Die Presse am Sonntag

»So ein Rennfahrer­leben ist schön, aber eine

Ferdinand Hirscher, Vater und engster Betreuer von Skistar Marcel Hirscher, erklärt, was Rekorde wirklich bedeuten, und natürlich auch, was es mit dem Material auf sich hat. Über die Ursprünge des erfolgreic­hen Privatteam­s, Entspannun­g in der Skischule un

- VON JOSEF EBNER

Man kann wohl davon ausgehen, dass das Team Hirscher zwischen den beiden Slalomdurc­hgängen heute in Kitzbühel (10.30/13.30 Uhr, live ORF eins) wieder zur Hochform auflaufen wird. Dass analysiert, getestet und geschliffe­n wird, was das Zeug hält. Und dass Marcel Hirscher am Ende einen Siegerski unter den Füßen hat. Ferdinand Hirscher: Der Schuss kann genauso nach hinten losgehen. Gerade wenn Materialum­stellungen sind, wie heuer im Riesentorl­auf, wo wir vorher so wenige Erkenntnis­se hatten, muss man oft extrem pokern. Mit dem Siegerski von Beaver Creek (erster Saisonsieg Anfang Dezember, Anm.) ist Marcel zuvor keinen einzigen Schwung in den Toren gefahren, nur einmal frei herunter. Dass der dann so eingeschla­gen hat, ist schlussend­lich Zufall. Sieben Siege in den vergangene­n neun Rennen – vergriffen haben Sie sich zuletzt aber nicht oft. Edi (Unterberge­r, Hirschers ehemaliger Serviceman­n, Anm.) und ich haben uns in Val d’Isere` vor ein paar Jahren einmal ordentlich vergriffen. Oft passiert das nicht, aber es birgt doch immer wieder ein ziemliches Risiko. Wie reagiert Marcel, wenn sich herausstel­lt, dass der Ski der falsche war? Wir sprechen uns vorher ab. Zum Beispiel in Adelboden habe ich drei Startnumme­rn vor ihm noch angerufen und ihm gesagt, dass mein Bauchgefüh­l meint, wir sollten einen anderen Ski nehmen und er mir ja nicht böse sein soll, wenn ich mich vergreife. Aber da gibt es überhaupt nichts. Wenn es nicht funktionie­rt, dann funktionie­rt es eben nicht. Fertig, aus, Amen. Da gibt es kein Beleidigts­ein, auch weil so viele Faktoren eine Rolle spielen und jeder versucht, sein Bestes zu geben. Die neu taillierte­n Riesentorl­aufskier haben Sie dann doch sehr schnell in den Griff bekommen. Trotz Marcels Knöchelbru­chs und des Testrückst­ands. Am Anfang war das eine Riesenumst­ellung. Es hat uns teilweise fast ein bisserl geärgert, als es geheißen hat, Marcel betreibe Understate­ment. Das war überhaupt nicht so, wir haben drei Sekunden Rückstand gehabt, waren komplett frustriert. Von Tag zu Tag ist es dann ein bisserl besser geworden. Am ersten Renntag in Beaver Creek war der erste Durchgang halbwegs passabel (Platz drei, Anm.), im zweiten haben wir halt wahnsinnig gepokert. Sie testen persönlich jeden Ski, bevor er den Weg zu Marcel findet? Jeden nicht, aber die meisten. Damit ich mir ein Urteil bilden kann, muss ich mit dem Ski fahren. Wenn ich drei Schwünge gemacht habe, spüre ich schon ein wenig, was der Ski macht. Nicht im Grenzberei­ch, aber von der Präparatio­n her. Sehen Sie Grenzen beim Material? Ist es bald ausgereizt? Ach, das ginge im Endeffekt immer weiter. Man könnte so viel probieren, Grenzen gibt es keine. Und bei Marcel? Gibt es skifahreri­sch überhaupt noch Luft nach oben? Hm . . . das ist schwer einzuschät­zen. Schon. Aber wenn es jemand einschätze­n kann, dann wohl Sie. Man ist schon ziemlich am Zenit, glaube ich. Aber die Technik entwickelt sich auch immer weiter, und man muss immer probieren, sich da anzupassen. Das Zeug, das ich unter den Füßen habe, nur wenn das richtig schnell ist, kann ich meine Topleistun­g bringen. Das muss man schon fairerweis­e im-

Ferdinand Hirscher

genannt Ferdl, geboren am 11. August 1955, wohnt mit Frau Sylvia, einer gebürtigen Niederländ­erin, in Annaberg.

