Der Ronaldo des Handballs
Der Franzose Nikola Karabati´c verkörpert den Handballsport wie kein Zweiter. Bei der EM in Kroatien steht Österreichs Team heute vor einer besonderen Bewährungsprobe.
Im Fußball eifern Millionen von Kindern Cristiano Ronaldo und Lionel Messi nach, ambitionierte Basketballer wollen so sein wie LeBron James – und Roger Federer hat den Tennissport neu definiert. Im Handball, diesbezüglich ist sich das Gros der Experten einig, ist Nikola Karabatic´ die schillerndste Figur der jüngeren Vergangenheit. Der Franzose ist der Inbegriff dieses Spiels, er versteht und interpretiert es wie kein Zweiter. Dass Karabatic´ besonderes Talent besitzt, hatte sich schon in der frühen Phase seiner Karriere gezeigt. Als 17-Jähriger debütierte er in der traditionell hochkarätig besetzten französischen Nationalmannschaft, im Alter von 18 Jahren gewann er mit Montpellier seinen ersten Champions-LeagueTitel. Die sportliche Vita des heute 33-Jährigen liest sich makellos, zwei Olympiasiege, drei Europameisterund vier Weltmeistertitel runden das beeindruckende Gesamtbild ab. Karabatic´ war sozusagen erblich vorbelastet, sein Vater, Branko, agierte einst als Torwart der jugoslawischen Nationalmannschaft. Sein jüngerer Bruder Luka, 29, ist heute in der Nationalmannschaft wie auch beim Verein Paris SG sein Teamkollege.
Doch was macht Karabatic´ besser als alle anderen, was ermöglicht es ihm, den Handballsport seit eineinhalb Jahrzehnten derart zu prägen? Robert Weber, Deutschland-Legionär im Dienste des SC Magdeburg und Flügelspieler der österreichischen Nationalmannschaft, ist dem Ausnahmekönner bereits auf Vereinsebene begegnet. Spricht Weber, selbst ein Spieler von internationaler Klasse, über Karabatic,´ dann gerät er ins Schwärmen, klingen Bewunderung und sehr viel Respekt durch. „Er geht im Angriff dorthin, wo es wehtut. Und in der Deckung zerstört er alles. Ein Wahnsinnsspieler, für mich immer noch der Beste der Welt“, behauptet Weber. Karabatic,´ dabei gibt es für den Vorarlberger keinerlei Zweifel, „hat in seinem Leben alles dem Handball untergeordnet“. Muskelberg mit Aura. Die Leidenschaft, diese totale Hingabe für die Sache verkörpert der dreifache Welthandballer des Jahres in jedem Spiel, über 60 Minuten, ohne Ausnahmen. Wer den Hünen auf dem Handballfeld beobachtet, der kann sich auch der besonderen Aura nicht entziehen, die nur die wenigsten Sportler umgibt. Karabatics´ Auftreten als präsent zu bezeichnen, käme einer groben Untertreibung gleich. Das hat einerseits mit dem Wissen um seine besonderen Fähigkeiten zu tun, andererseits ist das körperliche Erscheinungsbild dabei durchaus zuträglich. Bei 1,96 Metern Körpergröße bringt er 107 Kilogramm auf die Waage. „Ein Muskelberg, der etwas ausstrahlt“, findet Weber. „Eine Maschine“, meint ÖHB–Teamkollege Janko Bozoviˇc.´ Karabatics´ Körper – er dient in dieser Sportart, die zu Recht als eine der härtesten überhaupt gilt – als Panzer. „Handball ist so fordernd, dass du deinen Körper mehrmals täglich mit Training vorbereiten und formen musst. Jeder Abwehrchef, jeder Prügelknabe will den besten Spieler der Welt an seine Grenzen treiben. Bislang hat es noch keiner geschafft“, sagt Thomas Bauer, Österreichs Torhüter.
Bauer (Massy Essonne) ist wie Karabatic´ in Frankreichs höchster Spielklasse engagiert. Der Wiener hat, ohne zu übertreiben, „schon 1000 Spiele von ihm in meinem Leben gesehen“. Das Urteil: „Für mich ist das der kompletteste Handballer der Welt. Er kann Abwehr, er kann Angriff, er kann werfen, er kann Mitspieler in Szene setzen – er kann alles.“Heute Abend (18.15 Uhr, live in ORF Sport Plus) trifft Bauer mit dem österreichischen Nationalteam in Porecˇ nach dem 26:27 gegen Weißrussland zum Auftakt der EM in Kroatien auf Weltmeister Frankreich mit Karabatic.´ Die Kreise des Ausnah- verlor das ÖHB-Team sein Auftaktspiel bei der Endrunde in Kroatien gegen Weißrussland. Nun warten mit Frankreich (heute 18.15 Uhr, live in ORF Sport +) und Norwegen (16. Jänner) noch größere Aufgaben. Nur die Top 3 der Vorrundengruppe steigen in die Hauptrunde auf. „Da war schon unheimlich viel Druck vor dem Spiel gegen Weißrussland, vielleicht zu viel“, meinte Torhüter Thomas Bauer. In der Vorbereitung habe man jedenfalls nichts dem Zufall überlassen. „Wir haben die Weißrussen seziert.“
Stunden
liegen nur zwischen den Spielen gegen Weißrussland und Frankreich. Teamchef Patrekur J´ohannesson verbringt die meiste Zeit vor dem Laptop, studiert Videosequenzen des nächsten Gegners bis spät in die Nacht. „Aber ich mag diesen Stress.“ mekönners einzudämmen, seine Würfe und Pässe so gut es denn geht zu verhindern, wird eine der vielen Aufgaben des ÖHB-Teams sein. Bauer weiß, was gegen Karabatic´ und Co. gefragt ist: „Wir brauchen eine Abwehr, die bereit ist, dagegenzuhalten. Ansonsten trifft es dich wie Thors Hammer.“ „Kein Gott.“Bei allem Respekt vor dem amtierenden Weltmeister darf die junge und weitestgehend unerfahrene österreichische Mannschaft nicht in Ehrfurcht erstarren. Der routinierte Bauer wird dies jedenfalls nicht tun. „Ich sehe solche Superstars nicht als Götter, sondern als Herausforderung. Karabatic´ kocht auch nur mit Wasser. Und er muss sich auf eine harte Deckung und zwei gute Torhüter einstellen“, versichert er im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Mit Frankreich, das zum Auftakt Norwegen in einem hochklassigen Spiel mit 32:31 niederrang, wartet die gegenwärtig höchste Hürde im Welthandball. „Le Bleus“ist selbstverständlich nicht nur Karabatic,´ sondern auch Kentin Mahe,´ Luc Abalo oder Valentin Porte – sie alle tragen das Prädikat Weltklasse. „Das sind eigentlich Maschinen“, erklärte Österreichs Teamchef Patrekur Johannesson´ Samstagmittag in Porec,ˇ um wenig später mit dem intensiven Videostudium zu beginnen. „Bei Frankreich gibt es sehr viel zu analysieren.“
»Wir brauchen eine Abwehr, die bereit ist. Ansonsten trifft es dich wie Thors Hammer.« Eine Million € brutto verdient Karabati´c jährlich – für einen Handballer sehr viel Geld.
Zwar ist Nikola Karabatic´ weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus bekannt, Superstars anderer Sportarten aber bewegen sich in ganz anderen, für ihn unerreichbaren finanziellen Sphären. Eine Million Euro brutto soll der 33-Jährige bei Paris SG verdienen, bei diesem Jahresgehalt können sich zahllose durchschnittlich talentierte Fußballer ein schelmisches Schmunzeln wohl nicht verkneifen.