So ein Bankomat ist eben auch nur ein Mensch
Smart, aber herzlich: In Spanien lächeln Berater aus Geldautomaten, in den USA sorgt Videotelefonie für Banken ohne Personal. Und bei uns?
Wer die Einsamkeit sucht, sollte nach Spanien ziehen. Das kastilische Hochland, fernab der Metropolen und der Küste, ist eine der am dünnsten besiedelten Gegenden Europas. Dennoch leben hier Menschen, vor allem alte, in Tausenden halb verlassenen Dörfern. Früher gab es in ihnen noch Bankfilialen, die die Spanier für alles Mögliche nutzen: Pension abholen, Gasrechnung begleichen, Bargeld beheben oder auf das Konto einzahlen. Aber seit der Finanzkrise haben in Spanien 18.000 Filialen geschlossen. Die Hälfte aller Gemeinden muss heute ohne Bank auskommen.
Was zum Problem der „finanziell Ausgeschlossenen“führt. Wer betagt ist, nimmt die Hürde Onlinebanking oft nicht mehr, auch komplexere Operationen am Bankomaten fallen vielen schwer. Und wenn es um nicht alltägliche Bankgeschäfte geht, vom Kredit für den Autokauf bis zur Geldanlage, vertrauen auch Jüngere lieber auf leibhaftige Berater als auf Websites und Sprachassistenten.
Erst half man sich mit Notlösungen, wie Bussen als ambulanten Zweigstellen oder einem Büro, das nur einen halben Tag pro Woche öffnet. Aber das ist unpraktisch und kostet immer noch zu viel. Es braucht also neue Ideen. So wird eine Gegend, die im Gestern lebt, zur Spielstätte für das Bankgeschäft von morgen. Der Trend: eine Digitalisierung mit menschlichem Antlitz. Statt Roboter. „Guten Morgen“, sagt die Frau am Bildschirm des Bankomaten und lächelt freundlich. Nein, sie ist kein Roboter und kein Avatar, sondern ein echter Mensch. Sie sitzt Hunderte Kilometer entfernt und steht per Videotelefonie zu Diensten. Auch der Kunde macht es sich auf einem Stuhl bequem. Er sagt, was er will, und die Frau sagt ihm, was er tun soll: „Bitte zeigen Sie mir Ihre Bankomatkarte. Haben Sie einen Personalausweis dabei? Bestens! Würden Sie mir bitte Ihr Geburtsdatum nennen? Den Arbeitsvertrag können Sie unten links einscannen. Ja, genau dort. Oben rechts ist der Schlitz für das Bargeld. Danke und schönen Tag noch!“Gern auch auf Englisch oder Deutsch. Und mit großzügigen Öffnungszeiten.
Hinter dem Konzept steht die asturische IT-Firma Arppa. Sie hat einen Vertrag mit der Liberbank über 180 Geräte, die dazugehörige Software und das Personal des hauseigenen Callcenters. Weitere Institute sollen dazukommen, auch Projekte im Ausland sind geplant. In den USA und Mexiko gibt es schon ähnliche Angebote. Sie ermöglichen auch, nach Identifikation per Video das Kartenlimit zu überschreiten, womit man sich bei einem normalen Bankomaten die Zähne ausbeißen würde.
Ist das nur eine kuriose Krücke, die ein paar Jahre überbrücken hilft – bis die Alten in den Dörfern gestorben sind und digitale Sprachassistenten wie Siri von Apple oder Alexa von Amazon ihre Kinderkrankheiten überwunden haben? Eines wird wohl bleiben: Wer vor wichtigen finanziellen Weichenstellungen im Leben steht, sich für den Bau eines Hauses hoch verschuldet oder nach der richtigen Altersvorsorge sucht, will nicht auf persönliche Beratung und menschliche Ansprache verzichten. Niemand vertraut einem seelenlosen Roboter, auch wenn er noch so viele Daten im Kasten hat. Aber Personal ist teuer, und wo ein Institut nicht darauf verzichten kann, will es jeden Einzelnen möglichst gut auslasten.
