Die Presse am Sonntag

»Ich werde mich nie als Star fühlen«

Der 21-jährige Nikola Bilyk ist Gegenwart und Zukunft des österreich­ischen Handballs, mit dem Nationalte­am möchte er bei der bevorstehe­nden EM in Kroatien überzeugen. Kiels Rückraumwe­rfer sagt: »Ich lebe gerade meinen Traum.«

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Im letzten „Presse“-Interview vor zwei Jahren haben Sie betont, der „beste Handballer aller Zeiten“werden zu wollen. Wie viel näher sind Sie diesem Ziel seitdem gekommen? Nikola Bilyk: Vielleicht habe ich mich damals falsch ausgedrück­t. Ich möchte am Ende meiner Karriere einfach alles aus mir herausgeho­lt haben. Wozu das letztlich führt, wird sich zeigen. Ich bin glücklich über meine Entwicklun­g, bin auf einem guten Weg. Aber: Solange ich Handball spiele, werde ich nie zufrieden sein. Ich will immer mehr. Was wollen Sie denn bei der am Freitag beginnende­n EM in Kroatien erreichen? Ich habe große Ziele, die habe ich schon mein ganzes Leben lang, aber ich behalte sie lieber für mich. Zunächst wollen wir Weißrussla­nd (Auftaktgeg­ner am 12. Jänner, Anm.) schlagen, das ist das Einzige, woran ich momentan denke. Wenn uns das gelingt, stehen uns alle Türen offen. Das Spiel gegen Weißrussla­nd gilt als richtungsw­eisend, danach warten Weltmeiste­r Frankreich (14. Jänner) und Vizeweltme­ister Norwegen (16. Jänner). Das erste Spiel ist immer wichtig. Wenn du es verlierst, bist du sofort unter Druck. Vor allem, wenn man bedenkt, wer dann noch in der Gruppenpha­se auf uns wartet. Von zehn Spielen gegen uns gewinnt Frankreich normalerwe­ise zehn, aber vielleicht ist es diesmal dieses eine, das sie eben nicht gewinnen. Daran musst du glauben. Alles, was du dir vorstellen kannst, ist möglich. Davon bin ich überzeugt. Die Belastung ist enorm, alle zwei Tage wartet ein Spiel. Ist eine EM am Ende des Tages auch eine Kraftfrage? Definitiv. Jene Teams, die in der Endphase noch dabei sind, sind nicht nur spielerisc­h top, sondern auch im Ausdauerbe­reich führend. Nach zwei, drei Spielen gibt es kaum noch jemanden, der bei 100 Prozent ist. Sie haben sich Ende November eine Verletzung am Sprunggele­nk zugezogen. Wie gehen Sie mit Zwangspaus­en um? Ich bin ein ungeduldig­er Typ, möchte sofort wieder spielen, das ist sicher auch meiner Jugend geschuldet. Ich bin nach dieser Verletzung wahrschein­lich auch zu früh wieder eingestieg­en, hatte Probleme. Wäre ich geduldiger gewesen, wäre diese Verletzung wohl schneller ausgeheilt. Das sind Fehler, die man vielleicht machen muss, damit sie beim nächsten Mal nicht mehr passieren. Was zeichnet Handball aus, warum haben Sie sich für diesen Sport entschiede­n? Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Ich liebe diesen Sport, seitdem ich ein Kind bin, das wurde mir bestimmt auch in die Wiege gelegt. Handball ist ein sehr großer Teil meines Lebens, mir gefällt der Gedanke des Mannschaft­ssports, du triffst immer wieder auf unterschie­dliche Charaktere. Ich habe Sport nicht immer nur eindimensi­onal als solchen, sondern auch als Lebensschu­le gesehen. Es geht auch darum, mit jedem Menschen klarzukomm­en, egal, wie anders er ist. Ich will mich nicht nur als Sportler, sondern auch als Mensch weiterentw­ickeln. Und auf den Sport bezogen? Ich liebe die Hallen, den Wettkampf, ich liebe den Geruch des Balls. Es gibt nichts, was ich nicht mag, außer vielleicht die vielen Reisen. Sie können anstrengen­d werden. Können Sie das Gefühl beschreibe­n, ein Tor geworfen zu haben? Das ist kaum zu beschreibe­n, man muss es selbst erleben. Da ist sehr viel Freude über das eigene Erfolgserl­ebnis, aber auch darüber, dass viele Spieler an deiner Seite stehen, die mit dir jubeln. Du feierst Siege genauso gemeinsam, wie du Niederlage­n bedauerst. Am Ende des

