Zypern leidet noch immer am Bankencrash
Zähe Aufarbeitung der Bankenkrise des Jahres 2013 in Zypern: Erst jetzt wurde ein Entschädigungsfonds für die enteigneten Sparer eingerichtet. Die Manager der Cyprus Popular Bank stehen erst jetzt vor Gericht.
Es war wohl kein Zufall: Mitten im Wahlkampf für die zypriotischen Präsidentenwahlen, die am 28. Jänner stattfinden, erinnerte sich die Regierung an die vielen Opfer der zypriotischen Bankenkrise des Jahres 2013. Das Parlament segnete kaum zwei Monate vor der Wahl 25 Millionen Euro als Grundstein für eine Kasse ab, die zur „teilweisen“Entschädigung der Anleger beitragen soll, wie Finanzminister Harris Georgiades feststellte.
Die Grundzüge der Ereignisse sind den meisten immer noch lebhaft in Erinnerung: Im März 2013 zwang die Europäische Union die Zyprioten, die um Aufnahme in den europäischen Rettungsschirm angesucht hatten, ihren überdimensionalen Bankensektor zu zerschlagen und die Reste mit eigenen Mitteln zu rekapitalisieren. Die EU stellte ein Hilfspaket von zehn Milliarden Euro für Zypern zusammen, schnürte ein Sparprogramm und setzte erstmals in der Geschichte der Union einen sogenannten Bail-in durch, das heißt eine Rettung der Banken unter Beteiligung der Anleger.
Was weniger lebhaft in Erinnerung ist: Über 30.000 Sparer waren von der völligen oder teilweisen „Enteignung“ihrer Guthaben über 100.000 Euro betroffen. Die Einlagen wurden zwangsweise in Aktien der so rekapitalisierten Bank of Cyprus umgewandelt; die Cyprus Popular Bank, der zweite „Dinosaurier“der zypriotischen Bankenszene, wurde abgewickelt – das alles ohne Finanzspritze, ganz im Gegensatz zu Griechenland etwa. Die geprellten Kunden vor allem der Popular Bank haben sich längst organisiert und bilden eine nicht zu unterschätzende Interessensgruppe in der kleinen Inselrepublik. Viele sind Pensionisten, um die Ersparnisse und die Abfertigung eines langen Arbeitslebens gebracht, andere Unternehmer, die Kundengelder am Konto hatten und daher nicht nur ihr Geld verloren, sondern auch plötzlich selbst zu Schuldnern wurden. Noch wenige Tage vor der Schließung der Banken hatten ihnen alle im Land – vom Präsidenten, über den Finanzminister bis hin zum Zentralbankchef – versichert, dass der Rückgriff auf Sparguthaben ausgeschlossen sei. Ob sie sich mit 25 Millionen Euro zufriedengeben werden, ist fraglich.
Wütend sind nicht nur sie. Wer in den dramatischen Märztagen des Jahres 2013 mit Zyprioten sprach, stieß zwar auf die Überzeugung, dass man mit den Schwierigkeiten fertig werden würde, gleichzeitig aber auch auf Unglauben und Wut, dass es soweit kommen konnte. Zypern hat zwar die auf die Krise folgende Rezession schnell überwunden und bereits im Frühjahr 2016 den Rettungsschirm aufgekündigt. Aber der Lebensstandard der Zyprioten ist stark gesunken, wie auch die astronomisch hohe Zahl der unbedienten Kredite zeigt, die über 120 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes ausmachen. Der Schock ist noch lange nicht überwunden. Es ist daher kein Wunder, dass seit 2013 immer wieder versucht wird, die Schuldigen für die Katastrophe zur Verantwortung zu ziehen: Prüfungskommissionen, Parlamentsausschüsse, Gerichte – viele haben in den vergangenen fünf Jahren versucht, Licht in die Vorgänge rund um den zypriotischen Bankenkrach zu bringen. Sündenbock Dimitris Christofias. Zum politischen Sündenbock machte man vor allem Dimitris Christofias, den linkssozialistischen Präsidenten Zyperns in den Jahren 2008 bis Februar 2013. Unter seiner Präsidentschaft sei nicht nur der Staatshaushalt aus dem Ruder gelaufen, heißt es, er habe auch im Bankensektor schwere Fehler gemacht. So stimmte er dem Haircut der griechischen Staatsanleihen, die die zypriotischen Banken hielten, zu, ohne auf Ausgleichsgelder für die schwer geschädigten Kreditinstitute zu pochen; und er habe die Kontrolle über den Bankensektor verloren. Ex-Präsident Christofias argumentiert hingegen, dass in den Krisenjahren nach 2007 alle europäischen Staaten Defizite produziert hätten, und dass ihm im Bankensektor die Hände gebunden gewesen seien – die zypriotische Zentralbank habe nur der Europäischen Zentralbank Rechenschaft ablegen müssen. Er fühlt sich politisch verfolgt und weigert sich, vor Parlamentsausschüssen zu erscheinen. Aber auch sein Nachfolger, der amtierende Präsident Nicos Anastasiades, wurde an seine Verantwortung erinnert. Noch im Februar 2013 hatte er seinen Wählern „garantiert“, dass keine Sparguthaben angegriffen werden würden. Heute bezeichnet er das selbst als seinen „größten Fehler“.
