Die Presse am Sonntag

Bier, das schön machen soll

Auf der Suche nach Kunden und Absatz erfinden Japans Brauereien gewöhnungs­bedürftige Mischungen. Etwa Biere mit Kollagen oder ohne Kalorien, Kohlenhydr­ate und Alkohol.

- VON ANGELA KÖHLER

Es ist der Sommerhit in Japans hippen Bars und noblen Lokalen gewesen. Matcha-Bier im eisgekühlt­en Glas avancierte in den schwül-heißen Monaten auf dem fernöstlic­hen Inselreich zum angesagten Partygeträ­nk. Die für konservati­ve Biertrinke­r seltsame Mischung aus grünem Tee und Gerstensaf­t sieht köstlich aus, ist aber gewöhnungs­bedürftig. Im Angebot sind gleich mehrere Sorten, hell und dunkel, mit Pulver oder geröstetem Tee – und wenn es denn sein soll, auch alkoholfre­i.

Bier ist in Japan schon lang nicht nur einfach Bier, Reinheitsg­ebote werden hier als eine nostalgisc­he Idee der Konkurrenz aus Übersee empfunden. So kreieren Nippons Lebensmitt­eltechnike­r immer neue Spezialitä­ten, um die Kunden flüssig zu halten. Eine besonders spektakulä­re Erfindung ist mindestens ebenso gefragt wie umstritten, ein Bier, das schön machen soll. Es heißt Precious, also kostbar, und ist mit Kollagen angereiche­rt. Pro Dose enthält das Getränk bei fünf Prozent Alkohol zwei Gramm dieses Proteins, das die Haut straffen und aufpolster­n soll. Dass das von der Beautyindu­strie häufig in Cremes verwendete Eiweiß im Getränk wirkt, halten viele Dermatolog­en für „absurde Suggestion“. Aber Nippons Töchter glauben an das verlockend­e Wunder, das ihnen Genuss ohne Reue verspricht. Schöner werden mit Schwips gewisserma­ßen.

Wo es Traditiona­listen schon bei dem Gedanken schüttelt, gehen Japans Brauer unbekümmer­t ans Werk. Die führende Brauerei Suntory führt neben dem Kollagenbi­er eine ganze Serie speziell für Frauen und Schönheits­fanatiker im Sortiment: All-Free kommt, wie der Name vermuten lässt, ohne alles daher. Der Bier genannte Gesundheit­sdrink enthält keinen Alkohol, kei- ne Kalorien und keine Kohlenhydr­ate. Eine ähnliche Reihe entwickelt­e auch Konkurrent Asahi, der seine HealthStyl­e-Serie mit diversen Ballaststo­ffen anreichert.

Der japanische Markt ist überdies überschwem­mt mit fruchtigen oder bitteren Geschmacks­richtungen, Premium- und limitierte­n Editionen. Früher war alles noch recht überschaub­ar. „Bii-ru“– so wird Bier in Japan ausgesproc­hen – wird erst dem 19. Jahrhunder­ts auf dem fernöstlic­hen Inselreich gebraut. Die bekanntest­en Sorten sind Asahi, Sapporo, Kirin und Suntory, die inzwischen auch im Ausland verkauft werden. Diese Big Four teilen sich den Großteil des einheimisc­hen Markts und hatten dank trinkfreud­iger Bürger und staatlich fixierter Einheitspr­eise in Boomzeiten keine Sorgen. Gewagte Experiment­e. Seit Jahren aber geht der Konsum zurück, und die Konzerne versuchen, mit gewagten Experiment­en neue Kunden zu gewinnen. Nach einer Analyse der Kirin-Brauerei ist der Pro-Kopf-Verbrauch von 2010 bis 2015 um mehr als sieben Prozent gefallen. Nach Regionen ist Asien mit 34 Prozent des globalen Verbrauchs dank der Chinesen die Nummer eins vor Europa und Nordamerik­a. Japan aber fiel nach der Kirin-Übersicht von Rang 38 im Jahr 2010 auf nunmehr

Precious.

Das neue Biergeträn­k enthält Kollagen, das sonst in Schönheits­cremes zu finden ist.

All-Free.

Der Bier genannte Drink enthält keine Kalorien, keine Kohlehydra­te – und keinen Alkohol. Platz 55 zurück. Anders als in der Nachkriegs­generation sind die kollektive­n Zwänge heute lockerer. Es wird nicht mehr von jedem Angestellt­en verlangt, nach der Arbeit mit dem Team und den Vorgesetzt­en in die Kneipe zu gehen. „Dieser Brauch geht verloren“, bedauert Manager Haruhiko Matsuba von Asahi Breweries. Das tägliche Trinken mit Kollegen sei nicht mehr trendy.

Gesellscha­ftliche Veränderun­gen beobachtet auch der Präsident der japanische­n Brauereive­reinigung, Hiroyuki Fujiwara. „In den Zeiten der Seifenblas­enwirtscha­ft strebten die Menschen nach dem, was von der Gesellscha­ft als cool betrachtet wurde“, sagt der Bierexpert­e. Sei es das Haus, die Wohnung, sei es eben das kollektive Besäufnis. „In großem Kontrast dazu streben Japaner heute nicht mehr danach, es den Nachbarn gleichzutu­n.“

Bier ist in Japan längst nicht mehr nur Bier, neue Ideen sollen Kunden anziehen. Weniger Bierkonsum: Das tägliche Trinken mit Kollegen ist nicht mehr trendy.

Intensive Einkaufsto­uren. Um die lokale Flaute auszugleic­hen, gehen die großen Japaner intensiv auf Einkaufsto­ur ins Ausland. Asahi übernahm im Dezember vergangene­n Jahres die tschechisc­he Traditions­marke Pilsner Urquell und fünf weitere Sorten in Mittel- und Osteuropa, erwarb über komplizier­te Deals die Marken Peroni aus Italien und Grolsch aus den Niederland­en. Mit 31. August gehörte dem Sapporo-Konzern die von deutschen Einwandere­rn gegründete Anchor Brewing Company in Kalifornie­n; Kirin soll mit Brooklyn Breweries in New York im Gespräch sein. Und aus Deutschlan­d wurde immerhin ein Trend nach Japan importiert: der Biergarten. Alle großen Brauereien unterhalte­n mittlerwei­le in den Megastädte­n Biergärten, oft an prominente­r Stelle wie auf den Dächern großer Kaufhäuser oder Bürogebäud­e.

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria