Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Scheiß-Sturm. Dass sich an einem Neujahrsbaby Hass entzündet, ist wohl wirklich eine Story. Im Allgemeinen werden Shitstorms aber überbewertet.
Der Sohn eines Pastors war Abenteurer, Journalist, Geheimdienstler, Abgeordneter und Spitzenbeamter. Berühmt wurde John Buchan aber als Schriftsteller, seine „39 Stufen“gelten als Wegbereiter des Thriller-Genres. In seinem einzigen Kinderbuch fasst er ganze Psychologiebücher in den einen lapidaren Satz: „Zu merken, dass jemand vor dir Angst hat, ist eine wunderbare Kur für deine eigenen Ängste.“
Verunsicherte Menschen handeln oft so: Sie wenden sich gegen jene, die so schwach sind, dass man sogar noch als Schwächling Angst zu machen hofft. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass es viele Hasspostings gegen Asel gab, das Wiener Neujahrsbaby mit Migrationshintergrund. Eine so wehrlose Migrantin bietet die perfekte Gelegenheit, risikolos vor jener Gruppe Imponiergehabe zu zeigen, von der man sich bedroht fühlt.
Die Neujahrsbaby-Story gibt also Einblick in die Niedertracht. Aber macht sie eine Entwicklung deutlich? Die einzige, die hier echt sichtbar wird, ist, dass sich mittlerweile wohl schon alle Vollpfosten aufs Posten verstehen. Es mag sein, dass ihre Zahl wächst. Aber es kann auch sein, dass von den paar, die es immer gibt, einfach nur ein immer größerer Teil den Send-Button beherrscht.
Damit im Zusammenhang steht eine mediale Überbewertung von Social-Media-Shitstorms. Sicherlich, es wurden schon Leute von einer Hasswelle in den Selbstmord getrieben. Aber gesellschaftlich sind Shitstorms meist kurzlebig und folgenlos. Nur Journalisten halten einen Shitstorm für eine Story. Dabei gibt es nicht einmal Kriterien dafür, was ein Shitstorm ist. 100 böse Postings? 50? Medienberichte, wonach dies oder das einen Shitstorm oder eine nicht näher dimensionierte „Hasswelle“im Netz ausgelöst habe, unter Zitierung von zwei oder drei „Originalstimmen“, sind entbehrlicher Journalismus. Er gibt dem Ganzen mehr Gewicht, als es hat.
Dass Asel so viel Bodensatz aufgewirbelt hat, dass sogar die Boulevardmedien ihre Kommentarfunktionen sperren mussten, ja, das ist schon eine Nachricht. Und Hashtag-Kampagnen können tatsächlich Prozesse auslösen, siehe metoo. Und es mag sein, dass der Mob wächst. Aber es ist nun einmal auch so, dass das Internet es erstmals möglich macht, dass Unmutsäußerungen, die man sich früher nur gedacht oder am Stammtisch ausgetauscht hat, nun für alle sichtbar gemacht und gesammelt werden. Und das jedes Mal zum Ereignis hochzustilisieren, macht eine Gesellschaft nur hysterisch.
Und damit zum Wichtigsten: Viel Glück und Segen, Dir, kleine Asel, und Deiner Familie! Und fürchtet Euch nicht! Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.