt ist.

EuropŻ ©ürfe nicht mehr schweigen, sŻgt eine Exil-IrŻnerin erãost. Die Wut ©er Bevölkerun­g hŻãe keine Richtung, sŻgt ©er IrŻnist WŻlter Posch.

„Öfter schon haben wir Proteste gesehen. Und wir haben gesehen, dass sie brutal und gewaltsam niedergesc­hlagen wurden“, sagt Javad Parsay. Und nun eine neue Protestwel­le und wieder die Hoffnung, dass es diesmal gewaltlos weitergehe­n wird, dass diesmal die internatio­nale Unterstütz­ung Wirkung zeigt. Aber der Museumspäd­agoge, der mit seiner Familie seit Ende der 1980er in Wien lebt, bleibt lieber vorsichtig mit seiner Analyse, mit seinen Erwartunge­n, und er ist nicht der Einzige. Nicht alle nötigen Informatio­nen dringen nach außen, das Bild über die Proteste bleibt viel zu oft unvollstän­dig.

Die Wut der Bevölkerun­g, die sich wegen Misswirtsc­haft, sozialer Probleme, staatliche­r Korruption entlädt, habe „keine Richtung“, sagt der Iranist Walter Posch vom Institut für Friedenssi­cherung und Konfliktma­nagent in der Landesvert­eidigungsa­kademie. Auch gebe es keine leicht auszumache­nden Führer der Proteste, was es den Behörden schwer mache („Man kann nicht alle einsperren“). Die Zeichen stünden „eher auf Eskalation“. Präsident Hassan Rohani sei gezwungen, die Kontrolle zu übernehmen, Stärke zu zeigen. Und Religionsf­ührer Ayatollah Ali Khamenei sitze aufgrund widerstrei­tender Machtinter­essen „zwischen den Stühlen“. Die Prognose: Das offenbar gespaltene Regime werde „ein blaues Auge davontrage­n“. Und: „Viel öfter kann es sich das nicht mehr leisten.“

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