Hauptschuldiger am Bankenkrach ist für die Zyprioten aber ein Toter: der Grieche Andreas Vgenopoulos. Der schillernde olympische Degenfechter, Anwalt, Börsenmakler, Banker und Unternehmer, auf Fotos stets mit der typische Zigarre im Mund abgebildet, ist auf der Insel zur Symbolfigur für die zypriotische Katastrophe geworden. Der Generalstaatsanwalt setzte jahrelang alle Hebel in Bewegung, den ExChef der Cyprus Popular Bank in Zypern zur Rechenschaft zu ziehen, doch er kam zu spät – Vgenopoulos verstarb im November 2016 an einem Herzinfarkt. Erst diesen November, viereinhalb Jahre nach Schließung der Bank, begann ein erster Prozess gegen einige der führenden Manager von Vgenopoulos bei der Popular Bank. Es wird ihnen vorgeworfen, die Anleger Ende 2011 falsch über die finanzielle Situation der Bank informiert und damit den Markt manipuliert zu haben.
Vgenopoulos Stern ging in den griechischen Boomjahren der Nullerjahre auf. Er wurde mit Börsenspekulationen reich und investierte sein Geld mit arabischer Hilfe in den Aufbau eines Firmenimperiums; seine Marfin Investment Group (MIG) ist heute noch einer der größten Arbeitgeber Griechenlands mit Fast-Food-Kette, Fähren, Geburtsklinik und Milchprodukten im Programm. Sein Markenzeichen waren feindliche Firmenübernahmen. 2006 schnappte er sich auch die damalige zypriotische Volksbank. In Griechenland geriet er mit zweifelhaften Methoden in die Schlagzeilen. So belieh die Popular Bank, damals „Marfin“-Bank, befreundete Unternehmen, die in der Folge mit diesem Geld in Kapitalaufstockungen von MIG investierten. Gerichte, Journalisten und Politiker konnten ihm jedoch nichts anhaben. Ein griechischer Zentralbankgouverneur warnte gar vor der Veröffentlichung der Vorwürfe, um nicht die „Stabilität“des griechischen Bankensystems zu gefährden.
Zypern wirft Vgenopoulos vor allem zwei Dinge vor: Erstens hatte er die griechische Tochter mit der zypriotischen Mutterbank fusioniert. Somit haftete die zypriotische Mutter für Ausfälle der Filialen in Griechenland – und musste für faule Kreditausfälle in Milliardenhöhe geradestehen. Zweitens spekulierte die Popular Bank mit griechischen Staatsanleihen, als andere Banken längst ihre Finger von den „giftigen“Produkten ließen. Die Folge waren Milliardenverluste durch den sogenannten Haircut der griechischen Anleihen Anfang 2012. Die Bank bekam Schlagseite und musste Mitte 2012 mit 1,8 Milliarden Euro vom Staat gerettet werden. Im Herbst 2012 hatte die Bank
Faule Kredite im Wert von 120 Prozent der zypriotischen Wirtschaftsleistung. Der Hauptschuldige am Bankencrash starb 2016 an einem Herzinfarkt. Bankensektor war sechsmal größer als das Bruttosozialprodukt.
9,6 Milliarden Euro an Notfallsliquidität in Anspruch nehmen müssen und Zypern musste Zuflucht unter dem europäischen Rettungsschirm suchen. Doch auch mit den griechischen Brüdern vom Festland hat die Inselrepublik noch nicht völlig Frieden geschlossen. Im März 2013 wurden die zypriotischen Banken gezwungen, ihre griechischen Filialen für einen Pappenstiel an die griechische Piräus-Bank zu verkaufen, die damit zur größten griechischen Bank aufstieg. Immer wieder ist in den Untersuchungsausschüssen zu hören, dass die zypriotischen Kreditinstitute erst mit diesen Verlusten ihre Liquidität einbüßten.
Weniger gern hören die Zyprioten allerdings die Kommentare der internationalen Partner: Wenn man es zulässt, dass der Bankensektor sechsmal größer als die Wirtschaftsleistung des Landes ist und darüber hinaus die Kapitalkonzentration auf einige, wenige Aktivitäten unverhältnismäßig groß ist, dann muss man wohl oder übel mit dem Schlimmsten rechnen.