»So ein Rennfahrerleben ist schön, aber eine
Ferdinand Hirscher, Vater und engster Betreuer von Skistar Marcel Hirscher, erklärt, was Rekorde wirklich bedeuten, und natürlich auch, was es mit dem Material auf sich hat. Über die Ursprünge des erfolgreichen Privatteams, Entspannung in der Skischule un
Man kann wohl davon ausgehen, dass das Team Hirscher zwischen den beiden Slalomdurchgängen heute in Kitzbühel (10.30/13.30 Uhr, live ORF eins) wieder zur Hochform auflaufen wird. Dass analysiert, getestet und geschliffen wird, was das Zeug hält. Und dass Marcel Hirscher am Ende einen Siegerski unter den Füßen hat. Ferdinand Hirscher: Der Schuss kann genauso nach hinten losgehen. Gerade wenn Materialumstellungen sind, wie heuer im Riesentorlauf, wo wir vorher so wenige Erkenntnisse hatten, muss man oft extrem pokern. Mit dem Siegerski von Beaver Creek (erster Saisonsieg Anfang Dezember, Anm.) ist Marcel zuvor keinen einzigen Schwung in den Toren gefahren, nur einmal frei herunter. Dass der dann so eingeschlagen hat, ist schlussendlich Zufall. Sieben Siege in den vergangenen neun Rennen – vergriffen haben Sie sich zuletzt aber nicht oft. Edi (Unterberger, Hirschers ehemaliger Servicemann, Anm.) und ich haben uns in Val d’Isere` vor ein paar Jahren einmal ordentlich vergriffen. Oft passiert das nicht, aber es birgt doch immer wieder ein ziemliches Risiko. Wie reagiert Marcel, wenn sich herausstellt, dass der Ski der falsche war? Wir sprechen uns vorher ab. Zum Beispiel in Adelboden habe ich drei Startnummern vor ihm noch angerufen und ihm gesagt, dass mein Bauchgefühl meint, wir sollten einen anderen Ski nehmen und er mir ja nicht böse sein soll, wenn ich mich vergreife. Aber da gibt es überhaupt nichts. Wenn es nicht funktioniert, dann funktioniert es eben nicht. Fertig, aus, Amen. Da gibt es kein Beleidigtsein, auch weil so viele Faktoren eine Rolle spielen und jeder versucht, sein Bestes zu geben. Die neu taillierten Riesentorlaufskier haben Sie dann doch sehr schnell in den Griff bekommen. Trotz Marcels Knöchelbruchs und des Testrückstands. Am Anfang war das eine Riesenumstellung. Es hat uns teilweise fast ein bisserl geärgert, als es geheißen hat, Marcel betreibe Understatement. Das war überhaupt nicht so, wir haben drei Sekunden Rückstand gehabt, waren komplett frustriert. Von Tag zu Tag ist es dann ein bisserl besser geworden. Am ersten Renntag in Beaver Creek war der erste Durchgang halbwegs passabel (Platz drei, Anm.), im zweiten haben wir halt wahnsinnig gepokert. Sie testen persönlich jeden Ski, bevor er den Weg zu Marcel findet? Jeden nicht, aber die meisten. Damit ich mir ein Urteil bilden kann, muss ich mit dem Ski fahren. Wenn ich drei Schwünge gemacht habe, spüre ich schon ein wenig, was der Ski macht. Nicht im Grenzbereich, aber von der Präparation her. Sehen Sie Grenzen beim Material? Ist es bald ausgereizt? Ach, das ginge im Endeffekt immer weiter. Man könnte so viel probieren, Grenzen gibt es keine. Und bei Marcel? Gibt es skifahrerisch überhaupt noch Luft nach oben? Hm . . . das ist schwer einzuschätzen. Schon. Aber wenn es jemand einschätzen kann, dann wohl Sie. Man ist schon ziemlich am Zenit, glaube ich. Aber die Technik entwickelt sich auch immer weiter, und man muss immer probieren, sich da anzupassen. Das Zeug, das ich unter den Füßen habe, nur wenn das richtig schnell ist, kann ich meine Topleistung bringen. Das muss man schon fairerweise im-
Ferdinand Hirscher
genannt Ferdl, geboren am 11. August 1955, wohnt mit Frau Sylvia, einer gebürtigen Niederländerin, in Annaberg.
Söhne
Marcel, 28, und Leon, 21. Leon arbeitet bei Atomic.
Skischule
Der einstige Holzfäller und Hüttenwirt (Stuhlalm) ist Mitbesitzer von Freeride-alpin in Annaberg.
