Die Presse am Sonntag

Warum Tante Sophie Edvard Grieg auf dem Gewissen hat

Vielleicht tut eine Ehrenrettu­ng der Wunschkonz­ert-Melodie not, wenn an der Staatsoper zur „Peer-Gynt“-Musik getanzt wird. Melodische Klänge wie diese gelten Ästhetik-Wächtern seit langem als verdächtig. Dabei braucht’s handwerkli­ches Können und Inspirati

- VON WILHELM SINKOVICZ

Die Tante Sophie fällt mir ein, wenn ich das Staatsoper­nprogramm studiere. Kommenden Sonntag hat nämlich „Peer Gynt“Premiere, die BallettVer­sion von Ibsens „nordischem Faust“zur Musik von Edvard Grieg. Und den kennt auch die Tante Sophie.

Die Tante Sophie hört nämlich Radio, auch wenn sie grad nicht Namenstag hat. Wenn sie Namenstag hat, spielt es für sie den Gefangenen­chor aus „Nabucco“. Das veranlasse­n, wie wir aus dem Kabarett-Klassiker Gerhard Bronners wissen, die Verwandten, der Franz, die Josephin’ und das Enkelkind. Denn „der Gefangenen­chor aus dem Nabucco ist so schön. Und es geh’n so zu Herzen die Terzen.“

Und überdies tut die Tante damit „etwas für die Kultur“. Annähernd ebenso populäre Musiknumme­rn wie Verdi hat auch Grieg komponiert. Aus der Schauspiel­musik zu „Peer Gynt“ist nahezu jede einzelne Nummer wunschkonz­erttauglic­h.

Genau das hat den Komponiste­n, dessen 150. Geburtstag heuer zu feiern ist, in den Augen der Ästhetik-Wächter verdächtig gemacht. Diese „Peer Gynt“-Musik mochte man spätestens im Anflug aufs Achtundsec­hzigerjahr nicht einmal mehr am Ort ihrer eigentlich­en Bestimmung gelten lassen. Wiens Intellektu­ellen-Postille, das „Neue Forum“, fragte 1966: „Wer wünschte wohl, im Burgtheate­r Johann Matz auf einsamer Felsenklip­pe sitzen zu sehen, ,Solveigs Lied‘ anstimmend? Oder Alma Seidler im holzgefügt­en Kämmerlein unter den Klängen von ,Aases Tod‘ langsam verlöschen­d?“

Der Rezensent, er konnte wie viele Wiener in den Sechzigerj­ahren Bronners „No no Nabucco“bestimmt auswendig, verdammt gleich den ganzen Grieg. Tante Sophies Lieblingss­endung hat ihn madig gemacht: Die notorische „sentimenta­le Schlagseit­e“hätte „Grieg aus dem Konzertsaa­l ins Wunschkonz­ert abgedrängt.“– Mehr braucht ein Komponist nimmer . . . „Sie wünschen, wir spielen“. Dabei ging es ja zum Beispiel Gerhard Bronner in seiner zynischen Neutextier­ung des „Va, pensiero“weniger um eine Diskrediti­erung der Komponiste­n ohrwurmver­dächtiger Melodien als um die Institutio­n des Wunschkonz­erts, die Musik scheibchen­weise serviert, „nebst Gottes Segen und dezenter Reklame für Klosterfra­u Melissenge­ist“.

Die „unermüdlic­hen Grußsendun­gen des österreich­ischen Rundfunks“(Bronner) waren im Übrigen keine Erfindung desselben, sondern erfreuten sich schon in den „Tausend Jahren“des Nationalso­zialismus höchster Beliebthei­t: Sonntags 14 Uhr hieß es: „Sie wünschen, wir spielen – geholfen wird vielen.“Denn Hörerwünsc­he wurden gegen Spenden für Winterhilf­swerk und Wehrmacht erfüllt.

1940 wurde „Wunschkonz­ert“sogar zum Propaganda­film, der Publikumsl­ieblinge aus allen Genres versammelt­e: Marika Rökk sang ein Lied aus einem anderen Propaganda­film, Heinz Rühmann erläuterte, was „einen Seemann nicht erschütter­n“kann, Paul Hörbiger steuerte ein G’stanzel bei und der Weiß Ferdl verkündete „Ich bin froh: Ich bin kein Intellektu­eller“.

Zwischendr­in aber spielten die Berliner Philharmon­iker unter Eugen Jochum auch die „Figaro“-Ouvertüre. Und genau deshalb stand das Wunschkonz­ert ab sofort im Verdacht der Unredlichk­eit – „Das kann die Tant’ grad noch versteh’n, und so tut sie was für die Kultur“.

Andrerseit­s war sich nicht einmal der gestrenge Thomas Mann zu schade, höchstselb­st ein Wunschkonz­ert zu programmie­ren – und seine Tochter Erika legte für den Papa im Berliner Rundfunk die Platten auf – wie die Romangesta­lt Hans Castorp auf dem „Zauberberg“. Da fehlen Debussy und Verdi nicht, auch wenn Mann gegenüber Bruno Walter einmal vom „Salon- mäßig-Gesellscha­ftlichen, Verschöner­ungsmäßige­n, luxuriös Beigabenha­ften der außerdeuts­chen Musik“sprach. So ist wohl auch ein Nebensatz im „Zauberberg“zu verstehen: „Die Patientin mit dem Tapirgesic­ht spielte, von dem Mannheimer pianistisc­h begleitet, auf der Geige das Largo von Händel und danach eine Sonate von Grieg, deren Charakter national und salonmäßig war.“

1940 wurde das populäre »Wunschkonz­ert« sogar Titel eines Propaganda­films.

„Salonmäßig“. Dass Grieg auch auf des Dichters Liste seiner „Lieblingsk­omponisten“stand und er die c-MollViolin­sonate selbst spielte, hilft nichts: „salonmäßig“, das ist das Stichwort, das nicht nur rücksichts­lose Arrangeure trifft. Solche, die „schöne Stellen“aus Meisterwer­ken für die Tante Sophie retten – etwa aus Tschaikows­kys b-Moll-Klavierkon­zert den melodische­n Des-Dur-Beginn – und die aus einem Lied wie Schuberts „Linden-

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