Von tiefen Gräben und schwarzen Gruben
Die Spaltung zwischen dem ostukrainischen Separatistengebiet und den regierungskontrollierten Landesteilen vertieft sich. Auch deshalb, weil die Ukraine wegen innerer Wirren immer weniger das ist, was sie sein wollte: ein Vorbild.
Mit kohlschwarzen Gesichtern erscheinen die Mitglieder der Expertenkommission wieder an der Erdoberfläche. Es ist ein wolkenverhangener Tag, und die Szenerie aus Förderbändern, Güterwaggons und Abraumhalden wirkt desolat. Doch die Männer mit Helm und Kopflampe haben eine frohe Botschaft für die Umstehenden: Im traditionsreichen Kirow-Schacht von Makeewka wird ab sofort wieder Kohle abgebaut! Ein Mitglied spult die Fakten herunter: Es handle sich um einen Flöz in 520 Meter Tiefe, 295 Meter lang, vorrätig seien dort 225.000 Tonnen Kohle, und deren Qualität „ausgezeichnet“. „Die Lagerstätte ist zum Abbau freigegeben“, sagt er feierlich.
Seit fast vier Jahren herrscht Krieg im ostukrainischen Donbass. Die Wirtschaft der Region, die auf Bergbau und Metallurgie gründet, liegt danieder. Viele Großbetriebe sind beschädigt und stehen still – so wie der Kirow-Schacht seit letztem August, wenngleich hier technische Probleme den Abbaustopp erzwangen. Nun scheint die Zukunft der 1356 Bergleute gerettet. Dass der Schacht aber Gewinn abwirft, erwartet niemand. „Wir bemühen uns, auf eine Null zu kommen“, sagt der Direktor des örtlichen Bergbaubetriebs Makeewugol, Taras Sidorenko, in die Mikrofone.
Makeewka liegt in dem Gebiet, das von den prorussischen Separatisten kontrolliert wird. Offiziell heißt es, dass die hiesige Kohle zum Betrieb des lokalen Heizkraftwerks verwendet wird. Fürsprecher der kleinen Leute. Dass in den Bergwerken weitergegraben wird, obwohl sie nicht rentabel sind, hat noch andere Gründe. Die aus der Sowjetära stammenden Zechen sind Teil der Identität des Donbass. Die Separatisten haben sich als Fürsprecher der kleinen Leute geriert und die Sowjetnostalgie zur Staatsräson erhoben. Bergwerkschließungen passen da nicht ins Bild. Schon jetzt stehen viele Kumpel auf der Straße. Traten sie zu Beginn des Konflikts massenweise in die Reihen der Bewaffneten ein, werden sie nun nicht mehr gebraucht. Sie sind eine soziale Last, ein Risiko. Doch darüber hört man hier nichts. „Unsere Donezker Volksrepublik soll wertvolle Kohle in würdiger Qualität bekommen“, sagt Sidorenko. Am Abend wird die Erfolgsgeschichte in allen Lokalmedien laufen.
Nach dem Abblenden der Kameras stellt der Pressebeauftragte der Stadt Makeewka eine rhetorische Frage: Man könne doch wohl davon ausgehen, dass die Berichterstatterin der „Presse am Sonntag“eine loyale Journalistin sei. Die Antwort fällt nicht zufriedenstellend aus. „Verstehe.“Der junge Mann reagiert indigniert. „Aber schließlich hat man Sie doch hereingelassen!“
Es gab eine Zeit, da pilgerten Journalisten zuhauf in das Donezker Separatistengebiet. Das war in den Anfangstagen des prorussischen Aufstandes im Frühling 2014, als den ukrainischen Behörden die Macht entglitt und manche einfach die Seiten wechselten. Im Sommer, als die Armee bis an den Stadtrand von Donezk herangerückt war und Artilleriegefechte tobten. Als die Separatisten den Flughafen einnahmen und das ukrainische Militär mit Hilfe russischer Panzerfahrer aus Debalzewe vertrieben wurde. Aber nun? Aus den Schützengräben wird geschossen, doch die Front bewegt sich kaum. Ein verbissener Stellungskrieg, jede Woche ein paar Tote, zu wenig für Schlagzeilen.
Um die Separatistengebiete ist es still geworden. Westlichen Journalisten wird die Akkreditierung für die selbst ernannte Donezker Volksrepublik gern verweigert. Jene, die einreisen dürfen, werden durchaus freundlich betreut. Im täglichen E-Mail-Newsletter wird ein buntes Angebot an Terminen präsentiert. Inhaltlich liegen sie alle auf Separatistenlinie – wie die Wiederinbetriebnahme des Kirow-Schachts.
Oder die Wahl zur Miss Donbass, die in Rinat Achmetows Hotel Shakhtar Plaza abläuft. Der Oligarch Achmetow musste im Frühling 2014 seine Heimatstadt verlassen, doch noch immer sind einige seiner Unternehmen in Betrieb. So wie auch das gläserne Luxusdomizil, in dem junge Frauen aus der Separatistenrepublik und den „zeitweilig besetzten Gebieten“– eine beliebte Chiffre für Städte im ukrainisch kontrollierten Donezker Gebiet, die die Separatisten für sich beanspruchen – um den mit 100.000 Rubel (knapp 1500 Euro) dotierten ersten Platz konkurrieren.
