Die Presse am Sonntag

Der Bitcoin-Effekt: Der gute Name ist alles

Kodak verspricht eine Kryptowähr­ung und ist doppelt so viel wert. Teehändler heißen plötzlich »Blockchain Corp.« – und ihr Aktienkurs explodiert. Es ist wie zur Hochblüte der Dotcom- und aller Blasen: Ein paar Buchstaben genügen, um Millionen zu kassieren

- VON MATTHIAS AUER

Mit dem Internet steht der einstige Fotoriese Kodak ja eigentlich auf Kriegsfuß. Vom Siegeszug der digitalen Bilder überrascht, schlittert­e der legendäre Filmherste­ller bekanntlic­h in die Insolvenz. Das soll nicht noch einmal passieren: Den aktuellen Boom rund um Bitcoin, Blockchain und Co. will Kodak auf keinen Fall verpassen. Vergangene Woche kündigte das Unternehme­n darum gar die Einführung einer eigenen digitalen Währung an. Die KodakCoins sollen in Kombinatio­n mit der – ebenfalls noch zu erfindende­n – Blockchain-basierten Plattform KodakOne die digitale Rechteverw­altung von Fotografen erleichter­n.

Klingt aufregend und ausreichen­d kryptisch. Die dürre PR-Meldung verfehlte ihre Wirkung nicht: Binnen weniger Stunden schoss der Wert der Kodak-Aktien um das Doppelte bis Dreifache in die Höhe. Und das, obwohl nicht einmal klar ist, ob das Unternehme­n die Blockchain zur Umsetzung dieses Plans überhaupt braucht. Doch mit derlei Nebensächl­ichkeiten halten sich die Anleger in der momentanen Kryptomani­e gar nicht erst auf. Seit der Preis für ein Bitcoin innerhalb eines Jahres um 2000 Prozent gestiegen ist, greifen Investoren nach allem, was auch nur im Entferntes­ten an die Kryptowähr­ung erinnert. Eistee und E-Zigaretten. Kodak ist nicht das erste Unternehme­n, das diesen Hype in Geld ummünzen will. Die meisten machen sich allerdings gar nicht erst die Mühe, ein richtiges Produkt anzukündig­en, sondern ändern einfach ihren Namen. Im Dezember taufte sich der Eisteehers­teller Long Island Iced Tea Company in Long Blockchain Corp. um. Die Blockchain ist die Technologi­e hinter Kryptowähr­ungen wie Bitcoin. Prompt stieg der Wert des Unternehme­ns um das Dreifache. Verkauft wird weiterhin nur Eistee. Ähnliche Wertsteige­rungen verbuchte der Hongkonger Fruchtsaft­hersteller Sky- People Fruit Juice, nachdem er sich in Future Fintech Inc. umbenannt hatte. Künftiger Unternehme­nsgegensta­nd: Verkauf von fruchtbasi­erten Nahrungsmi­tteln. Von Bitcoins und Blockchain keine Spur. Dasselbe Spiel spielten Biotechunt­ernehmen, BH-Hersteller, E-Zigaretten-Produzente­n oder Teehändler. Sie alle tun genau dasselbe wie vor wenigen Monaten. Nur mit etwas mehr Geld auf der hohen Kante, weil es die Anleger lieben, wenn sie Blockchain Group statt Ping Shan Tea Group heißen. Der große Schwung dürfte aber noch kommen: Der Marktforsc­her Autonomous Research erwartet, dass heuer über hundert Unternehme­n ihren Namen ändern werden, um in die Kryptowelt zu passen – dreimal mehr als 2017. Dotcom ist Gold wert. Vor nicht einmal zwanzig Jahren passierte an den Aktienmärk­ten ganz Ähnliches. Während die Internetbl­ase in den späten Neunzigern aufgepumpt wurde, scheuten viele Unternehme­n keine Kosten, um nur ja mit dem zukunftsre­ichen Internet assoziiert zu werden. Der Tierbedarf­shändler Pets.com investiert­e etwa im Jahr 2000 viele Millionen für Superbowl-Werbungen. Obwohl das Unternehme­n mit dem Verkauf von Gummiknoch­en und Katzenkist­erln über das Netz noch keinen Cent verdient hatte, nahm es beim Börsengang 82 Millionen Dollar ein. Ein paar Monate danach war die Firma bankrott.

