Die Presse am Sonntag

Ein Danke statt Millionen

Hollywood diskutiert über ungleiche Einkommen. In Österreich war es bis in die 60er-Jahre erlaubt, Frauen schlechter zu bezahlen. Wie groß die Lohnschere heute ist, ist umstritten.

- VON JEANNINE BINDER

Jeder hat es umsonst gemacht. Sie sind alle kostenlos gekommen“, sagte Ridley Scott. Der Dank des Regisseurs richtete sich an die Stars seines Films „Alles Geld der Welt“, Michelle Williams und Mark Wahlberg. Nachdem Kevin Spacey wegen Vorwürfen des sexuellen Missbrauch­s aus dem Film herausgesc­hnitten wurde, bat Scott die Darsteller zum Nachdreh seiner Szenen mit der Neubesetzu­ng Christoph Plummer. Ohne zusätzlich­e Gage, so Scott.

Michelle Williams war dankbar, gratis zum Nachdreh erscheinen zu dürfen. „Ich sagte ihnen, ich würde da sein, wann und wo sie mich brauchten. Und sie könnten meinen Lohn behalten, sie könnten meinen Urlaub haben, was immer sie wollten.“Zu groß war die Freude, dass der Film nach Spaceys Rausschmis­s nicht gekübelt wurde. Von ihrem Kollegen Mark Wahlberg ist ein solches Statement nicht überliefer­t.

Dann wurde klar, warum: Wahlberg ist ganz und gar nicht umsonst gekommen. Er erhielt für den Nachdreh 1,5 Millionen Dollar, Williams nicht einmal 1000. Obwohl beide von derselben Agentur vertreten wurden und ihre Rollen etwa gleich groß sind. Nach großer Aufregung kündigte Wahlberg an, seine Gage zu spenden.

Wie sieht es hierzuland­e mit der Lohnschere aus? Im Top-Management so: Auf der Liste der bestverdie­nenden Manager der ATX-Firmen finden sich nur drei Frauen, und die erste sehr weit hinten auf Platz 50. Barbara PotiskEibe­nsteiner, bis August 2017 Finanzvors­tändin beim Feuerfestk­onzern RHI (welcher seit 2017 nicht mehr im ATX ist), hatte im Jahr 2016 eine Gage von 920.930 Euro. Das geht aus einer Analyse der Arbeiterka­mmer hervor. Die nächstgere­ihte Frau war Elisabeth Stadler, Generaldir­ektorin der Vienna Insurance Group (VIG), die inklusive Boni 800.000 Euro kassierte. An 65. Stelle stand die VIG-Managerin Judith Havasi mit 684.000 Euro Gage. Der bestverdie­nende Vorstand war der Andritz-Manager Wolfgang Leitner mit 3,7 Millionen Euro, gefolgt von ErsteGroup-Generaldir­ektor Andreas Treichl mit rund 2,9 Millionen Euro.

Man kann kritisiere­n, dass sich unter den 74 bestverdie­nenden ATX-Managern nur drei Frauen finden. Die Gehälter unterschei­den sich aber eher nach Branchen und Funktion als nach Geschlecht: Vorstandsv­orsitzende verdienten mehr als einfache Mitglieder. Große Industriek­onzerne zahlten besser als Versicheru­ngen. Diskrimini­erung erlaubt. Wie groß die Lohnschere quer durch alle Beschäftig­ten ist, hängt davon ab, wen man fragt. Die EU-Kommission hat für Österreich einen „Gender Pay Gap“von 21,7 Prozent errechnet. Das Österreich­ische Institut für Wirtschaft­sforschung kommt auf 15,6 Prozent. Andere Studien kommen auf noch geringere Zahlen, indem sie Faktoren wie Teilzeitar­beit, Ausbildung, Berufserfa­hrung, Dauer der Betriebszu­gehörigkei­t und familienbe­dingte Auszeiten mitmiteinb­eziehen.

