Lebenskünstler vor dem Aus
Die schier unverwundbaren Axolotl, die rund um die Erde in Labors gehalten werden, sind in der Natur bedroht. Und damit auch in den Labors.
Wenn einem Axolotl ein Bein abhandenkommt oder sonst ein Körperteil, dann lässt er es nachwachsen, und nicht die kleinste Narbe bleibt. Das elektrisiert heute Forscher, aber natürlich fiel es auch jenen auf, die den wundersamen Lurch groß gemacht haben – an Zahl –, indem sie ihm ein ideales Habitat schufen, unabsichtlich: die Azteken. Als sie ihre Hauptstadt aus dem Feuchtgebiet Xochimilco stampften, regulierten sie das Wasser mit einem ausgeklügelten Kanalsystem.
Dort mehrten sich jene, die sie nach einem ihrer Götter nannten: Xolotl. Er sollte geopfert werden, damit Sonne und Mond sich am Himmel bewegten. Deshalb flüchtete er sich in immer neue Tiergestalten, zuletzt in die des Lurchs (gefangen und geopfert wurde er doch). Aber die Menschen verehrten den Axolotl nicht nur, sie verzehrten ihn auch, jahrhundertelang nährte er, auch als es mit den Azteken längst vorbei war und die Stadt Mexico City hieß. Sie wuchs und wuchs – im Kern auf derzeit etwa 8,8 Mio. Einwohner –, sie brauchte Bauland und schnitt das verbliebene Xochimilco von natürlichen Zuflüssen ab, stattdessen kam Abwasser: Als der Biologe Luis Zambrano 1998 die Axolotl erstmals zählte, fand er 6000 pro Quadratkilometer, anno 2000 waren es 1000, 2008 100, heute sind es 35. „Für den Artenschutz ist der Axolotl ein Paradox“, erklärt Richard Griffith (Kent). „Er ist vermutlich das am weitesten verbreitete Amphibium der Erde und in der Wildnis doch fast ausgestorben“(Nature 551, S. 286).
Damit ist er auch dort bedroht, wo er floriert, in Aquarien und Labors rund um den Erdball. Den Grundstock legte Alexander von Humboldt, er brachte 1804 Axolotl mit nach Paris. Dort zogen die Wundertiere Aufmerksamkeit auf sich, weil sie sich kräftig vermehrten, obwohl sie immer Embryos blieben: Anders als die meisten Amphibien machen Axolotl keine Metamorphose durch, sie müssen es nicht, verbringen ihr ganzes Leben im Wasser. Immer jung bleiben sie trotzdem nicht – sie werden um die 20 Jahre alt –, aber sie können eben jeden Körperteil regenerieren, selbst das Rückenmark. Deshalb holte man sie in Labors, auch in eines des Instituts für Molekulare Pathologie (MPI) in Wien. Dort forscht Elly Tanaka seit 2016 am Axolotl, sie ist mit ihm wohl vertraut und hat nun einen Weg gefunden, Stammzellen, die für die Regeneration wichtig sind, so mit Fluoreszenz zu markieren, dass man ihrem Schicksal mit bloßem Auge folgen kann (Pnas. 30. 10.). Trotz dieser und vieler anderer Mühen ist es bisher nicht gelungen, die molekularen Mechanismen der Regeneration zu erhellen bzw. herauszufinden, ob wir noch solche Programme im Genom haben – die Wege trennten sich vor 340 Millionen Jahren – bzw. wie sie reaktiviert werden könnten. Rätsel der Embryologie. In jedem Fall ist das, was sich bei Regeneration abspielt, dem ähnlich, was sich in der frühen Entwicklung tut. Und das ist eines der größten Rätsel: Wie wird aus einer einzigen Zelle – dem befruchteten Ei – ein geordneter Organismus, der bei Menschen aus ca. 3,7 x 1013 Zellen von 7000 Typen besteht? Jede Zelle hat das gleiche Genom, und doch werden in jedem Typ spezifische Gene aktiv, wer sorgt dafür? Ein „Organisator“, antwortete 1924 der deutsche Biologe Hans Spemann: Er hatte an Embryos von Kammmolchen etwas von dem Gewebe, um das herum der Kopf wuchs, auf die andere Körperseite transplantiert. Nun wuchs dort auch ein Kopf (und am Ende hatte man zwei aneinandergewachsene Molche).
Für die Entdeckung des „Organisator-Effekts“erhielt Spemann 1935 den Nobelpreis. Allerdings musste er im zentralen Punkt passen: „Es kann nicht entschieden werden, auf welche Art das geschieht, und wann und auf welchem Weg“(Archiv für Mikroskopische Anatomie und Entwicklungsmechanik 100, S. 15). Es konnte Gründe in der Physik oder in der Chemie haben, die Zunft entschied sich dafür, man postulierte Moleküle, deren Konzentrationen bzw. ihr Gefälle die Entwicklung steuern: Morphogene. Ob es sie gibt, ist nicht recht klar, und zumindest der Axolotl entwickelt sich von der äußersten Schicht her, Morphogene würden rasch an die Umwelt verloren gehen. Etwas anderes hingegen wird von Zelle zu Zel- le weitergereicht, die Form: An der Außenseite wölben sich die Zellen auf, an der Innenseite ein, beides beeinflusst die Nachbarzelle und läuft wie eine Welle durch die Schicht. Das bemerkten Natalie und Richard Gordon 1993 an Axolotln, sie nannten es Cell State Splitter und sahen darin den Organisator: in der Physik (Theoretical Biology and Medical Modelling, 13:11).
Und warum auch nicht? Warum sollten Zug und Druck etc. nicht Gene aktivieren können? Daran wird erstaunlich wenig geforscht, obwohl das Standardwerk „On Growth And Form“von D’Arcy Wenthwort Thompson, für den die Gestalten des Lebens von Physik und Mathematik beherrscht wurden, gerade hundert Jahre alt geworden ist. Zum Klären böte sich der Axolotl an, aber wie lang an ihm noch geforscht werden kann, steht dahin, er ist eben auch in den Labors gefährdet, sein Gen-
Sie bleiben immer Embryos, machen keine Metamorphose durch. Aber sie mehren sich. Der Genpool jener in den Labors ist extrem klein, die Inzucht beängstigend hoch.
pool ist extrem klein. Die Grundausstattung stammt lediglich von fünf Individuen, mit denen ab 1863 in Paris gezüchtet wurde. Von dort gingen die Tiere in alle europäischen Labors, später auch in die der USA, dort wurde vereinzelt mit wilden Axolotln aufgefrischt. Aber nicht viel, das zeigt der Inzuchtkoeffizient: Eineiige Zwillinge haben 100, Wildfremde null, für ein Gedeihen von Populationen veranschlagt man maximal 12,5. Die spanischen Habsburger mit ihrer hängenden Unterlippe hatten 20, die Axolotl in den Labors haben 35 (Bioscience 65, S. 1134).
Auch das hat Zambrano zusammengetragen. An ihm, der nun an der Universität in Mexiko City forscht, hängt viel, er muss für die Regenerierungskünstler regenerieren, was er kann, wenigstens Reste des Kanalsystems. Dabei geht es zum einen um die Qualität des Wassers und zum anderen um die Folgen einer gut gemeinten Tat der Welternährungsorganisation FAO: Sie wollte in den 1970er-Jahren den Anwohnern zu proteinreicherer Kost verhelfen und setzte in Xochimilco Fische aus, Karpfen und Tilapia. Sie machen sich über die Axolotl her, beißen ihnen nicht nur das eine oder andere Bein ab.