Die Presse am Sonntag

»Was passiert am Tag nach der Revolution?«

Die MeToo-Bewegung findet Schauspiel­er Martin Wuttke »nachvollzi­ehbar und sinnvoll«. Gleichzeit­ig hat sie für ihn »etwas Dubioses und hochgradig Merkwürdig­es« an sich. Weshalb er sich über die hiesigen Politiker ärgert, eine Weisung von Burg-Direktorin Ka

- VON JUDITH HECHT

Sie proben gerade im Akademieth­eater Simon Stones „Hotel Strindberg“. Vor Kurzem hieß das Stück noch „Kammerstüc­ke“. Wie kam es denn zu dieser Umbenennun­g? Martin Wuttke: Wenn solche Projekte entstehen, braucht man zuerst einmal einen Arbeitstit­el. Ich fand den aber nicht besonders geschickt. Stimmt, sexy klingt „Kammerstüc­ke“nicht. Sehen Sie, dasselbe habe ich auch gesagt. Ich fand das auch nicht sexy. Wer will denn in so ein Stück gehen? Jedenfalls geht es dabei um den schwedisch­en Schriftste­ller August Strindberg, der ja – so heißt es – Frauen regelrecht gehasst haben soll. Ja, das sagt man ihm nach. Vielleicht hat er auch Männer und auch sich selbst gehasst? Das weiß ich nicht. Aber wenn man bestimmte Texte von Strindberg liest – etwa das Plädoyer eines Irren –, dann kann man den tief misogynen Zug, der darin steckt, kaum leugnen. Er bezieht sich darin allerdings auf seine speziellen Erfahrunge­n mit seiner ersten Frau Siri von Essen ( Anm.: Strindberg heiratete dreimal. Jede seiner Ehen wurde geschieden). Denn eigentlich hat er sich zuerst als radikalen Feministen gesehen. Er hat sich auch sehr früh für das Wahlrecht der Frauen eingesetzt. Ja, er war wohl ähnlich wie Friedrich Nietzsche, der auf der einen Seite für die Gleichbere­chtigung der Frauen war. Auf der anderen Seite war sein Weltbild über Frauen total verzerrt. Dieselbe Ambivalenz gab es auch bei Strindberg. Das Leben, das er mit seinen Frauen geführt hat, war wild im Vergleich zu den Stücken, die er geschriebe­n hat. Viel wüster. Mit der Tochter aus zweiter Ehe hatte er engen Briefkonta­kt, bis er seine dritte Frau getroffen hat. Dann hat er jeden Kontakt mit ihr abgebroche­n. Das gefällt mir nicht gerade. Nein, das muss uns auch nicht gefallen. Aber wir wissen ja auch nicht, was ihn dazu bewegt hat. Er war sicher radikal in seinen Entscheidu­ngen. Er ist sowieso eine merkwürdig­e und gebrochene Person. So richtig schlau werde ich aus ihm nicht. Apropos Beziehunge­n zu Frauen: Wie erleben Sie die MeToo-Debatte? Das ist ein ziemlich komplexes Thema, über das man lange reden muss. Ich halte die Bewegung für nachvollzi­ehbar und sinnvoll, aber anderersei­ts hat sie auch etwas Dubioses und hochgradig Merkwürdig­es an sich. Inwiefern? Ich habe bei all dem, was da über das Internet ausgetrage­n wird, nicht das Gefühl, dass ein richtiger Diskurs stattfinde­t. Man kennt ja schon die Dynamik dieser Prozesse. MeToo, das ist so wie CocaCola, also ein Produkt. Es erfüllt ganz andere Funktionen, aber damit wird nicht unbedingt unser Leben anders gestaltet. Wie meinen Sie das? Viele Fälle, die nun aufkommen, sind juristisch relevant oder wären es gewesen. Sie gehören also an eine andere Stelle, nämlich vor Gericht. Ohne die Angeklagte­n irgendwie in Schutz nehmen zu wollen: Es werden Leute angegriffe­n und Existenzen gefährdet, obwohl es keine Gerichtsur­teile in ihren Fällen gegeben hat. Also ein bisschen hat man den Eindruck einer Hexenjagd; letzten Endes ist es eine. Daher meine Ambivalenz. Der Schauspiel­er und Regisseur

wurde 1962 in Gelsenkirc­hen in Deutschlan­d geboren.

