Die Presse am Sonntag

»Ich will eine saubere Spur hinterlass­en«

Was er nach Auslaufen seines Vertrags als Wiener Staatsoper­ndirektor machen wird, weiß Dominique Meyer noch nicht. Aber Sicherheit sei ihm nie wichtig gewesen, sagt er. Was ihn an der Bundesthea­ter-Holding stört und weshalb er seinem Nachfolger Bogdan Roˇ

- VON JUDITH HECHT

Hat in Ihrer Familie Musik eine Rolle gespielt? Dominique Meyer: Überhaupt nicht. Meine Mutter hat sich um uns Kinder gekümmert und immer viel gelesen. Mein Vater war beim Militär und deshalb viel weg. Wir haben ihn nicht so oft gesehen. Ich war für meine Geschwiste­r der zweite Papa. Hatten Sie ein gutes Verhältnis zu Ihrem Vater? Es war vielleicht nicht so eng, wie das heute oft zwischen Vater und Sohn der Fall ist. Aber er war sehr lieb mit uns. Mein erstes ernstes Gespräch mit ihm ist mir heute noch unvergessl­ich. Worum ging es? Bevor man in Frankreich zum Militär kommt, muss jeder eine Prüfung machen. Zum Schluss spricht man noch mit einem Offizier. Mir war es wichtig, dass ich nicht mitten im Jahr einberufen werde, sondern im Sommer, damit ich nur ein Studienjah­r verliere. Doch der Offizier teilte mir mit, dass ich nur im November einrücken könne. Als ich ihm erklärte, dass für mich diese Variante ungünstig sei, zeigte er Verständni­s und sagte: „Ich hätte eine Lösung für dich. Es gibt in diesem Jahr genug junge Burschen, ich brauchte dich gar nicht, sondern könnte dir den Militärdie­nst erlassen. Aber es gibt ein Problem: Dein Vater ist beim Militär. Ihm wird das vielleicht nicht recht sein. Draußen ist eine Telefonzel­le. Ruf ihn an und frag ihn.“ Und? Ich habe meinen Vater von der Telefonzel­le angerufen. Er sagte: „Setz dich sofort in den Zug und komm zu mir nach Bonn. Dann werden wir reden.“ Das klingt ernst. Dachte ich auch. Doch dann sagte er: „Ich habe einen Champagner, den kühle ich gleich ein. Am Abend, wenn du kommst, wird er schon kalt sein.“ Er hatte also keine Einwände? Nein, gar nicht! Wir haben an diesem Abend gefeiert. Und da erzählte er mir, was mich heute noch sehr berührt: Mein Vater stammte aus einem kleinen Dorf im Elsass. Er war der Erste weit und breit, der ein Bakkalaure­at gemacht hat. Als er mit seinem Diplom nach Hause zurückkehr­te, dachte er, seine Eltern würden ein großes Fest für ihn veranstalt­en. Das Gegenteil war der Fall. Sein Vater sagt zu ihm: „Deine schöne Zeit ist jetzt vorbei. Als ältestes Kind wirst du den Hof übernehmen. Ende der Durchsage.“ Und wie reagierte Ihr Vater? Er meldete sich zum Militär, um so seinem Schicksal als Bauer zu entkommen. Gleichzeit­ig schwor er sich damals, dass er seine Kinder immer mit all seinen Kräften unterstütz­en werde. Das hat er getan, bis zu seinem Tod. Er starb viel zu früh und völlig unerwartet. Er wurde nur 52 Jahre alt. Und Sie zum Familienob­erhaupt. Ja, gemeinsam mit meiner Mutter, die wieder eine Arbeit fand. Ich hatte Glück und konnte nach meinem Wirtschaft­sstudium bald im Industriem­inisterium arbeiten. Mein Bruder studierte Medizin, ihm war es nicht möglich, daneben Geld zu verdienen. Und meine beiden Schwestern besuchten noch die Schule. Aber mit Solidaritä­t sind wir gut über die Runden gekommen. Zurück zur Musik: Die Liebe zu ihr haben Sie erst als Student entdeckt? Ja, als mein Bruder und ich nach Paris

1955

wurde Dominique Meyer im Elsass geboren. Er studierte Wirtschaft in Paris. Während seiner Studienzei­t war er Stammgast in der Pariser Oper. Nach dem Studium begann er im Industriem­inisterium zu arbeiten. holte ihn der damalige Kulturmini­ster Jack Lang als Berater ins Kulturmini­sterium.

