Wort der Woche
BEGRIFFE DER WISSENSCHAFT
Menschen nutzten immer schon die Heilkräfte von Pflanzen. Altgriechische Arzneien konnten sogar modernen Standards standhalten. Doch die Qualität war nicht immer so hoch.
Es ist immer wieder erstaunlich, über welches Wissen unsere Vorfahren verfügten. Ein Beispiel dafür präsentierte die griechische Pharmakologin Eleni Skaltsa beim „First Austrian Summit on Natural Products“, das, wie in der Samstag-„Presse“berichtet, diese Woche in Seefeld stattfand. Sie konnte zeigen, wie umfangreich die Kenntnisse der alten Griechen über die Heilkraft von Pflanzen war – konkret: im „ Corpus Hippocraticum“, einer Sammlung von mehr als 60 medizinischen Schriften, die im fünften und vierten vorchristlichen Jahrhundert unter dem Namen von Hippokrates von Kos niedergeschrieben wurden. In diesem Konvolut finden sich unter vielem anderen auch fast 1500 Rezepte von Heilmitteln, typischerweise Mischungen aus vier oder fünf Zutaten, in den meisten Fällen Pflanzen.
Skaltsa hat versucht, die Zutatenlisten mit heute bekannten Heilpflanzen abzugleichen. Trotz der oft schwierigen Zuordnung der Beschreibungen zu konkreten Pflanzen – die heute übliche Nomenklatur wurde ja erst im 18. Jahrhundert eingeführt – konnte sie 287 Pflanzen ermitteln, die in Griechenland und im Nahen Osten vorkommen. Dann verglich sie diese Liste mit heutigen pharmakologischen Handbüchern. Zu ihrer Überraschung deckten sich die Auflistungen weitgehend: Nur 27 der 287 bei Hippokrates erwähnten Pflanzen wird heute keine Heilkraft zugeschrieben. Die Qualität des antiken Arznei-Portfolios war offensichtlich gut: Immerhin 26 Pflanzen sind sogar von der in Sachen Pflanzenmedizin sehr restriktiven EU-Medizinagentur EMA als Heilpflanzen anerkannt. Diese Trefferquote ist verblüffend. Man sollte das aber nicht überinterpretieren. In früheren Zeiten gab es stets auch sehr viele „Heilmethoden“, die im günstigsten Fall nichts nützten und im schlechtesten Fall sogar tödlich waren. Eine systematische, quasi wissenschaftliche Untersuchung von Ursachen und Wirkungen gab es früher nur ausnahmsweise, etwa im antiken Griechenland. Und selbst dort war Medizin auch mit religiösen Vorstellungen und Praktiken verknüpft – mit Brandopfern, Gebeten, Teufelsaustreibungen, Heilsalbungen oder Talismanen. Die Tätigkeit der Heiler, die oft gleichzeitig Priester waren, und die Rituale wurden als mindestens genauso wichtig angesehen wie die Heilmittel selbst. So darf es auch nicht verwundern, dass so manche als wahre Zaubermittel angesehene Pflanzen, wie beispielsweise Alraunen, in Wirklichkeit starke Gifte waren.
Glaube hat immer schon Berge versetzt. Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.