Nikola Bilyk

wurde am 28. November 1996 in Tunis geboren, da sein Vater, Sergiy, ein Torhüter, zu dieser Zeit in Tunesien spielte. Wenig später folgte der Umzug nach Wien. In seiner ersten Saison in der Handballli­ga Austria (HLA) für die Fivers Margareten wurde Bilyk, der im Rückraum spielt, als Newcomer des Jahres ausgezeich­net. Im März 2014 debütierte er 17-jährig im Nationalte­am, 2015 nahm er an der WM in Katar teil. Im Sommer 2016 folgte der Wechsel von Wien nach Kiel, wo Bilyk umgehend überzeugen konnte. Gleich in seiner Premierens­aison wurde Bilyk mit den Zebras Cupsieger. Sein Vertrag wurde vorzeitig bis 2022 verlängert. „Er ist für sein Alter unglaublic­h weit“, sagt KielTraine­r Alfreð G´ıslason. Tages ist jeder nur so gut wie die Spieler, die neben einem stehen. Träumen Sie von Handball, von gewissen Spielsitua­tionen? Oh ja. Ich stelle mir manchmal vor, wie ich den letzten Siebenmete­r werfe, vielleicht den spielentsc­heidenden. Sind Sie mehr Talent oder Arbeiter? Ich müsste lügen, würde ich behaupten, ich wäre nicht talentiert. Ich habe das Talent von meinen Eltern mitbekomme­n, beide waren Handballer. Basketball, Fußball, Tennis – ich habe schon etliche Sportarten ausprobier­t, das funktionie­rt alles ganz gut, da ist sicher ein gewisses Grundtalen­t vorhanden. Aber ab einem gewissen Zeitpunkt steckte extrem viel Arbeit dahinter. Diese 15, 20 Jahre, die mir im Profihandb­all zur Verfügung stehen, möchte ich dem Handball widmen und alles geben, was in mir steckt. Sie wurden schon in jungen Jahren hochgelobt. Haben Sie sich in irgendeine­r Phase Ihrer Karriere zu sehr auf Ihr Talent verlassen? Bestimmt, aber zum Glück habe ich schnell bemerkt, dass es ohne harte Arbeit und Biss nicht funktionie­rt. Woher kam diese Einsicht? Als ich mit dem Handball begonnen habe, war ich mit Abstand der beste Spieler meiner Mannschaft. Ich war größer und schneller als die meisten anderen, hatte eben auch Talent, während sich andere etwas schwererta­ten. Einer meiner Freunde war auch ein sehr guter Handballer, er war mit mir sicher der beste Spieler in der Mannschaft. Nach zwei, drei Jahren hat sich das Blatt gewendet, er war plötzlich deutlich besser als ich, weil er mehr gearbeitet hat. Bei Turnieren war nicht mehr ich, sondern er der beste Spieler, dabei wollte ich immer der Beste sein. Das hat mich zusätzlich motiviert. Ich kann mich noch ganz genau an den Tag erinnern, als ich von einem Turnier nach Hause gekommen bin. Wir haben gewonnen, aber ich war nicht der beste Spieler. Dann habe ich zu meinem Vater gesagt: „Papa, das wird nicht mehr passieren.“Wenn ich in Österreich nicht besser als die anderen bin, wie soll ich mich dann internatio­nal jemals durchsetze­n können? Sind Sie ein Besessener, können Sie selbst vom Training nicht genug bekommen? Ich werfe noch oft nach dem Training ein paar zusätzlich­e Bälle, aber du musst immer abwägen, was am sinnvollst­en ist. Manchmal ist es klüger, sich vom Physiother­apeuten behandeln zu lassen, das ist ja im Endeffekt auch eine Art Training, bloß für den Körper. Du musst ein Gespür dafür entwickeln, wann dein Körper eine Auszeit braucht. Wie gehen Sie mit Niederlage­n um? Nicht gut. Ich bin sauer, traurig, enttäuscht, schlafe schlecht. Aber es bringt nichts, sich zu lang mit negativen Gedanken aufzuhalte­n, der Blick muss immer nach vorn gerichtet sein. Am nächsten Tag muss du das alles ausgeblend­et haben. Wenn ich drei, vier Tage darüber klagen würde, weil wir ein Spiel verloren haben, dann würde ja nichts weitergehe­n. Wenn ich aber in diesen drei, vier Tagen trainiere, dann hat diese Niederlage auch etwas gebracht. Handball hat in Kiel, wo Sie seit Sommer 2016 unter Vertrag stehen, große Tradition, Spieler des THW sind ungemein populär. Fühlen Sie sich als Star? Nein, ich werde mich auch niemals als Star fühlen. Ich gehe ganz normal wie viele anderen Menschen einer Arbeit nach, bei mir ist es eben Handballsp­ielen. Deswegen bin ich aber niemand Besonderer, das wird sich auch nicht ändern. Ich freue mich, wenn mir Jugendlich­e nacheifern und mich als Vorbild sehen. Darauf kann man auch hinarbeite­n, aber als Star fühlen? Nein, das wird nicht passieren. Verfolgen Sie ein Lebensmott­o? Heute nicht mehr wirklich, früher hat mich der Spruch „Hard work beats talent if talent fails to work hard“inspiriert. Heute mache ich einfach mein Ding, genieße die Zeit auf dem Spielfeld, und zwar wirklich jeden einzelnen Tag. Ich lebe gerade meinen Traum, dafür bin ich sehr dankbar.

 ?? APA ?? An der Ostseeküst­e in Kiel fühlt sich Nikola Bilyk wohl, einzig das Wetter könnte manchmal besser sein. „Aber ich bin ja nicht zum Vergnügen hier.“
APA An der Ostseeküst­e in Kiel fühlt sich Nikola Bilyk wohl, einzig das Wetter könnte manchmal besser sein. „Aber ich bin ja nicht zum Vergnügen hier.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria