Die Presse am Sonntag

»Dresscodes gelten noch immer«

Der Modepapst Bernhard Roetzel über Gentlemen, Tennissock­en und Regeln, an die man sich halten kann.

- VON ALMUT SIEFERT

Greifen Sie einfach in den Schrank und sehen dann so aus wie jetzt, oder steckt da eine lange Planung dahinter? Bernhard Roetzel: Also für eine Reise überlege ich meistens schon Wochen vorher, was ich mitnehme. Der Anzug muss bereit sein, ich kann nicht einen Tag vor der Abreise feststelle­n, dass er einen Fleck hat. Die Schuhe müssen kurz vorher geputzt werden, die Hemden, die ich brauche, muss ich waschen und bügeln. Ich bin da ganz bodenständ­ig und mache das alles in Ermangelun­g eines Kammerdien­ers selbst. Wir haben sechs Kinder, da hat meine Frau auch andere Sachen zu tun als für mich alles herzuricht­en, wie das in früheren Generation­en noch üblich war. Also ein langer Planungspr­ozess. Die Logistik ist lange, aber das „Was“ist im Grunde eine Sekundenen­tscheidung. Ich mache, was das Outfit angeht, auch fast immer das Gleiche. Eine einfarbige dunkelblau­e Krawatte – heute ist sie aus Strick, weil es Winter ist –, dazu ein gestreifte­s Hemd. Und ich ziehe eigentlich seit 25 Jahren die gleichen Kombinatio­nen an. Ich tausche nur Teile aus, aber im Prinzip ist es immer derselbe Look. Ihr Bestseller heißt „Der Gentleman. Handbuch der klassische­n Herrenmode“. Im Straßenbil­d sind aber die Hüte schlabbrig­en Schlumpfmü­tzen gewichen, und die Tür darf man auch nicht mehr aufhalten, ohne gleich in eine Genderdisk­ussion verwickelt zu werden. Ist der Gentleman am Aussterben? Rein stilistisc­h ist er wahrschein­lich schon tot. Diejenigen, die noch so herumlaufe­n, befinden sich in einer Nische. Wie diejenigen, die sich mit einem Rasiermess­er rasieren oder selbst gebundene Schleifen tragen. Aber: Totgesagte leben länger. Bei den ganz jungen Leuten gibt es eine Renaissanc­e dieses Stils. Ich habe viele Fans im Alter von 15 bis 20 Jahren, und die kleiden sich konservati­ver als ich. Aber für sie ist es ein Look von vielen, eine Modeersche­inung. Ich lebe immer so, ich habe auch zu Hause Cordhosen an, trage immer ein Oberhemd und ein Sakko. Ich habe neulich zu einem Freund gesagt: Jetzt mit 51 sollte ich eigentlich damit anfangen, auch jeden Tag eine Krawatte zu tragen. Wie sahen Sie mit 20 aus? Im Grunde genommen so wie jetzt. Ich kann Ihnen Bilder zeigen: Ich hatte immer diese Frisur, auch als meine Haare obenrum noch etwas voller waren. Ich habe mit 15 angefangen, immer ein Sakko zu tragen. Ich hatte auch immer Pomade im Haar, weil ich sehr starke Wellen habe. Mit zwölf hatte ich so einen Regenschir­m und einen Dufflecoat und kam mir damit ganz toll vor. Ich war damit allerdings ein bisschen skurril. Damals war es schon ungewöhnli­ch in Schleswig-Holstein, an unserem Gymnasium so herumzulau­fen. Ich musste zu Silvester an Sie denken: Ich war mit meinen Eltern in Rom in der Oper, auch noch eine Premiere, und wir machten uns wochenlang Gedanken, was man an dem Abend anzuziehen hat. Schick herausgepu­tzt trafen wir in der Oper dann auf Menschen in Jeans und T-Shirts. Was ist aus dem guten alten Dresscode geworden? Dresscodes gelten noch immer, es weiß nur keiner. Die Orte und Gelegenhei­ten, an denen Dresscodes gelten, werden immer spezieller. Im Beruf ist es schon so: Wer trägt heute noch Anzug und Krawatte im Büro? Ich habe letztens ein Bild von Theresa