Motocross
zählt zu seinen Leidenschaften. Hirscher ist Förderer des Kuchler RallyeStars Matthias Walkner. mer wieder dazusagen. Aber Marcel hat schon gute Qualitäten, er ist ein richtiger Wettkämpfer, er kann im Rennen auch Probleme wahnsinnig gut übertauchen. Das ist ein richtiger Rennfahrer. Sein bisher letzter Ausfall liegt knapp zwei Jahre zurück. Das sind 19 Slaloms hintereinander mit je zwei Durchgängen, jeder davon mit rund 70 Toren, in denen er nie eingefädelt, in denen es ihm nie den Ski verschlagen hat. Das ist nicht nur Können. Da ist ganz viel Glück dabei, das ist einfach so. Einmal ist es uns passiert, dass der Schlagschutz durch einen Stangenschlag heruntergerissen wurde und Marcel genau auf dieses minimal kleine Plastikteil draufgefahren und ausgerutscht ist. Sicher, man braucht schon Glück, keine Frage. Ist der Slalom angesichts dieser Zahlen höher einzuschätzen als die Abfahrt? Man kann die beiden Disziplinen schwer vergleichen. Aber Slalomfahren ist vom Kopf her so schnell, du hast keine Zeit zum Nachdenken, die Reflexe müssen sitzen. Ich schätze den Slalom sehr hoch ein. Sicher, in der Abfahrt kommt das Verletzungsrisiko bei schweren Stürzen dazu, aber der technische Anspruch ist meiner Überzeugung nach im Slalom schon höher. Marcels Dominanz hat in diesem Winter ein neues Niveau erreicht. Hat die Konkurrenz schon resigniert? Zumindest bei der Materialabstimmung hätte sie doch mittlerweile aufholen können. Das kann ich nicht einschätzen, weil ich mich nicht mit den anderen beschäftige. Aber es fallen mir schon gewisse Sachen auf, die wir angefangen haben. Zum Beispiel, dass die Serviceleute bei der Besichtigung zwei, drei Paar Skier mithaben und die Athleten am Rennhang noch herumprobieren. Die anderen Serviceleute schauen schon genau, was gemacht wird, die bemühen sich auch sehr. Der Aufwand des Hirscher-Lagers aber scheint unerreicht. Steckt ein Masterplan hinter diesem Privatteam? Ich glaube, der Eindruck, wir würden so einen Riesenaufwand betreiben, täuscht. Die anderen betreiben das ja genau gleich, ich sehe da eigentlich gar keinen Unterschied. Und zustande gekommen ist dieses Team, weil Marcel, als er angefangen hat zu gewinnen, so viele Pressetermine gehabt hat. Die Nationalmannschaft hat in St. Anton am Arlberg trainiert, und er hat in Salzburg oder in Linz einen Termin gehabt. Dann haben sie über Weihnachten in Hinterreit trainiert, da haben wir gesagt: Wenn ich fast eineinhalb Stunden Auto fahren muss, bevor ich zum trainieren komme, dann ist das so ein Zeitaufwand und schlecht für die Regeneration. So ist das Team Hirscher entstanden, und nicht, weil wir uns irgendwie absondern oder nicht mit den anderen trainieren wollten. Im Gegenteil. Wir suchen immer wieder den Kontakt mit der Nationalmannschaft, man muss sehen, wie fahren die anderen, man braucht den Vergleich. Ihr Sohn betont stets, wie sehr so ein Winter an die Substanz geht. Wie geht es Ihnen eigentlich? Die Rennen sind schon teilweise ziemlich stressig. Sicher ist Anspannung da, aber auf der anderen Seite kann ich gar nicht wahnsinnig nervös sein, das hilft Marcel nicht, und mir schadet es. Ich probiere dann, ruhig zu bleiben. Aber es gibt immer wieder Situationen, in denen man auf Nadeln sitzt. Andererseits: Spitzensport ist eine ganz extrige Welt, man darf dem auch nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Was ist Ihr Ausgleich? Motocross wie bei Marcel, oder gehen Sie es ruhiger an? Im Sommer gehe ich Motocross fahren. Im Winter gehe ich in die Skischule. Eine Skischule im Winter soll ein Ausgleich sein?
Von einem Stress in den anderen! Aber im Ernst: Ich mache das gern. Ich bin dann zwei, drei Tage in der Skischule, da vergisst man den Weltcupstress ein bisserl. Und dann geht es eh schon wieder weiter. Marcel hat im „Presse“-Interview einmal ein „grundsätzliches Bewegungsproblem“bei Kindern und Jugendlichen heutzutage ausgemacht. Deckt sich das mit Ihrer Erfahrung als Skischulbesitzer? Die Kindergartenkurse mit unseren Einheimischen sind immer ein Traum. Da gibt es kein Weinen, kein Herum- jammern, die sind ziemlich fit. Sonst ist es schon ab und zu ein Drama, wenn ich sehe, dass Fünfjährige nicht mehr aufstehen können, wenn sie hinfallen. Das fällt mir schon immer wieder auf. Unglaublich teilweise, ein Fünfjähriger kann nicht allein aufstehen . . . Bei Marcel werden seine bodenständige Kindheit und Jugend auf Ihrer Alm gern als Erfolgsfaktor angeführt. Begünstigt die Herkunft aus einfachen Verhältnissen sportlichen Erfolg? Ich glaube nicht. Alberto Tomba ist aus höchst begütertem Haus gekommen und hat viele Erfolge gefeiert, Katja Seizinger hat auch genug Rebbach gehabt. Wenn die Leute eine Freude haben an dem, was sie tun, ist das egal. Aber eines fällt schon auf: Aus renommierten Skiorten wie Saalbach oder Schladming kommen eigentlich kaum mehr richtig gute Skifahrer heraus. Die hätten dort aber alles. Wieso ist das so? Keine Ahnung. Deswegen glaube ich, dass schon eine gewisse Sättigung da ist. Sicher, so ein Rennfahrerleben ist irgendwie schon eine schöne Sache, aber eine harte Partie ist es halt auch. Deshalb hat Marcel einen baldigen Rücktritt nie ausgeschlossen. Hatten Sie in diesem Winter auf irgendeiner Piste das Gefühl, es könnte der letzte Besuch gewesen sein? Nein. Mit diesem Gedanken setze ich mich persönlich überhaupt nicht auseinander. Wenn Marcel sagt, er will aufhören, dann hört er auf. Und wenn er weiterfährt, fährt er weiter. Braucht er meine Hilfe bei der Entscheidung, dann unterstütze ich ihn. Ich glaube, er ist clever genug, um das einschätzen zu können. Wenn es ihn nicht mehr freut, dann soll er es lassen. Zuvor aber wird er Hermann Maiers 54 Weltcupsiege einstellen. Schon heute könnte es so weit sein. Sie halten es vermutlich wie