Was ist noch im Angebot? Die Pressekonferenz von Separatistenchef Alexander Sachartschenko, die immer wieder wegen Terminproblemen verschoben wird. Ein Briefing über die Ergebnisse eines Poesiewettbewerbs. Viele Sportevents. Interviews sind schwer zu bekommen. Wer heute in Donezk nach verwertbaren Informationen sucht, findet sie in Gesprächen, in denen die Interviewpartner bitten, ihren Namen nicht zu nennen. Und er wird fündig beim Beobachten des Alltags. Lösung nicht mehr vorstellbar. Versucht man die Atmosphäre in Donezk rund um den Jahreswechsel 2018 in Worte zu fassen, dann ist es wohl schlicht Aussichtslosigkeit – Aussichtslosigkeit auf ein baldiges Ende des Krieges. „Es wird noch lange dauern“, ist oft zu hören, und wie eine Lösung aussehen könnte, kaum mehr vorstellbar. Dass der Donbass für Moskau vor allem ein geopolitischer Spielball ist, hat die in der Region sowieso verbreitete Überzeugung, dass man nur ein Instrument der Mächtigen sei, noch verstärkt. Man fühlt sich betrogen. Im Stich gelassen.
Auch von der Regierung in Kiew. Denn von Donezk aus gesehen ist die Ukraine immer weniger das gute Vor- bild, das sie ihren Bürgern sein wollte. Da sind die inneren Wirren, die Kiew derzeit erschüttern. Und da ist die Wirtschaftsblockade, die seit Frühjahr 2017 Warentransporte in das Gebiet verbietet. Sie hat viele vor den Kopf gestoßen, ebenso wie schon früher der Auszahlungsstopp von Pensionen. Viele Produkte des täglichen Bedarfs sind teurer als im Rest der Ukraine. Auf legalem Wege können Waren nur noch über die Grenze nach Russland in das Separatistengebiet gebracht werden.
Die Blockade ist indes ein Geschenk für die örtlichen Ideologen. Sie erinnern großspurig an die Blockade von Leningrad durch die nationalsozialistischen Truppen. Die Propaganda wirkt. Ein Gesprächspartner sagt entnervt: „Die Ukrainer wollen nur das Territorium, aber nicht die Menschen.“ Auf das Volk vergessen. Doch unzufrieden ist man auch mit dem eigenen Führungspersonal. Ein Ex-Kämpfer beschwert sich über die neuen Herren der „Volksrepublik“. Diese hätten doch glatt auf das Volk vergessen, sagt der Mittfünfziger. Im Kampf hat er sein Leben riskiert und wurde verwundet. Reich ist er nicht geworden. „Es setzen sich immer die Frechsten durch“, lautet sein bitteres Fazit.
In den Anfangstagen der Separatisten waren die Feldkommandanten die Herren von Donezk. Jetzt, wo sie mehrheitlich ausgeschaltet und ihre Bataillone in die offiziellen Streitkräfte integriert sind, geht es um die ökonomische Macht. Und die hat Separatistenchef Sachartschenko zwischen seiner Familie und ein paar Vertrauensleuten aufgeteilt. Begehrt sind Betriebe, die man ungeliebten Oligarchen abgenommen hat, oder solche, die dem ukrainischen Staat gehörten. Gosudarstwennoje predprijatie, kurz GP, heißt auf Russisch Staatsbetrieb. Das Führungspersonal, die „GPschniki“, sind die neuen wichtigen Männer in Donezk.
Die Zeit des Reporterandrangs ist vorbei, eine Akkreditierung zu bekommen schwierig. Wer die Front überquert, muss die Donezker Nummernschilder entfernen.
Wieder eine Beobachtung: Herrschte vor zwei Jahren noch akuter Benzinmangel im Separatistengebiet – lange Schlangen an den Tankstellen gehörten zum Alltag –, ist das Problem mittlerweile gelöst. Und der Markt konsolidiert. Anstelle früherer ukrainischer Tankstellen – darunter der von Oligarch Achmetow – sind solche des Republikanischen Kraftstoffunternehmens ( GP RTK) in weiß-grünem Design entstanden. GP RTK hat mit mehr als 50 Tankstellen das nunmehr größte Netz in der Separatistenrepublik. Alexander Timofejew, Minister für Einnahmen und Gebühren, soll diesen Geschäftszweig kontrollieren. Er gilt als einflussreiche „Nummer zwei“in den Donezker Kreisen. Laut dem ukrainischen Internetmagazin Liga.net sind die Organisatoren des Handels in der Firma „Promsyrjeimport“zu suchen, die dem russischen Energieministerium gehört.
Apropos Transport: Auch die Autokennzeichen der Separatisten mit ihren schwarz-blau-roten Fähnchen sind immer häufiger auf den Straßen zu sehen. Bis August 2018 werden sie Pflicht. Für die Bürger bedeutet das künftig viel Schraubarbeit und noch mehr Versteckspiel. Denn auf der anderen Seite der Frontlinie müssen die alten, ukrainischen Nummern angebracht werden. Die Donezker Kennzeichen sind dort illegal. Das Durchwursteln zwischen zwei verfeindeten Realitäten wird im Donbass zur Lebensweise, der Zwang zum So-tun-als-ob zum notwendigen Navigator im Alltag.