Nie mehr Arbeit für alle
Österreich feiert Rekordbeschäftigung. Dennoch warnen Ökonomen vor Massen an Arbeitslosen in der Zukunft. Was tun? Sinnlose Jobs erfinden wie die Japaner oder doch kürzer arbeiten?
Noch gar nicht richtig im Amt, durfte die türkis-blaue Regierung schon ihren ersten Rekord bejubeln. Fast 3,7 Millionen Menschen waren 2017 in Österreich unselbstständig beschäftigt. So viele wie nie zuvor. Nach Jahren der Krise sinkt die Arbeitslosigkeit im Land. Doch in der Euphorie droht das strukturelle (und ungelöste) Problem des heimischen Arbeitsmarkts unterzugehen: Trotz Jobbooms liegt die Zahl der Arbeitslosen dank wachsender Einwohnerzahl immer noch nahe dem historischen Höchststand. Ältere, Migranten und Langzeitarbeitslose haben besonders schlechte Karten. Traut man Prognosen mancher Ökonomen, sind sie nur die Vorhut einer mächtigen Welle an Arbeitslosen, die nach der Automatisierung ihrer – oft eintönigen – Fabriksund Bürojobs auf uns zurollen wird.
Auch Österreich wird es nicht erspart bleiben, sich etwas für all jene Menschen zu überlegen, deren Arbeitskraft im Grund nicht mehr gebraucht wird. „Umschulen, Weiterbilden, fit machen für die Digitalisierung“, lautet das Mantra der Politik. Und das zu Recht. Aber auch die Requalifizierung von Menschen hat Grenzen, räumen Arbeitsmarktexperten ein. Lange Zeit hieß die österreichische Lösung für diese Problemfälle: raus aus der Statistik, rein in Schulungen oder Frühpension. Aber Gemeindewohnung und Mindestsicherung für die Massen ist kein taugliches Konzept für die Zukunft.
Ein Gegenmodell kommt aus Japan, einem Staat, der lange Erfahrung mit einer alternden Gesellschaft und hoher Automatisierung hat. Japans Sozialnetz ist löchriger als das österreichische, Arbeitslosengeld gibt es nur ein Jahr. Um Sozialhilfe stellen sich viele nicht an, weil im kollektiven Bewusstsein fest verankert ist, dass jeder noch so simple Job besser ist, weil er neben Geld auch Struktur und Sinn verspricht. Das führt dazu, dass Japans Unternehmer weit mehr Mitarbeiter beschäftigen, als sie müssten, wie Finanzanalysten regelmäßig beklagen. Die Firmen sind wahre Meister darin, zusätzliche Arbeitskräfte mit Aufgaben zu betrauen, die in unseren Augen sinnlos erscheinen mögen. So ist es in Japan keine Seltenheit, dass zwei, drei Menschen die Fußgänger um Baustellen herum lotsen oder in den Liften der Einkaufszentren die Knöpfe drücken und die Etagen ansagen. Nichts davon ist notwendig. Dennoch sehen manche genau darin ein mögliches Modell für die Zeit, in der Technologie die menschliche Arbeit zur Deckung der Grundbedürfnisse weitgehend überflüssig gemacht haben wird. Nicht genug zu tun. Dass es gar nicht so einfach ist, Jobs zu erfinden, weiß man auch in Österreich. Mit der Aktion 20.000, die von der Koalition eben gestoppt wurde, hätten ältere Langzeitarbeitslose bei Gemeinden und Vereinen unterkommen sollen. Der Staat übernahm die Kosten, die Jobs mussten die Träger selbst erfinden. Knapp 5000 Arbeitsplätze, vom Wegepfleger bis zum Besuchsdiener im Altersheim, wurden so künstlich geschaffen. „Trotzdem gab es einfach nicht genug für alle zu tun“, erzählen Menschen, die die Langzeitarbeitslosen hätten vermitteln sollen.
Was bleibt? Die Arbeit, die es gibt, müsse auf mehr Schultern verteilt werden, rufen die Gewerkschaften. Sie tun das mit einer gewissen Berechtigung. Die jüngsten Gewinne aus dem technologischen Fortschritt wurden kaum dafür ausgegeben, den Menschen mehr Freizeit zu verschaffen. Das war lang anders. Seit Beginn der Industrialisierung stiegen Reallöhne stark, Arbeitsstunden wurden gekürzt. Erst in der letzten Generation bewegten sich die Einkommen kaum nach oben, und die Arbeitszeit stagnierte. Ein Grund sei der Abfall der Produktivitätssteigerungen. Ein weiterer die Globalisierung, sagen Ökonomen. Die Arbeiter im Westen standen plötzlich in Konkurrenz mit Billigkräften aus Asien. Das habe die Entwicklung zu kürzeren Arbeitswochen und volleren Konten gebremst.
Dennoch gibt es Schritte in die Richtung: Erste Unternehmen experimentieren mit 25-Stunden-Wochen bei vollem Lohnausgleich. Die Angestellten sind zwar nicht so oft da, dafür produktiver, so die Idee. In Ostdeutschland haben sogar die Arbeitgeber die 40-Stunden-Woche in der Chemiebranche ganz offiziell abgeschafft. Künftig darf jeder selbst wählen, ob er ein paar Stunden mehr oder weniger arbeiten will.
Lange Zeit hieß Österreichs Lösung: raus aus der Statistik, rein in die Frühpension. Der Anteil jener, die freiwillig Geld gegen Zeit tauschen, steigt.
In Österreich nehmen die Arbeitnehmer den Strukturwandel selbst in die Hand – und flüchten in die Teilzeit. Trotz Beschäftigungsrekord gibt es heute weniger Vollzeitangestellte als 1994, zeigen Daten der Statistik Austria. Gleichzeitig stieg die Zahl der Teilzeitbeschäftigten von 400.000 auf über eine Million. Und das ist keineswegs ein rein weibliches Phänomen. Im Gegenteil: Die Zahl der Frauen in Teilzeit hat sich in den vergangenen 20 Jahren nur etwas mehr als verdoppelt. Jene der Männer hingegen mehr als vervierfacht. Natürlich, nicht alle, die Teilzeit arbeiten wollen, können das auch. Und nicht alle, die Teilzeit arbeiten, wollen das auch. Doch der Anteil jener, die freiwillig Geld gegen Zeit tauschen, steigt. Schultern die Mitarbeiter die Kosten der Neuverteilung der Arbeitslast also allein? Nicht ganz. Erstens steigen Teilzeitkräfte in Österreich steuerlich besser aus. Zweitens treibt die Globalisierung die Arbeitnehmer nicht nur in die Enge, sondern verschafft ihnen auch Vorteile, wie eine Wifo-Studie belegt. Sie macht das Leben billiger. So musste ein Industriearbeiter 1980 fast viermal so lang arbeiten, um seinen Kaffee zu zahlen, wie 2010. Das Hemd hat er heute in der halben Zeit herinnen. Jetzt müsste er nur noch seinen Job behalten.