Leg doch mal das Handy weg!
Wie viel Smartphone verträgt ein (junger) Mensch und wann gerät die Nutzung außer Kontrolle? Die Mediensucht ist in aller Munde: Woran kann man sie erkennen?
Wann ist es genug? Die Situation kennen alle Eltern: Der Teenager-Nachwuchs soll zum Essen kommen, spielt aber lieber mit dem Handy. Die Tochter wollte die Freunde treffen, aber eigentlich reicht es ihr, wenn sie mit ihnen WhatsApp-Nachrichten schreibt. Der Sohn sollte lernen, aber viel lieber spielt er am Tablet.
Was tut man dann? Und hat man bei solchen Situationen Grenzen nicht schon längst überschritten?
Liest man Studien zum Thema, kann einem schon unwohl werden. Immer wieder belegen Untersuchungen, dass Menschen, die (gerade abends) viel Zeit vor dem Smartphone verbringen, schlechter schlafen. Die Universität Texas kam unlängst zu dem Schluss, dass die bloße Anwesenheit des Smartphones schon die Konzentration beeinträchtige.
Die Psychologin Jean M. Twenge erklärte 2017 im Magazin „The Atlantic“, dass die starke Nutzung von Smartphone und Co. Jugendliche zwar sicherer leben lasse (weniger Sex, weniger Alkohol, weniger Party). Sie aber gleichzeitig psychisch in die Isolation treibe und depressiv werden lasse.
Die Entgegnung ihrer Kritiker kam sofort. Auch ist bis heute nicht klar, ob das Smartphone Kinder und Jugendliche wirklich depressiv macht oder ob sich depressive Kinder und Jugendliche einfach häufiger in die Onlinewelt zurückziehen.
Das Henne-Ei-Problem kennt auch Dominik Batthyany, Leiter der Therapie- und Beratungsstelle für Mediensucht an der Sigmund Freud Privatuniversität. „Gerade Suchtverhalten setzt sich auf andere Probleme drauf. Die Sucht an sich ist eine Problemlösungsstrategie. Jemand versucht mit anderen Strategien schnell gute Gefühle zu er- zeugen“, erklärt der Mediziner. Es sei selten, dass jemand eine Sucht ohne Startproblem entwickelt.
Zwei bis drei Beratungsgespräche in der Woche führt er in der Beratungsstelle. Meistens seien es besorgte Eltern, die zu ihm kommen, aber nicht immer sei der Nachwuchs tatsächlich süchtig. „Oft werden einfach die Familienabläufe durch das Smartphone gestört. Jugendliche kommen nicht mehr zum Essen oder das Kind spielt ständig beim Autofahren. Das stört das Familienklima“, erklärt er. Deswegen sei es wichtig, dass Eltern Regeln einführen und Räume und Zeiten definieren, in denen Smartphones und Tablets nicht benützt werden: beim gemeinsamen Essen, im Schlafzimmer, bei Gesprächen.
Bei der Nutzungsdauer empfiehlt er maximal eine halbe Stunde am Tag für Kindergartenkinder, eine Stunde in der Volksschule und eineinhalb Stunden für 14-Jährige. Und keinen grenzenlosen Zugang zu den Inhalten. Wer die Geräte mehr in der Hand hat, sei trotzdem nicht gleich süchtig. Sucht beginnt, wo Kontrolle endet. Eine richtige Sucht äußere sich erst, wenn mehrere Kriterien erfüllt sind. Etwa, wenn der Betroffene nicht mehr kontrollieren könne, wann er das Smartphone in die Hand nimmt und wann er es weglegt. Weiters beschäftigt sich der Betroffene gedanklich übermäßig damit, Dinge, die früher wichtig waren, verlieren für ihn an Bedeutung. Das Umfeld reagiert schon negativ, aber selbst merkt man es nicht. Denn in der Onlinewelt könne man trotzdem Beachtliches leisten. Batthyany erinnert sich an den Fall eines Jugendlichen, der auf mehreren Smartphones gleichzeitig Serien schaute, der sich vorstellte, er habe einen TV-Sender. „Der hat sich super ausgekannt mit allen möglichen Serien.“Und an jenen älteren Herren, dessen Leben eigentlich nur aus dem Onlinespiel „World of Warcraft“bestand. Er war „irrsinnig gut und erfolgreich“in dem Spiel, aber für Alltagstätigkeiten wie Waschen oder Freunde treffen sei kein Platz mehr gewesen. Die Dauer macht es nicht. Zwei Extrembeispiele, die selten vorkommen und doch deutlich machen: Die Grenze zwischen normalem Verhalten und Sucht ist schmal. Allein an der Nutzungsdauer könne man nicht erkennen, ob jemand Smartphone- oder computerabhängig sei. „Es gibt Menschen, die sind viel vorm Smartphone, aber nicht süchtig“, sagt er. Deswegen sei es immer wichtig, zu schauen, ob der Betroffene sonst ein offener und interessierter Mensch ist, der Spaß im Leben hat. „Dann ist er in der Regel nicht süchtig.“
Einheitliche Kriterien für Mediensucht fehlen, weil sie noch zu wenig erforscht ist. Wer offen und an der Welt interessiert ist, ist in der Regel nicht süchtig.
Wie viele Menschen von der Mediensucht betroffen sind, sei schwer zu sagen, weil es keine einheitlichen Kriterien gebe: „Das Phänomen ist noch jung und die Technik ändert sich.“Bis heute ist die Mediensucht nicht als eigenes Krankheitsbild bei der Weltgesundheitsorganisation angeführt. „Dafür ist sie nicht genügend erforscht.“
Da die Sucht meist ein anderes Problem überlagere, starte eine Therapie übrigens nicht damit, dem Betroffenen Smartphone oder Internet zu verbieten. „Wir fragen: Was beschäftigt denjenigen wirklich?“Abgesehen von der Sucht sei der gesunde Umgang mit mobilen Geräten übrigens etwas, das sowohl Kinder als auch Erwachsene noch lernen müssen. So wie wir lernen mussten, mit dem Auto umzugehen – und etwa die Gurtpflicht eingeführt haben. „Ich bin zuversichtlich, dass so etwas kommen wird. Im Moment sind wir noch die Getriebenen der technischen Geräte.“