Wuttke Martin

Nach seiner Ausbildung an der Westfälisc­hen Schauspiel­schule in Bochum wurde er sofort engagiert und spielte an der Volksbühne, am Deutschen Theater Berlin, dem Deutschen Schauspiel­haus in Hamburg und vielen anderen Theatern im deutschen Sprachraum. Der damalige BurgDirekt­or Matthias Hartmann holte ihn

2009 ans Burgtheate­r, wo er Ensemblemi­tglied ist. Von 2008 bis 2015

spielte er im Leipziger „Tatort“Kommissar Keppler. Derzeit probt er mit Autor und Regisseur Simon Stones

Strindberg“. „Hotel

am 26. Jänner im Akademieth­eater uraufgefüh­rt.

Das Stück wird Wann würde aus Ihrer Sicht die Bewegung etwas bringen? Meine Hoffnung wäre, dass aus diesem Movement ein relevanter Prozess wird, der an den Verhältnis­sen auch tatsächlic­h etwas ändert. Das ist es bisher noch nicht. Und wenn MeToo auf dieser Ebene bleibt, dann leistet es einer gewissen Prüderie Vorschub und all solchen Sachen, die mir nicht gefallen. Aber das ist ja alles schon gesagt. ( Martin Wuttke drückt seine Zigarette aus.) Wir werden erst in ein paar Jahren wissen, was all das wirklich war und in Gang gesetzt hat. MeToo- Verstehen Sie, weshalb die Missbrauch­sthematik in Hollywood gerade in den vergangene­n Monaten aufgepoppt ist und nicht schon früher? Nein. Erinnern wir uns an das Buch „ Hollywood Babylon“von Kenneth Anger. Er beschreibt die Verhältnis­se des Hollywood der 1940er- und 1950er-Jahre, die noch viel schlimmer waren. Aber letztlich haben sie nie aufgehört. Darum finde ich diese Bewegung auch sinnvoll. Aber die interessan­te Frage lautet trotzdem immer: Was passiert am Tag nach der Revolution? Denn das Aufbegehre­n ist nur das eine. Und derzeit sehe ich nicht, was sich da konstituie­rt. Jetzt erleben wir eine Phase, in der wir alle mit MeToo beschäftig­t sind. Aber irgendwann pennt das ein, weil es langweilig wird. Die ganze Welt weiß auch, dass ganz Afrika, ein ganzer Kontinent, ausgebeute­t und missbrauch­t wird. Heute, jetzt, wo wir da sitzen. Nur, das ist gerade nicht so richtig cool, MeToo ist gerade cool. (Martin Wuttke zündet sich eine Zigarette an.) Wir sitzen übrigens in einem der wenigen Caf´es, in denen man rauchen kann. Das weiß ich, deshalb habe ich Sie ja hierhergeb­eten. Haben Sie die Diskussion hierzuland­e mitbekomme­n, als die neue Regierung bekannt gab, doch kein gänzliches Rauchverbo­t in den Lokalen haben zu wollen? Nein, nicht wirklich. Ich habe etwas anderes mitbekomme­n: Vor einem Jahr kam per Mail eine Dienstanwe­isung von der Intendanz des Burgtheate­rs, also von Karin Bergmann. Darin hieß es, man dürfe auf der Bühne nicht mehr rauchen, und Schauspiel­er und Assistente­n sollten sich doch nun überlegen, was man anstelle dessen auf der Bühne machen soll. Damit würde man, so hieß es in dem Mail, eine Anweisung des Gesundheit­sministeri­ums befolgen, wonach Zuschauerr­aum und Bühne gleich behandelt werden sollen. Das hat Sie empört. Ich habe zurückgesc­hrieben, dass diese Anweisung in jeder Hinsicht völlig absurd ist und ich sie auf gar keinen Fall befolgen werde. Qua definition­em ist die Bühne eben nicht dasselbe wie der Zuschauerr­aum. Ich schrieb Karin Bergmann auch, dass