Der Bitcoin-Effekt: Der gute Name ist alles
Kodak verspricht eine Kryptowährung und ist doppelt so viel wert. Teehändler heißen plötzlich »Blockchain Corp.« – und ihr Aktienkurs explodiert. Es ist wie zur Hochblüte der Dotcom- und aller Blasen: Ein paar Buchstaben genügen, um Millionen zu kassieren
Mit dem Internet steht der einstige Fotoriese Kodak ja eigentlich auf Kriegsfuß. Vom Siegeszug der digitalen Bilder überrascht, schlitterte der legendäre Filmhersteller bekanntlich in die Insolvenz. Das soll nicht noch einmal passieren: Den aktuellen Boom rund um Bitcoin, Blockchain und Co. will Kodak auf keinen Fall verpassen. Vergangene Woche kündigte das Unternehmen darum gar die Einführung einer eigenen digitalen Währung an. Die KodakCoins sollen in Kombination mit der – ebenfalls noch zu erfindenden – Blockchain-basierten Plattform KodakOne die digitale Rechteverwaltung von Fotografen erleichtern.
Klingt aufregend und ausreichend kryptisch. Die dürre PR-Meldung verfehlte ihre Wirkung nicht: Binnen weniger Stunden schoss der Wert der Kodak-Aktien um das Doppelte bis Dreifache in die Höhe. Und das, obwohl nicht einmal klar ist, ob das Unternehmen die Blockchain zur Umsetzung dieses Plans überhaupt braucht. Doch mit derlei Nebensächlichkeiten halten sich die Anleger in der momentanen Kryptomanie gar nicht erst auf. Seit der Preis für ein Bitcoin innerhalb eines Jahres um 2000 Prozent gestiegen ist, greifen Investoren nach allem, was auch nur im Entferntesten an die Kryptowährung erinnert. Eistee und E-Zigaretten. Kodak ist nicht das erste Unternehmen, das diesen Hype in Geld ummünzen will. Die meisten machen sich allerdings gar nicht erst die Mühe, ein richtiges Produkt anzukündigen, sondern ändern einfach ihren Namen. Im Dezember taufte sich der Eisteehersteller Long Island Iced Tea Company in Long Blockchain Corp. um. Die Blockchain ist die Technologie hinter Kryptowährungen wie Bitcoin. Prompt stieg der Wert des Unternehmens um das Dreifache. Verkauft wird weiterhin nur Eistee. Ähnliche Wertsteigerungen verbuchte der Hongkonger Fruchtsafthersteller Sky- People Fruit Juice, nachdem er sich in Future Fintech Inc. umbenannt hatte. Künftiger Unternehmensgegenstand: Verkauf von fruchtbasierten Nahrungsmitteln. Von Bitcoins und Blockchain keine Spur. Dasselbe Spiel spielten Biotechunternehmen, BH-Hersteller, E-Zigaretten-Produzenten oder Teehändler. Sie alle tun genau dasselbe wie vor wenigen Monaten. Nur mit etwas mehr Geld auf der hohen Kante, weil es die Anleger lieben, wenn sie Blockchain Group statt Ping Shan Tea Group heißen. Der große Schwung dürfte aber noch kommen: Der Marktforscher Autonomous Research erwartet, dass heuer über hundert Unternehmen ihren Namen ändern werden, um in die Kryptowelt zu passen – dreimal mehr als 2017. Dotcom ist Gold wert. Vor nicht einmal zwanzig Jahren passierte an den Aktienmärkten ganz Ähnliches. Während die Internetblase in den späten Neunzigern aufgepumpt wurde, scheuten viele Unternehmen keine Kosten, um nur ja mit dem zukunftsreichen Internet assoziiert zu werden. Der Tierbedarfshändler Pets.com investierte etwa im Jahr 2000 viele Millionen für Superbowl-Werbungen. Obwohl das Unternehmen mit dem Verkauf von Gummiknochen und Katzenkisterln über das Netz noch keinen Cent verdient hatte, nahm es beim Börsengang 82 Millionen Dollar ein. Ein paar Monate danach war die Firma bankrott.
Andere Unternehmen hängten einfach ein Dotcom an ihren Namen und sahen zu, wie die Anleger, im Rausch nichts verpassen zu wollen, manischpanisch zugriffen. Im Jänner 1999 waren Aktien von MIS International etwa um 50 Cent zu haben. Das Unterneh- men wollte mit der Zeit gehen, änderte nichts, nannte sich fortan aber Cosmoz.com. Binnen weniger Tage schoss der Kurs auf fünf Dollar in die Höhe.
An Warnungen mangelte es damals wie heute nicht. Kaufen Sie nicht nur einen Namen, mahnte die Börsenaufsicht SEC die Aktionäre. Das könne nur schiefgehen. Wobei, ganz so richtig lagen die Experten damit nicht. Der Ökonom Michael Cooper von der Purdue University hat sich Ende der 1990er angesehen, was mit Unternehmen passierte, die sich ein „.com“oder „.net“an den Namen gehängt hatten. Das Ergebnis: Im Schnitt stieg ihr Aktienkurs in nur zehn Tagen um 74 Prozent. Besonders frappant: Der Effekt verschwand auch nicht, als Anleger bemerkten, dass die Firmen gar nichts mit dem Internet zu tun hatten. Potenzial und Unsicherheit. Solche Geschichten gibt es nicht erst seit dem Computerzeitalter. Ende der 1920erJahre war die Luftfahrt Thema Nummer eins bei den Anlegern. Sie rissen sich um Papiere der Seaboard Airlines, nur um später herauszufinden, dass es sich dabei um einen Eisenbahnproduzenten handelte. Mitte des 19. Jahrhunderts war hingegen alles begehrt, was irgendwie an den Rohstoffrausch und an Minen erinnerte. Eines haben all diese Glamourindustrien gemeinsam: Die Kombination aus großem Potenzial und großer Unsicherheit – der ideale Nährboden für eine Investorenmanie.
Mit dem richtigen Namen lässt sich aber auch Geld verdienen, wenn die Party vorbei ist. Das zeigte Michael Cooper in einer Studie, nachdem die Dotcom-Bubble um die Jahrtausendwende geplatzt war. Firmen konnten ihre Namen damals gar nicht schnell genug von den verräterischen „Dotcoms“reinigen, um das Stigma des Versagens auszulöschen. Und wieder zahlte sich der neue Anstrich aus. Nur einen Monat nach der Namensänderung waren die Papiere im Schnitt 64 Prozent mehr wert als einen Monat zuvor. Hinter der Fassade änderten sich die Firmen auch diesmal kaum.
Auch mehrfache Namensänderungen irritierten Anleger scheinbar nicht. So änderte Mecklermedia seinen Namen 1998 gewinnbringend in Internet.com. 2001 wurde der Online-Verlag wieder in INTMedia Group umgetauft. Erneut stieg der Aktienpreis um gut 50 Prozent in die Höhe. Der damalige Chef, Alan Mecker, kommentierte die Verwandlung seines Unternehmens lapidar: „Es ändert sich ja nichts“, sagte er. „Das ist nur Schaufensterdekoration für die Finanzwelt.“
Was heute Bitcoin ist, war 1999 das Internet und das Flugzeug in den späten Zwanzigern.