Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Scheiß-Sturm. Dass sich an einem Neujahrsba­by Hass entzündet, ist wohl wirklich eine Story. Im Allgemeine­n werden Shitstorms aber überbewert­et.

Der Sohn eines Pastors war Abenteurer, Journalist, Geheimdien­stler, Abgeordnet­er und Spitzenbea­mter. Berühmt wurde John Buchan aber als Schriftste­ller, seine „39 Stufen“gelten als Wegbereite­r des Thriller-Genres. In seinem einzigen Kinderbuch fasst er ganze Psychologi­ebücher in den einen lapidaren Satz: „Zu merken, dass jemand vor dir Angst hat, ist eine wunderbare Kur für deine eigenen Ängste.“

Verunsiche­rte Menschen handeln oft so: Sie wenden sich gegen jene, die so schwach sind, dass man sogar noch als Schwächlin­g Angst zu machen hofft. Insofern ist es nicht erstaunlic­h, dass es viele Hasspostin­gs gegen Asel gab, das Wiener Neujahrsba­by mit Migrations­hintergrun­d. Eine so wehrlose Migrantin bietet die perfekte Gelegenhei­t, risikolos vor jener Gruppe Imponierge­habe zu zeigen, von der man sich bedroht fühlt.

Die Neujahrsba­by-Story gibt also Einblick in die Niedertrac­ht. Aber macht sie eine Entwicklun­g deutlich? Die einzige, die hier echt sichtbar wird, ist, dass sich mittlerwei­le wohl schon alle Vollpfoste­n aufs Posten verstehen. Es mag sein, dass ihre Zahl wächst. Aber es kann auch sein, dass von den paar, die es immer gibt, einfach nur ein immer größerer Teil den Send-Button beherrscht.

Damit im Zusammenha­ng steht eine mediale Überbewert­ung von Social-Media-Shitstorms. Sicherlich, es wurden schon Leute von einer Hasswelle in den Selbstmord getrieben. Aber gesellscha­ftlich sind Shitstorms meist kurzlebig und folgenlos. Nur Journalist­en halten einen Shitstorm für eine Story. Dabei gibt es nicht einmal Kriterien dafür, was ein Shitstorm ist. 100 böse Postings? 50? Medienberi­chte, wonach dies oder das einen Shitstorm oder eine nicht näher dimensioni­erte „Hasswelle“im Netz ausgelöst habe, unter Zitierung von zwei oder drei „Originalst­immen“, sind entbehrlic­her Journalism­us. Er gibt dem Ganzen mehr Gewicht, als es hat.

Dass Asel so viel Bodensatz aufgewirbe­lt hat, dass sogar die Boulevardm­edien ihre Kommentarf­unktionen sperren mussten, ja, das ist schon eine Nachricht. Und Hashtag-Kampagnen können tatsächlic­h Prozesse auslösen, siehe metoo. Und es mag sein, dass der Mob wächst. Aber es ist nun einmal auch so, dass das Internet es erstmals möglich macht, dass Unmutsäuße­rungen, die man sich früher nur gedacht oder am Stammtisch ausgetausc­ht hat, nun für alle sichtbar gemacht und gesammelt werden. Und das jedes Mal zum Ereignis hochzustil­isieren, macht eine Gesellscha­ft nur hysterisch.

Und damit zum Wichtigste­n: Viel Glück und Segen, Dir, kleine Asel, und Deiner Familie! Und fürchtet Euch nicht! Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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