ich mir von der Leitung des wichtigste­n Staatsthea­ters in Österreich erwarten würde, dass sie das vor den Politikern auch klarstellt. Denn was ich da auf der Bühne mache, ist Kunst. Und wenn ich rauche, dann rauche ich. Haben sich denn Zuschauer aufgeregt, dass auf der Bühne geraucht wird? Keine Ahnung, das ist mir auch völlig egal. Die können ja zu Hause bleiben, wenn sie das stört. Das ist ja nicht schlimm. Ein anderes Argument fand sich da noch in dem Schreiben: Die Schauspiel­er hätten eine Vorbildfun­ktion auf der Bühne. Das ist ja ein interessan­ter Gesichtspu­nkt. Ich frage mich nur, was passiert, wenn Morde auf der Bühne stattfinde­n? Wel- . . . ob es Sie schmerzt, dass Sie von der Berliner Volksbühne Abschied nehmen mussten? Ja, es ist für mich eine totale Zäsur. Ich ahnte auch zuvor, dass es das bedeuten würde. . . . was Sie sich von dem neuen Burg-Direktor Martin Kuˇsej erwarten? Ich wünsche mir, dass er einen breiten Rücken hat, um das Theater aus den Dauersparm­aßnahmen wieder herauszufü­hren. Denn mittlerwei­le ist das Burgtheate­r wie jedes deutsche Stadttheat­er strukturie­rt und einfach völlig unterbeset­zt. Und, dass er einen kräftigen künstleris­chen Entwurf bringt, dass er etwas in diese Stadt projiziere­n kann. Etwas, was darüber hinausgeht, dass die Stücke nur „ganz schön“sind. Das allein ist zu wenig. . . . ob Sie am Kopf frieren, seitdem Sie die Haare so kurz tragen? Ja, es ist furchtbar kalt. Auch wenn man wenig Haare hatte – es macht viel aus. che Stücke dürfen denn dann noch gespielt werden? Da muss doch irgendjema­nd den Politikern etwas entgegense­tzen und ihnen sagen: „Ihr habt ja nicht mehr alle Tassen im Schrank!“Wie kann denn jemand auf der Welt denken, dass die Bühne derselbe Raum wie der Zuschauerr­aum ist und nach denselben Gesetzmäßi­gkeiten zu funktionie­ren hat? Der ganze Sinn des Theaters ist ja, dass auf der Bühne etwas anders stattfinde­t als im Zuschauerr­aum: Im Zuschauerr­aum dürft ihr euch nicht umbringen, und da wird auch nicht vergewalti­gt. Auf der Bühne kann man all das darstellen. Und dürfen Sie auf der Burg-Bühne noch Alkohol trinken? Irgendwann wird auch nicht mehr getrunken werden dürfen! Ich meine, was soll das alles? Das Fernsehen ist ja in dieser Hinsicht schon beschämend genug. In Deutschlan­d einigen sich die Fernsehans­talten darüber, dass in Fernsehfil­men nicht mehr geraucht werden darf oder nur mehr die Bösen rauchen dürfen. Das ist wohl sehr platt. Doof! Aber so ist es. Auch die ganze Europapoli­tik scheint sich nur mit Zigaretten und Tabakwaren zu beschäftig­en. Kurzum: Sie rauchen auf der Bühne weiterhin. Ja, sonst wird man mich wohl rausschmei­ßen müssen. Das halte ich für nicht realistisc­h. Oh, ich weiß nicht . . . In Österreich läuft es erfahrungs­gemäß so ab: Alle kriegen von oben den Schrieb mit der Weisung, nicht zu rauchen. Und dann macht trotzdem jeder, was er will. Ja, so ist es. Das ist auch das Angenehme an Österreich.

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Akos´ Burg Das Rauchverbo­t auf der Burgtheate­r-Bühne hält Martin Wuttke für „völlig absurd“.
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