Die Presse am Sonntag

So ein Bankomat ist eben auch nur ein Mensch

Smart, aber herzlich: In Spanien lächeln Berater aus Geldautoma­ten, in den USA sorgt Videotelef­onie für Banken ohne Personal. Und bei uns?

- VON KARL GAULHOFER

Wer die Einsamkeit sucht, sollte nach Spanien ziehen. Das kastilisch­e Hochland, fernab der Metropolen und der Küste, ist eine der am dünnsten besiedelte­n Gegenden Europas. Dennoch leben hier Menschen, vor allem alte, in Tausenden halb verlassene­n Dörfern. Früher gab es in ihnen noch Bankfilial­en, die die Spanier für alles Mögliche nutzen: Pension abholen, Gasrechnun­g begleichen, Bargeld beheben oder auf das Konto einzahlen. Aber seit der Finanzkris­e haben in Spanien 18.000 Filialen geschlosse­n. Die Hälfte aller Gemeinden muss heute ohne Bank auskommen.

Was zum Problem der „finanziell Ausgeschlo­ssenen“führt. Wer betagt ist, nimmt die Hürde Onlinebank­ing oft nicht mehr, auch komplexere Operatione­n am Bankomaten fallen vielen schwer. Und wenn es um nicht alltäglich­e Bankgeschä­fte geht, vom Kredit für den Autokauf bis zur Geldanlage, vertrauen auch Jüngere lieber auf leibhaftig­e Berater als auf Websites und Sprachassi­stenten.

Erst half man sich mit Notlösunge­n, wie Bussen als ambulanten Zweigstell­en oder einem Büro, das nur einen halben Tag pro Woche öffnet. Aber das ist unpraktisc­h und kostet immer noch zu viel. Es braucht also neue Ideen. So wird eine Gegend, die im Gestern lebt, zur Spielstätt­e für das Bankgeschä­ft von morgen. Der Trend: eine Digitalisi­erung mit menschlich­em Antlitz. Statt Roboter. „Guten Morgen“, sagt die Frau am Bildschirm des Bankomaten und lächelt freundlich. Nein, sie ist kein Roboter und kein Avatar, sondern ein echter Mensch. Sie sitzt Hunderte Kilometer entfernt und steht per Videotelef­onie zu Diensten. Auch der Kunde macht es sich auf einem Stuhl bequem. Er sagt, was er will, und die Frau sagt ihm, was er tun soll: „Bitte zeigen Sie mir Ihre Bankomatka­rte. Haben Sie einen Personalau­sweis dabei? Bestens! Würden Sie mir bitte Ihr Geburtsdat­um nennen? Den Arbeitsver­trag können Sie unten links einscannen. Ja, genau dort. Oben rechts ist der Schlitz für das Bargeld. Danke und schönen Tag noch!“Gern auch auf Englisch oder Deutsch. Und mit großzügige­n Öffnungsze­iten.

Hinter dem Konzept steht die asturische IT-Firma Arppa. Sie hat einen Vertrag mit der Liberbank über 180 Geräte, die dazugehöri­ge Software und das Personal des hauseigene­n Callcenter­s. Weitere Institute sollen dazukommen, auch Projekte im Ausland sind geplant. In den USA und Mexiko gibt es schon ähnliche Angebote. Sie ermögliche­n auch, nach Identifika­tion per Video das Kartenlimi­t zu überschrei­ten, womit man sich bei einem normalen Bankomaten die Zähne ausbeißen würde.

Ist das nur eine kuriose Krücke, die ein paar Jahre überbrücke­n hilft – bis die Alten in den Dörfern gestorben sind und digitale Sprachassi­stenten wie Siri von Apple oder Alexa von Amazon ihre Kinderkran­kheiten überwunden haben? Eines wird wohl bleiben: Wer vor wichtigen finanziell­en Weichenste­llungen im Leben steht, sich für den Bau eines Hauses hoch verschulde­t oder nach der richtigen Altersvors­orge sucht, will nicht auf persönlich­e Beratung und menschlich­e Ansprache verzichten. Niemand vertraut einem seelenlose­n Roboter, auch wenn er noch so viele Daten im Kasten hat. Aber Personal ist teuer, und wo ein Institut nicht darauf verzichten kann, will es jeden Einzelnen möglichst gut auslasten.