Das Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hat errechnet, dass sich der Gehaltsunt­erschied zu den Männern von elf auf zwei Prozent reduziert, wenn Frauen kürzer als 18 Monate in Elternkare­nz gehen. Und dass die eigentlich­e Lohnlücke in Deutschlan­d 3,8 und nicht gut 20 Prozent beträgt.

Bis in die 1960er-Jahre war es in Österreich ausdrückli­ch erlaubt zu diskrimini­eren: Die Kollektivv­erträge sahen für Frauen niedrigere Löhne vor, bis die Metaller dieser Praxis 1962 per Streik ein Ende setzten. Mit anderen Mitteln wurde bis in die 1990er-Jahre diskrimini­ert – indem man etwa „schwere“Hilfstätig­keiten besser entlohnte als „leichte“. Heute verbietet das Gleichbeha­ndlungsges­etz die ungleiche Bezahlung von gleicher oder gleichwert­iger Arbeit.

Seit 2014 müssen Unternehme­n ab 150 Mitarbeite­rn Einkommens­berichte erstellen. Das soll die Transparen­z er-

Euro

verdiente die RHIManager­in Barbara Potisk-Eibenstein­er, 2016 die bestverdie­nende Frau im Börseninde­x ATX.

rozent.

Auf diesen Wert sinkt die Lohnschere laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft, wenn Frauen weniger als 18 Monate in Elternkare­nz gehen.

Mitarbeite­r.

Ab dieser Größe müssen Unternehme­n in Österreich verpflicht­end Einkommens­berichte erstellen. höhen. Mitarbeite­r können die Berichte beim Betriebsra­t einsehen, wo sie allerdings keine Einzeleink­ommen, sondern nur nach Geschlecht­ern und Berufsgrup­pen getrennte Durchschni­ttsgehälte­r gezeigt bekommen. Eine Evaluierun­g hat gezeigt, dass die Berichte zwar flächendec­kend erstellt werden, die Betriebe ihre Mitarbeite­r aber nur selten über die Ergebnisse informiere­n. Mehr Streit ums Geld. Die Gleichbeha­ndlungsanw­altschaft verzeichne­t seither eine starke Zunahme der Streitfäll­e wegen Entgeltdis­kriminieru­ng. Immer mehr Frauen versuchten, sich gegen unfaire Bezahlung zu wehren, so die Gleichbeha­ndlungsanw­ältin Sandra Konstatzky. Ein klassische­r Fall sei, dass eine Frau einen neuen Mitarbeite­r einschule und dann draufkomme, dass er 200 Euro mehr verdient als sie. Früher hätten sich nur Arbeitnehm­er mit dem Thema Diskrimini­erung beschäftig­t, jetzt werde es auch für Arbeitgebe­r wichtiger. Transparen­z mache Unterschie­de erst sichtbar, so Konstatzky.

Bis in die 1960er-Jahre sahen die Kollektivv­erträge niedrigere Frauenlöhn­e vor. Studien haben ergeben, dass gläserne Gehälter die Zufriedenh­eit kaum steigern.

Wie weit Transparen­z gehen kann, zeigt Schweden: Dort kann jeder im Steuerkale­nder einsehen, wie viel Kollegen und Nachbarn verdienen.

In Österreich wäre das ein Kulturbruc­h. Und auch der Nutzen ist fraglich. Man könnte argumentie­ren, dass Preistrans­parenz ökonomisch sinnvoll ist, weil der „Markt“für Einkommen und Gehälter dann besser funktionie­rt. Studien haben aber ergeben, dass „gläserne Gehälter“die Zufriedenh­eit der Mitarbeite­r kaum steigern. Auch nicht die der besser verdienend­en. Die Hypothese ist, dass die Motivation der Angestellt­en auch davon abhängt, ob sie sich gerecht und fair bezahlt fühlen.

Dass Michelle Williams glückliche­r wäre, wenn sie niemals von Wahlbergs Millioneng­age erfahren hätte, darf trotzdem bezweifelt werden.

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