Die Presse am Sonntag

»Gebt Stuntleute­n einen Oscar!«

In »Das Leuchten der Erinnerung« tuckert Helen Mirren im Wohnmobil durch die USA. Ein Gespräch über das Faulenzen, ihre Faszinatio­n für Technologi­e und für Action-Blockbuste­r.

- VON ANDREY ARNOLD

Ihr neuer Film „Das Leuchten der Erinnerung“heißt im Original „The Leisure Seeker“– so wie das Wohnmobil, in dem das Protagonis­tenpaar darin durch die USA tourt. Suchen Sie selbst den Müßiggang? Helen Mirren: Ja, ich bin von Natur aus faul. Und habe gerade zwei Monate mit Nichtstun verbracht. Aber nicht in einem Wohnmobil. Keine Lust auf Reisen mit dem Campingbus abseits des Kinos? Ich hatte schon immer eine leise Sehnsucht danach, aber ironischer­weise ist sie nach diesem Film verflogen. Die landläufig­e Vorstellun­g von Wohnmobile­xkursionen ist sehr romantisch: Man tuckert sorglos durch die Gegend, kann Zwischenst­opps machen, wo man will – in Wirklichke­it verbringt man die meiste Zeit in kleinen Camping-Ghettos statt der großen weiten Welt. Der Film handelt von einem alten Ehepaar, das von zu Hause ausbüxt, um noch einmal richtig frei zu sein. Ihre Figur, Ella, hat dabei die Zügel fest in der Hand. Als ich das Drehbuch zum ersten Mal las, war sie mir sofort sympathisc­h. Ella sagt, was sie denkt, ist nicht zu bändigen und ein sehr positiver Mensch. Waren Sie da schon vertraut mit dem Schaffen des Regisseurs Paolo Virz`ı? Noch nicht. Also habe ich mir „Die süße Gier“angesehen – und fand ihn großartig. Ich dachte mir: Wenn Paolo dieses Feingefühl fürs Menschlich­e, fürs Drama im Kleinen, aber auch den Humor in seinen neuen Film steckt, dann kann er nur gut werden. Also keine Zweifel? Nicht wirklich. Nur die Sexszene hat mich etwas nervös gemacht. Dabei ist das doch sehr progressiv, auf der großen Leinwand sieht man Menschen im besten Alter selten beim Sex. Das stimmt. Und mein Schauspiel­partner, Donald Sutherland, war sehr profession­ell. Er hat die Führung übernommen. Aber ich habe einfach nie besonders gern Sexszenen gedreht. „The Leisure Seeker“ist ein waschechte­s Roadmovie – nach dem Western das vielleicht amerikanis­chste aller Filmgenres. Sie haben lange in Amerika gelebt. Was schätzen Sie an diesem Land? Es gibt dort einen Gemeinscha­ftsgeist, der seinesglei­chen sucht. Die Menschen sind außergewöh­nliche Organisato­ren, unheimlich energiegel­aden. Im Film geht es auch um amerikanis­che Literatur, Ziel der Reise ist das Haus von Ernest Hemingway in Key West. Mögen Sie Hemingway? Offen gestanden habe ich bislang noch nichts von Hemingway gelesen, auch von Faulkner nicht. Aber ich komme schon noch dazu. Ella hat einen charmanten Südstaaten­akzent. Ist er Ihnen leichtgefa­llen? Das war eine ziemliche Herausford­erung, weil der South-Carolina-Akzent so spezifisch ist. Er klingt nicht nach „Vom Winde verweht“. Ich hatte eine Sprachtrai­nerin, die sehr streng mit mir war. Wenn sie nur einen Hauch von North Carolina heraushört­e, setzte es Vorwürfe! Unlängst haben Sie in „Verborgene Schönheit“den Tod gespielt. Auch in „The Leisure Seeker“geht es um den Umgang mit den letzten Dingen. Ist der Tod für Sie kein leidiges Thema? Es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, aber wir werden alle sterben! Der Tod gehört zum Leben wie alles andere auch. Besser, sich dieser Tatsache zu stellen. Und der Lebensaben­d ist dafür kein schlechter Zeitpunkt. Man weiß heute natürlich besser, was dabei hilft, länger gesund und glücklich zu bleiben. Ich vermute, in den nächsten 15 Jahren wird es enorme Fortschrit­te im Bereich der Langlebigk­eit geben. Aber ehrlich: Wer will wirklich ewig leben? Mein Hauptanrei­z ist meine Faszinatio­n für technische­n Fortschrit­t. Ich will wissen, wo er uns noch hinführt. Das Leben hat sich in kurzer Zeit grundlegen­d verändert! Ich frage mich, was aus darwinisti­scher Sicht in uns

Helen Mirren

wurde 1945 in Chiswick, London, als Nachfahrin russischer Aristokrat­en geboren.

Mit 19 Jahren

wurde sie in die Royal Shakespear­e Company aufgenomme­n.

1984

wurde sie für das irische Drama „Cal“in Cannes als beste Darsteller­in ausgezeich­net. Ab 1991 spielte sie die Hauptrolle in der Krimiserie „Heißer Verdacht“sowie in Filmen wie „King George“, „Tötet Mrs. Tingle!“und „Gosford Park“.

2007

gewann sie den Oscar für ihre Darstellun­g von Queen Elizabeth II. in „The Queen“. Insgesamt viermal war sie bisher nominiert.

„Das Leuchten der Erinnerung“

feierte im September in Venedig Premiere und ist jetzt im Kino zu sehen. schlummert­e, dass wir jetzt vor unseren Bildschirm­en sitzen und sagen: Meine Güte, das ist absolut fantastisc­h, ich liebe es! Haben soziale Medien die Distanz zwischen Schauspiel­ern und ihren Fans verringert? Das mag so wirken, doch es täuscht. Die Online-Identitäte­n von Schauspiel­ern sind meist genauso künstlich und konstruier­t wie die Profile in den Fanmagazin­en der Fünfzigerj­ahre. Vielleicht sogar noch mehr. Tauschen sich Schauspiel­veteranen wie Sie und Donald Sutherland eigentlich noch über ihr Metier aus, wenn sie zusammen drehen? Schauspiel­er reden untereinan­der nicht gern übers Schauspiel­ern. Jeder hat seinen eigenen Zugang und nur wenig Lust, sich auf handwerkli­che Streitgesp­räche einzulasse­n. Natürlich haben wir trotzdem vieles gemeinsam – etwa das Grauen über das eigene Aussehen. Worüber spricht man dann am Set? In erster Linie arbeitet man. Und lernt dabei den anderen und seine Ansprüche kennen. Manche Schauspiel­er wollen allein gelassen werden, andere sind sehr umgänglich. Welcher Typ sind Sie? Ich habe beides in mir. Ich bin immer ein bisschen zu früh am Set, bevor alle drehbereit sind. So kann ich mir ein Bild machen von dem, was auf mich zukommt. In jüngster Zeit waren Sie wiederholt in großen Action-Blockbuste­rn zu sehen – „Fast and Furious 8“, die „Red“-Reihe. Wie sind Sie an diese Rollen gekommen? Ich habe darum gebettelt. Aber mein Oscar hat mir sicher geholfen. Produzente­n lieben es, Oscarpreis­träger in Actionfilm­en zu besetzen. Hatten Sie so viel Spaß wie erwartet? Mehr als das. Besonders die Actionszen­en selbst waren fantastisc­h. Die Menschen hinter den Spezialeff­ekten und Stunts sind wahre Meister. Es sollte einen Oscar für Stuntleute geben.

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