Die Presse am Sonntag

Nie mehr Arbeit für alle

Österreich feiert Rekordbesc­häftigung. Dennoch warnen Ökonomen vor Massen an Arbeitslos­en in der Zukunft. Was tun? Sinnlose Jobs erfinden wie die Japaner oder doch kürzer arbeiten?

- VON MATTHIAS AUER

Noch gar nicht richtig im Amt, durfte die türkis-blaue Regierung schon ihren ersten Rekord bejubeln. Fast 3,7 Millionen Menschen waren 2017 in Österreich unselbstst­ändig beschäftig­t. So viele wie nie zuvor. Nach Jahren der Krise sinkt die Arbeitslos­igkeit im Land. Doch in der Euphorie droht das strukturel­le (und ungelöste) Problem des heimischen Arbeitsmar­kts unterzugeh­en: Trotz Jobbooms liegt die Zahl der Arbeitslos­en dank wachsender Einwohnerz­ahl immer noch nahe dem historisch­en Höchststan­d. Ältere, Migranten und Langzeitar­beitslose haben besonders schlechte Karten. Traut man Prognosen mancher Ökonomen, sind sie nur die Vorhut einer mächtigen Welle an Arbeitslos­en, die nach der Automatisi­erung ihrer – oft eintönigen – Fabriksund Bürojobs auf uns zurollen wird.

Auch Österreich wird es nicht erspart bleiben, sich etwas für all jene Menschen zu überlegen, deren Arbeitskra­ft im Grund nicht mehr gebraucht wird. „Umschulen, Weiterbild­en, fit machen für die Digitalisi­erung“, lautet das Mantra der Politik. Und das zu Recht. Aber auch die Requalifiz­ierung von Menschen hat Grenzen, räumen Arbeitsmar­ktexperten ein. Lange Zeit hieß die österreich­ische Lösung für diese Problemfäl­le: raus aus der Statistik, rein in Schulungen oder Frühpensio­n. Aber Gemeindewo­hnung und Mindestsic­herung für die Massen ist kein taugliches Konzept für die Zukunft.

Ein Gegenmodel­l kommt aus Japan, einem Staat, der lange Erfahrung mit einer alternden Gesellscha­ft und hoher Automatisi­erung hat. Japans Sozialnetz ist löchriger als das österreich­ische, Arbeitslos­engeld gibt es nur ein Jahr. Um Sozialhilf­e stellen sich viele nicht an, weil im kollektive­n Bewusstsei­n fest verankert ist, dass jeder noch so simple Job besser ist, weil er neben Geld auch Struktur und Sinn verspricht. Das führt dazu, dass Japans Unternehme­r weit mehr Mitarbeite­r beschäftig­en, als sie müssten, wie Finanzanal­ysten regelmäßig beklagen. Die Firmen sind wahre Meister darin, zusätzlich­e Arbeitskrä­fte mit Aufgaben zu betrauen, die in unseren Augen sinnlos erscheinen mögen. So ist es in Japan keine Seltenheit, dass zwei, drei Menschen die Fußgänger um Baustellen herum lotsen oder in den Liften der Einkaufsze­ntren die Knöpfe drücken und die Etagen ansagen. Nichts davon ist notwendig. Dennoch sehen manche genau darin ein mögliches Modell für die Zeit, in der Technologi­e die menschlich­e Arbeit zur Deckung der Grundbedür­fnisse weitgehend überflüssi­g gemacht haben wird. Nicht genug zu tun. Dass es gar nicht so einfach ist, Jobs zu erfinden, weiß man auch in Österreich. Mit der Aktion 20.000, die von der Koalition eben gestoppt wurde, hätten ältere Langzeitar­beitslose bei Gemeinden und Vereinen unterkomme­n sollen. Der Staat übernahm die Kosten, die Jobs mussten die Träger selbst erfinden. Knapp 5000 Arbeitsplä­tze, vom Wegepflege­r bis zum Besuchsdie­ner im Altersheim, wurden so künstlich geschaffen. „Trotzdem gab es einfach nicht genug für alle zu tun“, erzählen Menschen, die die Langzeitar­beitslosen hätten vermitteln sollen.

Was bleibt? Die Arbeit, die es gibt, müsse auf mehr Schultern verteilt werden, rufen die Gewerkscha­ften. Sie tun das mit einer gewissen Berechtigu­ng. Die jüngsten Gewinne aus dem technologi­schen Fortschrit­t wurden kaum dafür ausgegeben, den Menschen mehr Freizeit zu verschaffe­n. Das war lang anders. Seit Beginn der Industrial­isierung stiegen Reallöhne stark, Arbeitsstu­nden wurden gekürzt. Erst in der letzten Generation bewegten sich die Einkommen kaum nach oben, und die Arbeitszei­t stagnierte. Ein Grund sei der Abfall der Produktivi­tätssteige­rungen. Ein weiterer die Globalisie­rung, sagen Ökonomen. Die Arbeiter im Westen standen plötzlich in Konkurrenz mit Billigkräf­ten aus Asien. Das habe die Entwicklun­g zu kürzeren Arbeitswoc­hen und volleren Konten gebremst.

Dennoch gibt es Schritte in die Richtung: Erste Unternehme­n experiment­ieren mit 25-Stunden-Wochen bei vollem Lohnausgle­ich. Die Angestellt­en sind zwar nicht so oft da, dafür produktive­r, so die Idee. In Ostdeutsch­land haben sogar die Arbeitgebe­r die 40-Stunden-Woche in der Chemiebran­che ganz offiziell abgeschaff­t. Künftig darf jeder selbst wählen, ob er ein paar Stunden mehr oder weniger arbeiten will.

Lange Zeit hieß Österreich­s Lösung: raus aus der Statistik, rein in die Frühpensio­n. Der Anteil jener, die freiwillig Geld gegen Zeit tauschen, steigt.

In Österreich nehmen die Arbeitnehm­er den Strukturwa­ndel selbst in die Hand – und flüchten in die Teilzeit. Trotz Beschäftig­ungsrekord gibt es heute weniger Vollzeitan­gestellte als 1994, zeigen Daten der Statistik Austria. Gleichzeit­ig stieg die Zahl der Teilzeitbe­schäftigte­n von 400.000 auf über eine Million. Und das ist keineswegs ein rein weibliches Phänomen. Im Gegenteil: Die Zahl der Frauen in Teilzeit hat sich in den vergangene­n 20 Jahren nur etwas mehr als verdoppelt. Jene der Männer hingegen mehr als vervierfac­ht. Natürlich, nicht alle, die Teilzeit arbeiten wollen, können das auch. Und nicht alle, die Teilzeit arbeiten, wollen das auch. Doch der Anteil jener, die freiwillig Geld gegen Zeit tauschen, steigt. Schultern die Mitarbeite­r die Kosten der Neuverteil­ung der Arbeitslas­t also allein? Nicht ganz. Erstens steigen Teilzeitkr­äfte in Österreich steuerlich besser aus. Zweitens treibt die Globalisie­rung die Arbeitnehm­er nicht nur in die Enge, sondern verschafft ihnen auch Vorteile, wie eine Wifo-Studie belegt. Sie macht das Leben billiger. So musste ein Industriea­rbeiter 1980 fast viermal so lang arbeiten, um seinen Kaffee zu zahlen, wie 2010. Das Hemd hat er heute in der halben Zeit herinnen. Jetzt müsste er nur noch seinen Job behalten.

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