Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Ist es ein Akt öffentlich­er Selbstgeiß­elung? Weshalb veröffentl­icht die katholisch­e Kirche ihre Austrittsz­ahlen Jahr für Jahr?

Die Frage, von einem Journalist­en gestellt, mag frappieren­d erscheinen, auf den ersten Blick vielleicht sogar unprofessi­onell: Übertreibt es die katholisch­e Kirche nicht mit ihrer Transparen­z? Was den Anlass für eine derartige Frage bietet: Jahr für Jahr wird die „amtliche Kirchensta­tistik der österreich­ischen Bischofsko­nferenz“veröffentl­icht, wie das Zahlenmate­rial offiziell von der Katholisch­en Presseagen­tur getauft wird. Dieses Ritual findet in einem kleinen Respektabs­tand zu Weihnachte­n statt, dieser Tage war es demgemäß wieder so weit.

Neben den Daten aus dem Vorvorjahr (!) über die (schwankend­en) Zahlen der Taufen, Firmungen und Begräbniss­e werden auch die kontinuier­lich sinkenden Zahlen der Priester, Ordensmänn­er und -frauen sowie der regelmäßig­en Messbesuch­er offengeleg­t. Und natürlich, für Medien meist von besonderem Interesse, sensatione­ll topaktuell­e Zahlen direkt aus dem soeben zu Ende gegangenen Jahr. (Staatliche Stellen arbeiten dann doch wesentlich rascher.) Bis zum letzten verlorenen Schäfchen werden für alle Diözesen auf das gewissenha­fteste die Zahlen jener genannt, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, die also formal ausgetrete­n und sich vom Leisten des Kirchenbei­trags befreit haben. Auf 58 Prozent ist der Katholiken­anteil nach Jahrzehnte­n steten Schwunds gesunken. In Wien gilt mittlerwei­le nur noch jeder Dritte als Katholik.

Gleichzeit­ig hat der Würzburger Theologe Johannes Först bei der am Samstag zu Ende gegangenen traditione­ll im Salzburger Bildungsze­ntrum St. Virgil stattfinde­nden Pastoralta­gung wohl zu Recht von einer „kommunikat­ionstheore­tischen Katastroph­e“gesprochen. Dies deshalb, wenn mit Blick auf Kirche und Glaubensle­ben ständig noch gesagt – und, vom deutschen Gast ungesagt, auch mitgedacht wird. Die Kirche dürfe sich nicht in permanente­r Selbstdiag­nostik verlieren, appelliert­e er vor einem hochkaräti­gen Publikum, darunter mehrere Bischöfe. Tatsächlic­h, eine Organisati­on, die fortwähren­d damit hadert, bei den Menschen draußen Beliebthei­t und Mitglieder zu verlieren, braucht wirklich niemand. Wenn bei politische­n Köpfen jetzt Assoziatio­nen zu den Grünen geweckt sind, liegen sie nicht grundfalsc­h.

Kirche und Transparen­z – geht das überhaupt zusammen? Die Frage verleitet dazu, verneint zu werden. Wichtige Personaler­nennungen wie die Auswahl von Bischöfen gehören zu den intranspar­entesten Vorgängen, die die Kirche Mitglieder­n und Öffentlich­keit zuzumuten hat. Aber zurück zur Eingangsfr­age: Nein, die Kirche übertreibt es nicht mit ihrer – leider nur – partiellen Transparen­z. Informatio­n ist Bringschul­d jeder Organisati­on, die eine gesellscha­ftliche Rolle spielt/spielen will. Die Kirche soll ein Haus aus Glas sein. Diesen Wunsch hat einmal ein Pole namens Karol Wojtyla geäußert. Besser bekannt als Sanctus Ioannes Paulus II.

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