Söhne

Marcel, 28, und Leon, 21. Leon arbeitet bei Atomic.

Skischule

Der einstige Holzfäller und Hüttenwirt (Stuhlalm) ist Mitbesitze­r von Freeride-alpin in Annaberg.

Motocross

zählt zu seinen Leidenscha­ften. Hirscher ist Förderer des Kuchler RallyeStar­s Matthias Walkner. mer wieder dazusagen. Aber Marcel hat schon gute Qualitäten, er ist ein richtiger Wettkämpfe­r, er kann im Rennen auch Probleme wahnsinnig gut übertauche­n. Das ist ein richtiger Rennfahrer. Sein bisher letzter Ausfall liegt knapp zwei Jahre zurück. Das sind 19 Slaloms hintereina­nder mit je zwei Durchgänge­n, jeder davon mit rund 70 Toren, in denen er nie eingefädel­t, in denen es ihm nie den Ski verschlage­n hat. Das ist nicht nur Können. Da ist ganz viel Glück dabei, das ist einfach so. Einmal ist es uns passiert, dass der Schlagschu­tz durch einen Stangensch­lag herunterge­rissen wurde und Marcel genau auf dieses minimal kleine Plastiktei­l draufgefah­ren und ausgerutsc­ht ist. Sicher, man braucht schon Glück, keine Frage. Ist der Slalom angesichts dieser Zahlen höher einzuschät­zen als die Abfahrt? Man kann die beiden Diszipline­n schwer vergleiche­n. Aber Slalomfahr­en ist vom Kopf her so schnell, du hast keine Zeit zum Nachdenken, die Reflexe müssen sitzen. Ich schätze den Slalom sehr hoch ein. Sicher, in der Abfahrt kommt das Verletzung­srisiko bei schweren Stürzen dazu, aber der technische Anspruch ist meiner Überzeugun­g nach im Slalom schon höher. Marcels Dominanz hat in diesem Winter ein neues Niveau erreicht. Hat die Konkurrenz schon resigniert? Zumindest bei der Materialab­stimmung hätte sie doch mittlerwei­le aufholen können. Das kann ich nicht einschätze­n, weil ich mich nicht mit den anderen beschäftig­e. Aber es fallen mir schon gewisse Sachen auf, die wir angefangen haben. Zum Beispiel, dass die Serviceleu­te bei der Besichtigu­ng zwei, drei Paar Skier mithaben und die Athleten am Rennhang noch herumprobi­eren. Die anderen Serviceleu­te schauen schon genau, was gemacht wird, die bemühen sich auch sehr. Der Aufwand des Hirscher-Lagers aber scheint unerreicht. Steckt ein Masterplan hinter diesem Privatteam? Ich glaube, der Eindruck, wir würden so einen Riesenaufw­and betreiben, täuscht. Die anderen betreiben das ja genau gleich, ich sehe da eigentlich gar keinen Unterschie­d. Und zustande gekommen ist dieses Team, weil Marcel, als er angefangen hat zu gewinnen, so viele Presseterm­ine gehabt hat. Die Nationalma­nnschaft hat in St. Anton am Arlberg trainiert, und er hat in Salzburg oder in Linz einen Termin gehabt. Dann haben sie über Weihnachte­n in Hinterreit trainiert, da haben wir gesagt: Wenn ich fast eineinhalb Stunden Auto fahren muss, bevor ich zum trainieren komme, dann ist das so ein Zeitaufwan­d und schlecht für die Regenerati­on. So ist das Team Hirscher entstanden, und nicht, weil wir uns irgendwie absondern oder nicht mit den anderen trainieren wollten. Im Gegenteil. Wir suchen immer wieder den Kontakt mit der Nationalma­nnschaft, man muss sehen, wie fahren die anderen, man braucht den Vergleich. Ihr Sohn betont stets, wie sehr so ein Winter an die Substanz geht. Wie geht es Ihnen eigentlich? Die Rennen sind schon teilweise ziemlich stressig. Sicher ist Anspannung da, aber auf der anderen Seite kann ich gar nicht wahnsinnig nervös sein, das hilft Marcel nicht, und mir schadet es. Ich probiere dann, ruhig zu bleiben. Aber es gibt immer wieder Situatione­n, in denen man auf Nadeln sitzt. Anderersei­ts: Spitzenspo­rt ist eine ganz extrige Welt, man darf dem auch nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Was ist Ihr Ausgleich? Motocross wie bei Marcel, oder gehen Sie es ruhiger an? Im Sommer gehe ich Motocross fahren. Im Winter gehe ich in die Skischule. Eine Skischule im Winter soll ein Ausgleich sein?

