Warum Tante Sophie Edvard Grieg auf dem Gewissen hat
Vielleicht tut eine Ehrenrettung der Wunschkonzert-Melodie not, wenn an der Staatsoper zur „Peer-Gynt“-Musik getanzt wird. Melodische Klänge wie diese gelten Ästhetik-Wächtern seit langem als verdächtig. Dabei braucht’s handwerkliches Können und Inspirati
Die Tante Sophie fällt mir ein, wenn ich das Staatsopernprogramm studiere. Kommenden Sonntag hat nämlich „Peer Gynt“Premiere, die BallettVersion von Ibsens „nordischem Faust“zur Musik von Edvard Grieg. Und den kennt auch die Tante Sophie.
Die Tante Sophie hört nämlich Radio, auch wenn sie grad nicht Namenstag hat. Wenn sie Namenstag hat, spielt es für sie den Gefangenenchor aus „Nabucco“. Das veranlassen, wie wir aus dem Kabarett-Klassiker Gerhard Bronners wissen, die Verwandten, der Franz, die Josephin’ und das Enkelkind. Denn „der Gefangenenchor aus dem Nabucco ist so schön. Und es geh’n so zu Herzen die Terzen.“
Und überdies tut die Tante damit „etwas für die Kultur“. Annähernd ebenso populäre Musiknummern wie Verdi hat auch Grieg komponiert. Aus der Schauspielmusik zu „Peer Gynt“ist nahezu jede einzelne Nummer wunschkonzerttauglich.
Genau das hat den Komponisten, dessen 150. Geburtstag heuer zu feiern ist, in den Augen der Ästhetik-Wächter verdächtig gemacht. Diese „Peer Gynt“-Musik mochte man spätestens im Anflug aufs Achtundsechzigerjahr nicht einmal mehr am Ort ihrer eigentlichen Bestimmung gelten lassen. Wiens Intellektuellen-Postille, das „Neue Forum“, fragte 1966: „Wer wünschte wohl, im Burgtheater Johann Matz auf einsamer Felsenklippe sitzen zu sehen, ,Solveigs Lied‘ anstimmend? Oder Alma Seidler im holzgefügten Kämmerlein unter den Klängen von ,Aases Tod‘ langsam verlöschend?“
Der Rezensent, er konnte wie viele Wiener in den Sechzigerjahren Bronners „No no Nabucco“bestimmt auswendig, verdammt gleich den ganzen Grieg. Tante Sophies Lieblingssendung hat ihn madig gemacht: Die notorische „sentimentale Schlagseite“hätte „Grieg aus dem Konzertsaal ins Wunschkonzert abgedrängt.“– Mehr braucht ein Komponist nimmer . . . „Sie wünschen, wir spielen“. Dabei ging es ja zum Beispiel Gerhard Bronner in seiner zynischen Neutextierung des „Va, pensiero“weniger um eine Diskreditierung der Komponisten ohrwurmverdächtiger Melodien als um die Institution des Wunschkonzerts, die Musik scheibchenweise serviert, „nebst Gottes Segen und dezenter Reklame für Klosterfrau Melissengeist“.
Die „unermüdlichen Grußsendungen des österreichischen Rundfunks“(Bronner) waren im Übrigen keine Erfindung desselben, sondern erfreuten sich schon in den „Tausend Jahren“des Nationalsozialismus höchster Beliebtheit: Sonntags 14 Uhr hieß es: „Sie wünschen, wir spielen – geholfen wird vielen.“Denn Hörerwünsche wurden gegen Spenden für Winterhilfswerk und Wehrmacht erfüllt.
1940 wurde „Wunschkonzert“sogar zum Propagandafilm, der Publikumslieblinge aus allen Genres versammelte: Marika Rökk sang ein Lied aus einem anderen Propagandafilm, Heinz Rühmann erläuterte, was „einen Seemann nicht erschüttern“kann, Paul Hörbiger steuerte ein G’stanzel bei und der Weiß Ferdl verkündete „Ich bin froh: Ich bin kein Intellektueller“.
Zwischendrin aber spielten die Berliner Philharmoniker unter Eugen Jochum auch die „Figaro“-Ouvertüre. Und genau deshalb stand das Wunschkonzert ab sofort im Verdacht der Unredlichkeit – „Das kann die Tant’ grad noch versteh’n, und so tut sie was für die Kultur“.
Andrerseits war sich nicht einmal der gestrenge Thomas Mann zu schade, höchstselbst ein Wunschkonzert zu programmieren – und seine Tochter Erika legte für den Papa im Berliner Rundfunk die Platten auf – wie die Romangestalt Hans Castorp auf dem „Zauberberg“. Da fehlen Debussy und Verdi nicht, auch wenn Mann gegenüber Bruno Walter einmal vom „Salon- mäßig-Gesellschaftlichen, Verschönerungsmäßigen, luxuriös Beigabenhaften der außerdeutschen Musik“sprach. So ist wohl auch ein Nebensatz im „Zauberberg“zu verstehen: „Die Patientin mit dem Tapirgesicht spielte, von dem Mannheimer pianistisch begleitet, auf der Geige das Largo von Händel und danach eine Sonate von Grieg, deren Charakter national und salonmäßig war.“
1940 wurde das populäre »Wunschkonzert« sogar Titel eines Propagandafilms.
„Salonmäßig“. Dass Grieg auch auf des Dichters Liste seiner „Lieblingskomponisten“stand und er die c-MollViolinsonate selbst spielte, hilft nichts: „salonmäßig“, das ist das Stichwort, das nicht nur rücksichtslose Arrangeure trifft. Solche, die „schöne Stellen“aus Meisterwerken für die Tante Sophie retten – etwa aus Tschaikowskys b-Moll-Klavierkonzert den melodischen Des-Dur-Beginn – und die aus einem Lied wie Schuberts „Linden-