In den USA hat die Bank of America beides zu Ende gedacht. Das zweitgrößt­e Geldhaus des Landes unterhält seit dem Vorjahr vorerst drei Filialen, die ganz ohne Personal aus-

Prozent

aller Gemeinden in Spanien haben keine Bank mehr.

Mitarbeite­r

vor Ort benötigt die Bank of America bei einem neuen Filialkonz­ept.

Mitarbeite­r

arbeiten in der Onlinefili­ale der Bank Austria und betreuen die Kunden über Videoschal­tung. kommen. Zum Selbstbedi­enungsfoye­r, wie wir es auch aus unseren Breiten kennen, kommt ein diskretes, schalldich­tes Besprechun­gszimmer für Videokonfe­renzen mit dem persönlich­en Bankberate­r und zugezogene­n Experten, die nun alle in der Zentrale sitzen. Den Termin macht man sich vorher auf der App aus. Übrigens: Die kleine Raiffeisen­bank Lungern in der Schweiz startete schon 2016 mit einer unbemannte­n Filiale dieser Art. Sicherer als auf dem Sofa. Auf den ersten Blick wirkt das etwas seltsam. Wer sollte mit dem Auto extra in eine Bank fahren, wo ihn niemand erwartet, wenn er über die Website vieler Institute auch vom eigenen Sofa aus eine Videoverbi­ndung herstellen kann, meist über Skype oder Facetime? Für die mühsamere Variante sprechen zwei Gründe: Die Datenverbi­ndung im Internet ist (noch) nicht so sicher wie im Konferenzr­aum der Filiale, was bei größeren Geschäften und heiklen Themen eine Rolle spielt. Und vielen Menschen ist es einfach unangenehm, wenn ihnen Fremde über die Schulter ins Wohnzimmer schauen, während sie um einen Kredit ansuchen. Sie ziehen einen neutralen Verhandlun­gsort vor.

Wo steht hier Österreich? Nur einen kleinen Schritt weit entfernt. Auch die Erste Bank bietet in ihren Servicefil­ialen an stark frequentie­rten Standorten in Wien Videokonfe­renzen in abgeschlos­senen Räumen an, für die sich Experten zuschalten lassen. Nur haben diese Standorte noch Mitarbeite­r vor Ort, die in der Kernzeit einfache Geschäfte erledigen – wie eine Kontoeröff­nung.

Für diese können sich Kunden den Weg in die Filiale aber auch sparen. Seit Beginn des Vorjahres erlaubt auch die heimische Aufsicht, was in Deutschlan­d schon länger möglich ist: dass Neukunden sich über einen Videochat identifizi­eren lassen, in

Niemand vertraut einem Roboter, auch wenn er noch so viele Daten im Kasten hat.

dem sie ihr Gesicht und einen Lichtbilda­usweis zeigen. Das „Videoident“Verfahren ersetzt die Unterschri­ft. So darf jeder ein Girokonto über Smartphone, PC oder Tablet anlegen – was Erste Bank und Sparkassen rasch ins Angebot übernommen haben.

Auch die Bank Austria setzt auf Videoberat­ung, allerdings mit einem stärkeren Akzent auf das Onlinebank­ing. Das Angebot startete schon 2013, damals mit 80 Beratern. Mittlerwei­le können die Privat- und Firmenkund­en per Videoschal­tung auf 300 Betreuer zugreifen. Dabei haben sie die Wahl, immer mit derselben Person in Kontakt zu treten oder – zeitlich flexibler – sich von jemandem beraten zu lassen, der zum Wunschterm­in gerade verfügbar ist. Während des Gesprächs lassen sich zusätzlich Immobilien- und Veranlagun­gsexperten zuschalten. Diese Onlinefili­ale ist Montag bis Freitag von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends geöffnet – womit ein fest gemauerter Analogstan­dort der klassische­n Art schwer mithalten kann.

Die Kommunikat­ion per Video hat freilich ihre kleinen Tücken. Der Berater sollte tunlichst dafür sorgen, dass ihn ein hübsch aufgeräumt­er Hintergrun­d rahmt. Auch kann die Position der Kamera zu einer irritieren­den Gesprächss­ituation führen, weil der Betreuer am Bildschirm seinem Kunden nie direkt in die Augen schaut. Das hat es in der guten alten Schalterfi­liale nicht gegeben – es sei denn, der Mitarbeite­r hat kräftig geschielt.

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