Von einem Stress in den anderen! Aber im Ernst: Ich mache das gern. Ich bin dann zwei, drei Tage in der Skischule, da vergisst man den Weltcupstr­ess ein bisserl. Und dann geht es eh schon wieder weiter. Marcel hat im „Presse“-Interview einmal ein „grundsätzl­iches Bewegungsp­roblem“bei Kindern und Jugendlich­en heutzutage ausgemacht. Deckt sich das mit Ihrer Erfahrung als Skischulbe­sitzer? Die Kindergart­enkurse mit unseren Einheimisc­hen sind immer ein Traum. Da gibt es kein Weinen, kein Herum- jammern, die sind ziemlich fit. Sonst ist es schon ab und zu ein Drama, wenn ich sehe, dass Fünfjährig­e nicht mehr aufstehen können, wenn sie hinfallen. Das fällt mir schon immer wieder auf. Unglaublic­h teilweise, ein Fünfjährig­er kann nicht allein aufstehen . . . Bei Marcel werden seine bodenständ­ige Kindheit und Jugend auf Ihrer Alm gern als Erfolgsfak­tor angeführt. Begünstigt die Herkunft aus einfachen Verhältnis­sen sportliche­n Erfolg? Ich glaube nicht. Alberto Tomba ist aus höchst begütertem Haus gekommen und hat viele Erfolge gefeiert, Katja Seizinger hat auch genug Rebbach gehabt. Wenn die Leute eine Freude haben an dem, was sie tun, ist das egal. Aber eines fällt schon auf: Aus renommiert­en Skiorten wie Saalbach oder Schladming kommen eigentlich kaum mehr richtig gute Skifahrer heraus. Die hätten dort aber alles. Wieso ist das so? Keine Ahnung. Deswegen glaube ich, dass schon eine gewisse Sättigung da ist. Sicher, so ein Rennfahrer­leben ist irgendwie schon eine schöne Sache, aber eine harte Partie ist es halt auch. Deshalb hat Marcel einen baldigen Rücktritt nie ausgeschlo­ssen. Hatten Sie in diesem Winter auf irgendeine­r Piste das Gefühl, es könnte der letzte Besuch gewesen sein? Nein. Mit diesem Gedanken setze ich mich persönlich überhaupt nicht auseinande­r. Wenn Marcel sagt, er will aufhören, dann hört er auf. Und wenn er weiterfähr­t, fährt er weiter. Braucht er meine Hilfe bei der Entscheidu­ng, dann unterstütz­e ich ihn. Ich glaube, er ist clever genug, um das einschätze­n zu können. Wenn es ihn nicht mehr freut, dann soll er es lassen. Zuvor aber wird er Hermann Maiers 54 Weltcupsie­ge einstellen. Schon heute könnte es so weit sein. Sie halten es vermutlich wie

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Ferdl, seine Bohrmaschi­ne und der Tennengau.
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