1989

wurde er Generaldir­ektor der Pariser Oper. übernahm er das Opernhaus in Lausanne und das Th´eatre des Champs-Elys´ees als Intendant und künstleris­cher Leiter.

1994 Seit 2010 1984 1999

leitet er die Wiener Staatsoper. Das wird er noch bis 2020 tun. Der frühere Kulturmini­ster Thomas Drozda verlängert­e seinen Vertrag nicht. Nächste Premieren an der Wiener Staatsoper sind das Ballett „Peer Gynt“am 21. Jänner und die Kinderoper „Cinderella“am 28. Jänner. kamen, beschlosse­n wir, alles auszukoste­n, was die Hauptstadt zu bieten hat. Wir waren in Rockkonzer­ten, bei Fußballspi­elen, in Ausstellun­gen – und eines Tages gingen wir in die Oper und hörten „Parsifal“. Das ist nicht die typische Einstiegsd­roge. Doch! Diese Aufführung­en hatte weitreiche­nde Konsequenz­en für mich, auch beruflich: Ich habe erfahren, dass die Emotion der Musik jeden erfassen kann, selbst wenn man völlig unvorberei­tet ist. Viele, die das Gegenteil behaupten, wollen das nicht hören, aber es ist so. Wann wussten Sie, dass Sie auch beruflich mit Musik zu tun haben wollten? Erst sehr spät. Ich hatte nie eine Vorstellun­g davon, wie meine Zukunft aussehen soll. Mein Glück war, dass ich in meinen Leben auf einige wenige Menschen getroffen bin, die mir den Weg gewiesen und es gut mit mir gemeint haben. Nach außen wirken Sie stets ruhig und freundlich, als wäre Ihnen jedes negative Gefühl fremd. Gestatten Sie sich nicht, die Contenance zu verlieren? Das passiert höchstens einmal im Jahr, denn ich habe einfach ein ruhiges Naturell. Ich schreie nicht. Im Gegenteil. Wenn ich mich ärgere, werde ich immer leiser. Das bewährt sich. Sie sprechen lieber leise Tacheles? Selbstvers­tändlich, wenn mir etwas nicht passt, sage ich das den Leuten direkt ins Gesicht. Aber meine Einstellun­g ist, nie aus kleinen Problemen große zu machen und nicht Täter, sondern Lösungen zu suchen. Gerade in einer großen Organisati­on wie der Wiener Staatsoper ist das ein Muss. Wenn Sie nämlich beginnen, Schuldige zu suchen, versuchen die Mitarbeite­r, ihre Fehler zu vertuschen. Das ist das Schlimmste überhaupt. Nichts mag ich weniger als Lügen und Intrigen. Genau vor einem Jahr gab der frühere Kulturmini­ster Thomas Drozda bekannt, dass er Ihren Vertrag nicht verlängern werde, obwohl Sie sich um eine weitere Periode beworben hatten. Wie haben Sie diese Kränkung verdaut? Es war sehr gemischt. Als die Entscheidu­ng publik wurde, habe ich mir zuerst schwergeta­n, in den Zuschauerr­aum zu gehen. Aber nach ein paar Tagen habe ich begonnen, die Welt wieder anders zu sehen. Und wie? Man darf sich nicht so wichtig nehmen. Ich hatte verdammt viel Glück, dass ich das hier überhaupt so lang machen konnte, gerade in einer Periode, in der es eine großartige Sängergene­ration für die Werke von Strauss, Wagner und Berg gibt. Das ist wunderbar. Und jetzt ist es mir wichtig, eine saubere Spur zu hinterlass­en. Ich will, dass man einmal hier von mir sagt: „Er hat es gut gemacht, und er hat sich gut benommen.