In den USA hat die Bank of America beides zu Ende gedacht. Das zweitgrößte Geldhaus des Landes unterhält seit dem Vorjahr vorerst drei Filialen, die ganz ohne Personal aus-
Prozent
aller Gemeinden in Spanien haben keine Bank mehr.
Mitarbeiter
vor Ort benötigt die Bank of America bei einem neuen Filialkonzept.
Mitarbeiter
arbeiten in der Onlinefiliale der Bank Austria und betreuen die Kunden über Videoschaltung. kommen. Zum Selbstbedienungsfoyer, wie wir es auch aus unseren Breiten kennen, kommt ein diskretes, schalldichtes Besprechungszimmer für Videokonferenzen mit dem persönlichen Bankberater und zugezogenen Experten, die nun alle in der Zentrale sitzen. Den Termin macht man sich vorher auf der App aus. Übrigens: Die kleine Raiffeisenbank Lungern in der Schweiz startete schon 2016 mit einer unbemannten Filiale dieser Art. Sicherer als auf dem Sofa. Auf den ersten Blick wirkt das etwas seltsam. Wer sollte mit dem Auto extra in eine Bank fahren, wo ihn niemand erwartet, wenn er über die Website vieler Institute auch vom eigenen Sofa aus eine Videoverbindung herstellen kann, meist über Skype oder Facetime? Für die mühsamere Variante sprechen zwei Gründe: Die Datenverbindung im Internet ist (noch) nicht so sicher wie im Konferenzraum der Filiale, was bei größeren Geschäften und heiklen Themen eine Rolle spielt. Und vielen Menschen ist es einfach unangenehm, wenn ihnen Fremde über die Schulter ins Wohnzimmer schauen, während sie um einen Kredit ansuchen. Sie ziehen einen neutralen Verhandlungsort vor.
Wo steht hier Österreich? Nur einen kleinen Schritt weit entfernt. Auch die Erste Bank bietet in ihren Servicefilialen an stark frequentierten Standorten in Wien Videokonferenzen in abgeschlossenen Räumen an, für die sich Experten zuschalten lassen. Nur haben diese Standorte noch Mitarbeiter vor Ort, die in der Kernzeit einfache Geschäfte erledigen – wie eine Kontoeröffnung.
Für diese können sich Kunden den Weg in die Filiale aber auch sparen. Seit Beginn des Vorjahres erlaubt auch die heimische Aufsicht, was in Deutschland schon länger möglich ist: dass Neukunden sich über einen Videochat identifizieren lassen, in
Niemand vertraut einem Roboter, auch wenn er noch so viele Daten im Kasten hat.
dem sie ihr Gesicht und einen Lichtbildausweis zeigen. Das „Videoident“Verfahren ersetzt die Unterschrift. So darf jeder ein Girokonto über Smartphone, PC oder Tablet anlegen – was Erste Bank und Sparkassen rasch ins Angebot übernommen haben.
Auch die Bank Austria setzt auf Videoberatung, allerdings mit einem stärkeren Akzent auf das Onlinebanking. Das Angebot startete schon 2013, damals mit 80 Beratern. Mittlerweile können die Privat- und Firmenkunden per Videoschaltung auf 300 Betreuer zugreifen. Dabei haben sie die Wahl, immer mit derselben Person in Kontakt zu treten oder – zeitlich flexibler – sich von jemandem beraten zu lassen, der zum Wunschtermin gerade verfügbar ist. Während des Gesprächs lassen sich zusätzlich Immobilien- und Veranlagungsexperten zuschalten. Diese Onlinefiliale ist Montag bis Freitag von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends geöffnet – womit ein fest gemauerter Analogstandort der klassischen Art schwer mithalten kann.
Die Kommunikation per Video hat freilich ihre kleinen Tücken. Der Berater sollte tunlichst dafür sorgen, dass ihn ein hübsch aufgeräumter Hintergrund rahmt. Auch kann die Position der Kamera zu einer irritierenden Gesprächssituation führen, weil der Betreuer am Bildschirm seinem Kunden nie direkt in die Augen schaut. Das hat es in der guten alten Schalterfiliale nicht gegeben – es sei denn, der Mitarbeiter hat kräftig geschielt.