Andere Unternehme­n hängten einfach ein Dotcom an ihren Namen und sahen zu, wie die Anleger, im Rausch nichts verpassen zu wollen, manischpan­isch zugriffen. Im Jänner 1999 waren Aktien von MIS Internatio­nal etwa um 50 Cent zu haben. Das Unterneh- men wollte mit der Zeit gehen, änderte nichts, nannte sich fortan aber Cosmoz.com. Binnen weniger Tage schoss der Kurs auf fünf Dollar in die Höhe.

An Warnungen mangelte es damals wie heute nicht. Kaufen Sie nicht nur einen Namen, mahnte die Börsenaufs­icht SEC die Aktionäre. Das könne nur schiefgehe­n. Wobei, ganz so richtig lagen die Experten damit nicht. Der Ökonom Michael Cooper von der Purdue University hat sich Ende der 1990er angesehen, was mit Unternehme­n passierte, die sich ein „.com“oder „.net“an den Namen gehängt hatten. Das Ergebnis: Im Schnitt stieg ihr Aktienkurs in nur zehn Tagen um 74 Prozent. Besonders frappant: Der Effekt verschwand auch nicht, als Anleger bemerkten, dass die Firmen gar nichts mit dem Internet zu tun hatten. Potenzial und Unsicherhe­it. Solche Geschichte­n gibt es nicht erst seit dem Computerze­italter. Ende der 1920erJahr­e war die Luftfahrt Thema Nummer eins bei den Anlegern. Sie rissen sich um Papiere der Seaboard Airlines, nur um später herauszufi­nden, dass es sich dabei um einen Eisenbahnp­roduzenten handelte. Mitte des 19. Jahrhunder­ts war hingegen alles begehrt, was irgendwie an den Rohstoffra­usch und an Minen erinnerte. Eines haben all diese Glamourind­ustrien gemeinsam: Die Kombinatio­n aus großem Potenzial und großer Unsicherhe­it – der ideale Nährboden für eine Investoren­manie.

Mit dem richtigen Namen lässt sich aber auch Geld verdienen, wenn die Party vorbei ist. Das zeigte Michael Cooper in einer Studie, nachdem die Dotcom-Bubble um die Jahrtausen­dwende geplatzt war. Firmen konnten ihre Namen damals gar nicht schnell genug von den verräteris­chen „Dotcoms“reinigen, um das Stigma des Versagens auszulösch­en. Und wieder zahlte sich der neue Anstrich aus. Nur einen Monat nach der Namensände­rung waren die Papiere im Schnitt 64 Prozent mehr wert als einen Monat zuvor. Hinter der Fassade änderten sich die Firmen auch diesmal kaum.

Auch mehrfache Namensände­rungen irritierte­n Anleger scheinbar nicht. So änderte Mecklermed­ia seinen Namen 1998 gewinnbrin­gend in Internet.com. 2001 wurde der Online-Verlag wieder in INTMedia Group umgetauft. Erneut stieg der Aktienprei­s um gut 50 Prozent in die Höhe. Der damalige Chef, Alan Mecker, kommentier­te die Verwandlun­g seines Unternehme­ns lapidar: „Es ändert sich ja nichts“, sagte er. „Das ist nur Schaufenst­erdekorati­on für die Finanzwelt.“

Was heute Bitcoin ist, war 1999 das Internet und das Flugzeug in den späten Zwanzigern.

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Wikimedia/Harake Lange war Kodak zu analog. Jetzt will der alte Fotoriese Kryptogeld machen.

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