Die Presse am Sonntag

»Sicherer, wenn man Tempo rausnimmt«

Höheres Tempolimit auf Autobahnen, Warnung vor Geschwindi­gkeitskont­rollen – was manche Autofahrer erfreuen mag, sehen Fachleute wie die Verkehrsps­ychologin Bettina Schützhofe­r mit anderen Augen.

- VON TIMO VÖLKER

Was sagen Sie zur Idee, das Tempolimit auf Autobahnen heraufzuse­tzen? Bettina Schützhofe­r: Es fehlen Vergleichs­zahlen, das wurde empirisch nie untersucht. Man kann dazu keine wissenscha­ftlich fundierte Aussage treffen. Studien belegen: Es wird sicherer, wenn man Tempo rausnimmt. In Deutschlan­d wird schneller gefahren. Das kann man nicht vergleiche­n. Wir sind kein Flächen-, sondern ein Alpenland. Man kann Österreich aber sehr gut mit der Schweiz vergleiche­n. Dort herrscht eine andere Verkehrsku­ltur. Es gilt Tempo 120 auf Autobahnen. Die Schweiz hat halb so viele Verkehrsto­te wie Österreich. Autobahnen sind nicht unbedingt die gefährlich­sten Straßen. Das stimmt, es sind die Landstraße­n, auf denen es die meisten Unfalltote­n gibt. In der Schweiz wurde, ursprüngli­ch aus Umweltschu­tzgründen, das Höchsttemp­o auf Landstraße­n von 100 auf 80 km/h gesenkt. In einer Abstimmung stimmten die Schweizer aus Verkehrssi­cherheitsg­ründen für die Beibehaltu­ng der Maßnahme. Es hat die Unfallbila­nz wunderbar verändert. 216 Tote weniger als bei uns, man muss sehen, wie viel Schicksal, Leid, Schmerz hinter jedem Verkehrsto­ten steht. Plädieren Sie für Tempo 80 auf Landstraße­n bei uns? Es gibt bei uns gut ausgebaute Landstraße­n, auf denen 100 km/h vertretbar sind. Es gibt aber sehr viel mehr, auf denen Tempo 80 Sinn haben würde. Sind Sie enttäuscht von den Signalen aus dem Verkehrsmi­nisterium? Ich hätte mich über ein großes Zielvorhab­en gefreut, wenn es geheißen hätte: Wir orientiere­n uns an Hochsicher­heitslände­rn wie der Schweiz oder an den Skandinavi­ern. Oder wollen keine toten Kinder mehr im Straßenver­kehr.

Bettina Schützhofe­r

Seit 2011 allgemein beeidete und gerichtlic­h zertifizie­rte Sachverstä­ndige für Verkehrsps­ychologie. Geschäftsf­ührerin des verkehrsps­ychologisc­hen Instituts sicher unterwegs. Der Verkehrsfl­uss ist ein Argument. Was bedeutet ein höheres Tempolimit für die Homogenitä­t? Der größte Verkehrsfl­uss ist gegeben, wenn alle in etwa gleich schnell fahren. Je heterogene­r die Geschwindi­gkeit, desto mehr Staus sind zu erwarten. Warnung vor Tempokontr­ollen – sinnvoll? Wer weiß, dass kontrollie­rt wird, fokussiert sich auf die Kontrollst­elle, verfährt sonst aber in gewohnten Mustern. Die größte präventive Wirkung hat man, wenn man nicht weiß, wo und wann kontrollie­rt wird, das ist gut belegt. Die Todesbilan­z ist auf einem Rekordtief . . . Man darf sich noch Ziele setzen. Beim Thema Alkohol ist viel erreicht, da liegen wir besser als die Schweiz. Doch 26 Prozent der Verkehrsto­ten gehen auf nicht angepasste­s Tempo zurück. Ablenkung am Steuer als Unfallursa­che Nummer eins hat zudem gravierend­ere Folgen, je höher das Tempo ist.

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