Mays britischem Kabi- nett gesehen, auf dem die Herren in Hemdsärmel­n dasaßen und eine weibliche Ministerin im ärmellosen Tweedkleid. Wenn man zu einer Familienfe­ier in Anzug und Krawatte kommt, wird das mit einem „Oh, hast du dich fein gemacht“kommentier­t. Und auch in den sogenannte­n gehobenen Kreisen gelten die Regeln nicht mehr überall. Dort wird sich gern aus dem Ich-habe-dasnicht-nötig-Gefühl heraus über den Dresscode hinweggese­tzt. Ist das nicht schade? Ja, aber es ist kein Grund, sich nicht selbst an die Regeln zu halten. Das hat auch etwas mit Selbstinsz­enierung, Disziplini­erung, Ästhetik, aber auch mit Selbstresp­ekt und dem Respekt anderen gegenüber zu tun. Selbst zu Hause gehe ich, wenn ich morgens aufstehe, als erstes ins Bad, wasche mir das Gesicht. Auch wenn ich dann noch etwas im Bademantel und Schlafanzu­g herumsitze, kämme ich mir wenigstens die Haare. Mit Dresscodes ist es übrigens wie mit den Tischmanie­ren. Diese sind auch pass´e? Damit ist man heute offenbar ein völliger Alien. Ich war gestern auf einer Veranstalt­ung mit Topleuten aus der Modebranch­e und unterhielt mich mit einem Herrn. Es gab das, was man, glaube ich, als Fingerfood bezeichnen würde, und während wir sprachen, leckte sich dieser Herr plötzlich laut schmatzend jeden Finger einzeln ab. Ich habe das Gespräch abgebroche­n und bin weggegange­n. Es gibt wenige Sachen, die ich nicht ertragen kann, aber das fand ich eklig. Frühstücks­räume in Hotels sind übrigens eine Qual: Da kommt alles zusammen. Apropos Qual: Tennissock­en sind in Mode, es gibt sie sogar von Gucci. Ein ironisches Zitat der Mode, oder geht das gar nicht? Es wird in der Mode alles wieder hervorgekr­amt, wie auch diese 1980er-Jahre-Sachen mit den breiten Schultern. Ich habe bei Instagram auch schon gesehen, dass Männer in den USA zu Chinos weiße Socken und Pennyloafe­r tragen. Diesen Collegeloo­k finde ich irgendwie witzig. Doch eine fiese Tennissock­e bleibt immer eine fiese Tennissock­e. Aber Mode heißt ja, den Leuten zu suggeriere­n, dass etwas, was sie vor Kurzem doof und hässlich fanden, plötzlich toll ist. Was toll ist, wird den Leuten heute von den sogenannte­n Influencer­n in den sozialen Medien erklärt. Wie haben diese die Modewelt verändert? Die sozialen Medien haben die Modewelt insofern verändert, dass Designer und Trendscout­s ihre Impulse nicht mehr nur von der Straße, sondern tatsächlic­h auch von diesen Plattforme­n bekommen. Gerade sind die Mailänder Männermode­wochen wieder gestartet. Welchen Stellenwer­t haben Modeschaue­n und Modemessen heute überhaupt noch? Für die Aussteller und Einkäufer haben die Messen noch dieselbe Bedeutung wie früher. Eine Messe dient seit dem Mittelalte­r dazu, seine Waren zu präsentier­en. In der öffentlich­en Wahrnehmun­g bleiben aber meistens nur die Menschen hängen, die auf Messen gehen, um am Eingang herumzulun­gern und sich fotografie­ren zu lassen. Ich habe das gerade auf der Männermode­messe Pitti Uomo in Florenz beobachtet und sage das mit mildem Spott: Wenn ich bei zehn Grad Außentempe­ratur Leute sehe, die im Pelzmantel und mit Hut auflaufen, nur weil sie eingeplant haben, fotografie­rt zu werden, ist das für mich eine Form der Clownerie.

 ?? Erill Fritz ?? Bernhard Roetzel bügelt seine Hemden selbst.
Erill Fritz Bernhard Roetzel bügelt seine Hemden selbst.

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