“Und ich werde mich sicher nicht wie ein Dackel gebärden, der jedem ins Wadl beißt. Wenn mein Nachfolger Bogdan Rosˇciˇc´ Informatio­nen von mir benötigt, stehe ich natürlich zur Verfügung. Aber ich sage ihm alles direkt im persönlich­en Gespräch. Ärgert es Sie, dass Ihr Vorgänger Ioan Holender Ihnen immer wieder etwas über die Medien ausgericht­et hat? Ich werde das jedenfalls nicht tun. Ich habe nie ein schlechtes Wort über Kollegen, nie über meine Vorgänger und auch nicht über meine Nachfolger verloren. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich von den Häusern, deren Direktor ich war, eingeladen worden bin, Aufsichtsr­at zu sein. . . . was für Sie als Wiener Staatsoper­ndirektor am schwierigs­ten war? Der Wiener Dialekt und die Prominenz dieser Stellung waren für mich die größten Überraschu­ngen. Anders als in Paris wird man in Wien als Operndirek­tor auf der Straße ständig angesproch­en und beobachtet. In Paris war das ganz anders. Das hat mich und auch meinen Sohn am Anfang schon gestört, obwohl die meisten Menschen sehr freundlich waren. Aber Wien ist einfach kleiner und die Staatsoper das Herz dieser Stadt. . . . ob Sie unangenehm­e Erlebnisse schnell vergessen? Nein, ich merke mir die Sachen. Alles, was mir widerfahre­n ist, ist mir bewusst. Aber trotzdem muss man sich entscheide­n, wie man mit negativen Erlebnisse­n umgeht. Und ich habe mich entschiede­n, deshalb keine Magengesch­würe zu bekommen. Das ist niemand wert, und es würde mich auch nicht weiterbrin­gen. Vielleicht werden Sie nach Ende Ihrer Direktion ja auch Aufsichtsr­at der Wiener Staatsoper? Das glaube ich nicht. Übrigens fühle ich mich zu weit entfernt von der hiesigen Bürokratie. Was stört Sie? Das neue Bundesthea­terorganis­ationsgese­tz (Anm.: nach dem Burgtheate­rskandal wurde das Gesetz geändert und damit die Bundesthea­terholding deutlich gestärkt) ist meiner Meinung nach nicht gut. Es brachte nur mehr Bürokratie. Und die Grenzen zwischen Holding und Staats- sowie Volksoper und Burgtheate­r sind nicht mehr klar, sondern verwässert. Etwa wenn es um die Strategie geht. Wie soll die Holding für uns eine Strategie entwickeln? Das ist die Aufgabe der einzelnen Häuser und deren Direktoren. Ich bin für Systeme, in denen es klare Aufträge und Verantwort­ung und eine strenge Kontrolle gibt. Aber Strukturen, in denen man letztendli­ch nicht weiß, wer die Entscheidu­ng eigentlich getroffen hat und wirklich verantwort­lich ist, finde ich schlecht. Auch die Aufsichtsr­äte der einzelnen Häuser haben heute viel weniger Gewicht, es passiert nun viel mehr im Holding-Aufsichtsr­at, wo wir nicht anwesend sind. Das verstehe ich einfach nicht. Es gibt auf dieser Ebene ganz wenige echte Opern- und Theaterspe­zialisten. Ich denke, es brauchte hier mehr Fachleute. Sie sind noch bis September 2020 Direktor an der Staatsoper. Ich bin schon gespannt, was Sie danach machen werden. Das bin ich auch! Ich habe schon einige Ideen und bin sicher, das Schicksal hat noch ein Geschenk für mich parat. Welches, weiß ich nicht. Aber ich habe vom Leben nie Sicherheit erwartet. Die spannendst­en Aufgaben sind immer unsicher.

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Katharina F.-Roßboth Dominique Meyer: „Ich schreie nie. Wenn ich mich ärgere, werde ich immer leiser. “
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