Chancenlos, populär, exotisch Allein der Start ist ihr Triumph
Olympia in Pyeongchang, dort will Carlos Mäder, Ghanese mit Schweizer Wurzeln, als Exot dabei sein. Crowdfunding ist seine Geldquelle.
Wenn Carlos Mäder, 39, erzählt, warum er bei Olympia 2018 im Riesenslalom für Ghana starten will, bedient er nicht das tiefschürfende Credo „Dabeisein ist alles“. Vielmehr besteht das Motivations-Patchwork aus seiner Skibegeisterung von Kindesbeinen an, dem Spaßprojekt einiger Freunde, einem Schuss sozialen Engagements und dem ambitionierten Ziel eines Enddreißigers, der Marketingpotenziale des digitalen Zeitalters gut kennt. Alles also urmenschlich, ohne jede Chance auf eine Medaille.
Als Mäder Ende der vergangenen Saison mit ein paar Skifreunden über die Olympiateilnahme sinnierte, ahnte er noch nicht, dass ihm der administrative Aufwand mehr Ausdauer abverlangen würde als das Training. Denn Mäder, geboren in Ghana, adoptiert von einer Schweizer Familie und aufgewachsen im Kanton Obwalden, hatte weder einen ghanaischen Pass noch eine FIS-Lizenz, die Voraussetzung sind, um Qualifikationsrennen fahren zu können. Also übte er sich zunächst in Geduld. Denn Kontakte zum nationalen olympi- schen Komitee und skisportliche Infrastruktur auf ghanaischer Seite hatte er nicht. Dafür aber viel afrikanisches Behördenflair, bei dem zunächst alles unklar ist, am Schluss die wichtigen Dinge aber doch klappen. Auch dank des „Schneeleoparden“, Kwame Nkrumah-Acheampong, der in Vancouver 2010 als erster ghanaischer Skisportler dabei war.
Als vermutlich einziger Repräsentant des ghanaischen Skiverbands meldet er Mäder für FIS-Rennen an. Seinen Rennanzug bot er ihm auch an, freilich den im Schneeleopardenlook. Mäder lehnte aber dankend ab. Er will in den ghanaischen Landesfarben antreten, und sagt: „Wir sind doch zu allem fähig.“ Held der Crowdfunding-Plattform. Der Bezug zu seinen Wurzeln wurde für ihn nach dem Verlust des leiblichen und des Adoptivvaters wichtig. Der Spagat zwischen zwei Identitäten löste sich mit dem späten Kontakt zu seiner Familie in Ghana auf und seine Augen leuchten, wenn er von dieser Begegnung erzählt. Auf Sponsorengelder, die sein Landsmann bei einer Qualifikation in Aussicht gestellt hat, kann er nicht verzichten. Zwar läuft die Finanzierung via CrowdfundingPlattform und Sponsoring zufriedenstellend und ein Zehntel aller Einnahmen gehen an das Hilfsprojekt „Hope for Ghana“. Nach der Qualifikationsphase (ca.17.000 €) und sollte er wirklich das Ticket nach Pyeongchang lösen, rechnet er mit weiteren 40.000 Euro.
20 FIS-Rennen ist er also gefahren. Nicht beim Weltcup in Adelboden oder Kitzbühel, sondern an eher unbekannten Nebenschauplätzen wie Palandöken in der Türkei oder Ravna Planina in Bosnien-Herzegowina. Den Slalom hat er, weil zu langsam, inzwischen bereits abgehakt. Jetzt konzentriert er sich auf den Riesentorlauf und fährt Rennen in seiner Leistungsstufe. Da stehen Inder, Iraner und Türken am Start – Exoten unter sich, denn nur da hat er eine taktische Chance, den kleinsten Zeitabstand zum jeweiligen Gewinner zu erreichen; so wie es die FIS-Regel für die B-Qualifikation verlangt. Zwölf bis 15 Sekunden beträgt sein Rückstand auf die Sieger, die allesamt aber fünf- zehn oder noch mehr Jahre jünger sind als er.
Sein Projekt scheint fantastisch. Trainiert hat er diesen Winter ein paar Mal mit dem Juniorenkader des Obwaldener Skiverbands. In Speeddisziplinen kann er nicht starten; zum Glück, muss man sagen, sonst wäre es lebensgefährlich. Und wenn er, der in seiner Jugend vom Profisport geträumt hat, sagt „ich bin ein Sportler, Challenger und will weiter kommen“, nimmt man ihm das auch ab. Dass Exoten bei Olympia oft nicht ernst genommen werden, ärgert ihn dennoch. Man würde die Sache doch ernst nehmen, hart trainieren. Wer aus dem Iran oder der Türkei kommt und keinen Skilift vor der Haustür hat, nehme für Olympia sehr viel auf sich. Man trainiere, trainiere, fahre Stangen. Tag ein, Tag aus. Fast wie ein echter Profi . . . Lob von Stephan Eberharter. Bei den Spielen sind und bleiben Exoten der sympathische Blickfang. Ob Afrikaner in der Langlaufloipe, karibische Bobfahrerinnen oder Slalom-Wagemutige aus Mexiko – bei Großevents sind sie nicht mehr wegzudenken. Für die Stars der Szene sind sie keine Belastung, im Gegenteil: Sie gehören doch unbedingt dazu, sagt der ehemalige Skistar, Olympiasieger und Weltmeister Stephan Eberharter. Seine Erinnerung? „Da bei Olympia Sportler aus allen Ländern zusammenkommen, gab es das schon immer. „Exoten“habe ich zwar nie so wahrgenommen, für mich ging es bei meinen Starts ja immer um Goldmedaillen. Doch die olympische Idee ist darauf aufgebaut, dass alle Länder, die beim IOC gelistet sind, auch Startquoten bekommen. Es macht durchaus Sinn, sonst würden im Skisport nur die vier Topnationen mit Medaillenpotenzial dabei sein.“
Exoten stellen keine Gefahr dar, ruinieren weder Piste noch Spur. „Skisport ist aber gefährlicher als ein Marathon“, sagt Eberharter. Deshalb müsse man abwägen, „ob man das Risiko einer Verletzung auf sich nehmen will. Skisport bedeutet immer Geschwindigkeit.“Wer unbedingt dabei sein will, dem ist alles recht, wenn er denn dabei ist. Medaillen werden Exoten nie gewinnen, der Start sei ihr größter Sieg. Und: „Sie können das Genusspotenzial von Olympia ausschöpfen. Der Exot hat viel mehr Zeit.“
»Schneeleoparden«: Auf der Spurensuche von Kwame Nkrumah-Acheampong.