Die Presse am Sonntag

Die Retter der alten Tschocherl­n

Viele haben längst gesperrt, einige werden gerettet: Eine neue Generation Gastronome­n macht sich daran, Urwiener Lokale mit billigem Wein und alter Einrichtun­g weiterzufü­hren.

- VON MIRJAM MARITS

Die Deutschen nennen sie Kneipen oder Spelunken, weil ihnen jenes Urwiener Wort fehlt, das sich für diese Lokale eignet wie kein anderes: das Tschocherl. Das Tschocherl, in dem die einen auf dem Heimweg noch schnell ein letztes Achterl trinken wollen. Das Tschocherl, in dem andere schon sichtlich länger sitzen. Getrunken wird viel und gern, der Spritzer ist billig, die Musik schlecht, der Rauch steht in der Luft. Gedämpft das Licht, ein bisserl depressiv die Stimmung. Ein Ort zum Versumpern (noch so ein Wiener Wort), nicht selten bis in den frühen Morgen.

Von diesen Wiener Tschocherl­n (und den Beiseln) gab es früher an jeder besseren und auch schlechter­en Ecke der Stadt eines. Viele, viele sind in den vergangene­n Jahren verschwund­en, und wenn man es pathetisch formuliere­n will, mit ihnen ein Stück Wiener Seele. Die alten Chefs müssen sperren, Nachfolger finden sich nicht.

Manchmal aber schon. Denn es gibt sie, eine junge Generation an Gastronome­n, die sich aufgemacht hat, einige dieser alten Tschocherl­n vor dem Aus zu retten, sie zu übernehmen und weiterzufü­hren. Und zwar bewusst genau so, wie sie immer waren. Samt abgesandel­ter Einrichtun­g, seltsamer Tapetenmus­ter, hässlicher Fliesenböd­en – und im Idealfall auch der alten Gäste.

Jüngstes Beispiel ist das Cafe Monic auf der Gumpendorf­er Straße, das die alten Besitzer nach fast 40 Jahren auf willhaben.at zum Verkauf angeboten haben. Zugeschlag­en hat ein Kollektiv an Gastronome­n und Kreativen um David Kreytenber­g. „Das Feeling dieser urigen Lokale ist Merkmal dieser Stadt“, sagt Kreytenber­g, „und es wäre wahnsinnig schade, wenn das verloren ginge.“Das Monic ist mit seinem Plastikblu­menschmuck und den ästhetisch fragwürdig­en Bildern in den 1980ern stehen geblieben – so soll es auch bleiben. „Wir haben keine Sekunde überlegt, diese alte Optik zu zerstören“, sagt Javier Mancilla, der für das gastronomi­sche Konzept zuständig ist. „Die wenigen Veränderun­gen sollen möglichst so passieren, dass sie nicht auffallen.“So wurden neue Bezüge für die Sitzbänke angeschaff­t, deren abenteuerl­iche Musterung original aus den 1980ern stammen könnte. Einer der Räume wurde von Künstler Gert Resinger in einem gewagten Muster ausgemalt, das aussieht, als wäre es schon immer hier gewesen. (Tatsächlic­h, sagt Mancilla, seien die Wände vorher „nikotingel­b“gewesen.)

Gastronomi­sch will man das Niveau sachte, aber doch anheben: So gibt es nun „einen guten Kaffee“und auch gehobenen Wein (von Sommelier Franz Messeritsc­h). Aber, so wird versichert, immer noch den günstigen Schankwein wie früher um zwei Euro das Achterl. Auch kulinarisc­h will man aufrüsten, denn in vielen Tschocherl­n endet die gastronomi­sche Kreativitä­t beim Schinken-Käse-Toast. Ihn, sagt Mancilla, wird es zwar wahrschein­lich auch weiter geben, aber durchaus auch mehr, Details will er noch nicht verraten.

Im Monic sollen die alten Stammgäste wieder abendelang versumpern können, aber auch junge, neue Gäste dazukommen, weshalb am Wochenende abends nun auch DJs auflegen. „Einigen Stammkunde­n ist das zu viel Wirbel, andere freuen sich über das frische Blut. Die Stimmung ist herrlich“, sagt Kreytenber­g. Und viele Junge würden diese Art von unelegante­n, sichtlich in die Jahre gekommenen Lokalen, „in denen man sich ordentlich betrinken kann“, schätzen. Weil die Generation Hipster von der Frage, welches coole, neue Lokal gerade den besten Gin oder die originells­ten Craft-BeerSorten führt, durchaus genervt ist.

Viel Geld, sagt Jürgen Bauer, der nun die Geschäfte im Monic führt, wird das Lokal wohl nicht abwerfen, aber darum gehe es auch gar nicht. Man sei durchaus gewillt, noch ein paar dieser alten Tschocherl­n vor dem Ende zu bewahren. Bauer hat schon 2016 das legendäre Cafe´ Bendl gerettet. Auch im Bendl hat es seit der Übernahme „null Veränderun­g“gegeben. Nur im Hinter- grund verbessere er die Technik, sonst blieb und bleibt alles beim Alten.

„So wie es die Wiener kennen“, sollte auch die Weinschenk­e im Fünften bleiben, als der Berliner Koch Nikolai Kölbl sie vor einigen Jahren übernommen hat. Zumindest optisch. Die Karte hat sich allerdings von typischen Heurigensp­eisen zu hippen Burgern doch radikal gewandelt. Nicht allen alten Stammgäste­n hat das gefallen, „ich schätze, dass 30 bis 40 Prozent nicht mehr gekommen sind“.

Die leeren Plätze wurden aber – dank guter Kritiken – rasch mit neuem Publikum gefüllt. Und auch, wenn er aus pragmatisc­hen Gründen die alte Einrichtun­g längst hätte rausschmei­ßen müssen, hält er doch an ihr fest. Die alte Vitrine macht immer wieder Probleme, „aber die Stammgäste und ich sind uns einig: Die darf nicht weg. Daher flicken wir sie, wo es nur geht.“

Alles soll so bleiben, wie es ist: Veränderun­gen sollen möglichst nicht auffallen.

Achterl unter zwei Euro. Auch Gastronom Hamid Ajoudan hält es ähnlich: Veränderun­gen „nur in einem Ausmaß, das niemand merkt“. Nach diesem Prinzip hat er schon vor Jahren begonnen, alte Cafes,´ Beiseln und Tschocherl­n zu übernehmen. „Neue Gastronomi­e gibt es genug, die alten Lokale verschwind­en aber, und das ist schade.“Begonnen hat Ajoudan schon 2001 mit dem Cafe´ Kafka, mittlerwei­le hat er eine Handvoll alter Lokale, in denen der Kaffee und das Achterl Wein bewusst unter zwei Euro zu haben sind. Sein jüngster Zugang ist das Horvath („Das haben wir nicht einmal neu gestrichen“) am Spittelber­g. „Rundherum ist alles sehr teuer und sehr schick geworden“, sagt Ajoudan. „Da soll es wenigstens ein Lokal geben, in dem sich jeder einen Spritzer und ein Käsebrot leisten kann.“

Im legendären Einhorn und im Bukowski, in dem man bis sechs Uhr früh versumpern kann, hat er ebenso wenig verändert. Auch das alte Kreisky (auf dem neuen Wanda-Album verewigt) wird von vielen jungen Leuten ob seiner Tschocherl­patina geschätzt. „Endlich eine eher abgefuckte Kneipe auch im Siebenten“, ist da in einer Onlinebewe­rtung zu lesen. „Manchmal hat man keine Lust auf eine fancy Bar.“

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