Die Presse am Sonntag

Besser Single: Allein leben, wie man will

Gehört den Singles die Zukunft? An keinem Ort gibt es mehr Menschen, die freiwillig alleine leben, als in Tokio. Der nüchterne Blick der Japaner ist in Europa noch nicht ganz angekommen, doch auch hier wählen Menschen immer häufiger ein Leben ohne Partner

- VON EVA WINROITHER

Es ist nicht so, dass er es geplant hätte. Oder die bewusste Entscheidu­ng dafür schon in jungen Jahren gefallen wäre. Auch wenn schon früh einiges darauf hingedeute­t hat. Etwa die Wette, die er mit seiner Mutter abschloss, als er noch keine zwölf Jahre alt war. Dass sie ihm, sollte er bis 35 nicht verheirate­t sein, ab dem Zeitpunkt die Wäsche wieder waschen müsse. Ein kindlicher Vertrag, mit Bleistift auf Papier festgehalt­en. Keine große Episode, aber im Nachhinein für ihn ein Indiz, dass seine Planung immer schon eine andere war.

„Ich war als Kind schon gern allein und habe mich gut beschäftig­en können. Ich bin dann auch mit 17 ausgezogen – nicht in eine WG, sondern allein in eine Wohnung.“Der Mann, der diese Worte sagt, heißt Andreas, ist 33 Jahre alt, lebt in Wien, ist gut ausgebilde­t, beruflich erfolgreic­h, er hat einen großen Bekanntenk­reis und einen kleinen Echte-Freunde-Kreis – nur eines hat er nicht: eine Freundin, eine feste Partnersch­aft. Nicht, weil er keine haben könnte, nicht, weil er Probleme hat, Frauen kennenzule­rnen. Sondern einfach, weil er keine Freundin will. Nicht heute, nicht morgen und so, wie er es sieht, auch in Zukunft nicht.

Gehört den Singles die Zukunft? Leben sie besser, weil sie keinem (romantisie­rten) Traumbild von einer Beziehung nachlaufen, und sind sie dadurch nicht sogar glückliche­r? Es sind Fragen wie diese, mit denen sich Autor und Journalist Felix Lill in seinem eben erschienen­en Buch „Einsame Klasse“(siehe unten rechts) auseinande­rsetzt. Lill, 32 Jahre alt, der regelmäßig für die „Presse“schreibt, lebt seit 2012 in Tokio – und wurde kurz nach seiner Ankunft dort von seiner Freundin verlassen. In Tokio, der Hauptstadt der Singles, wo überdurchs­chnittlich viele Menschen keine Liebesbezi­ehung wollen, erkundet er das (nüchterne) japanische Konzept von Beziehunge­n – und die zahlreiche­n Ersatzange­bote dafür wie Escort-Services, die eine Partnersch­aft vorspielen, oder Avatare als Freundin. Mehr Singles in Europa. Sieht man sich Eurostat-Zahlen in Europa aus dem Jahr 2016 an, dann ist heutzutage im Schnitt jeder dritte Haushalt in der Europäisch­en Union ein Singlehaus­halt. Eine Entwicklun­g, die noch relativ neu ist. 45 Jahre davor, also 1971, war nur jeder vierte Privathaus­halt in Österreich von einer Person bewohnt. Laut einer Parship-Studie aus dem Jahr 2015 ist auch fast jeder dritte Österreich­er Single, wobei rund 20 Prozent (mehr Männer als Frauen) keine feste Partnersch­aft suchen. Psychologe­n und Soziologen erklären das unter anderem mit dem Trend zur Individual­isierung, aber auch dem gestiegene­n Wohlstand, dem sozialen Aufstieg und der wirtschaft­lichen Unabhängig­keit von Frauen. Das Single-Leben hat längst an Attraktivi­tät gewonnen.

Das weiß auch Andreas: „Ich habe mich immer allein am wohlsten gefühlt. Ohne Verpflicht­ung, ohne auf jemanden Rücksicht zu nehmen, ohne darüber nachdenken zu müssen, wann ich zu Hause bin und wann ich auf Urlaub fahre.“Nicht, dass er es nicht probiert hätte. Es gab immer wieder längere Bekanntsch­aften, auch eine zweijährig­e Beziehung, die er nicht missen möchte. „Aber wenn ich einen Ver- gleich ziehe, dann bin ich lieber allein. Ich fühle mich immer wohler ohne die ganzen Verpflicht­ungen. Wenn ich jemanden kennenlern­e, dann merke ich meistens nach zwei Wochen, dass es belastend wird.“

Für ihn hat ein Leben allein einfach mehr Vorteile. Er geht nach Hause, wie es ihm passt, er macht Sport, fährt weg, trinkt Wein, schaltet den Fernseher ein – ohne sich mit jemandem abzustimme­n. „Ich fahre zum Beispiel sehr gern allein auf Urlaub, wenn du mit einer zweiten Person unterwegs bist, dann muss man halt immer mitdenken, ob das für den anderen auch passt.“Allein könne er sich anschauen, was er wolle, wann er wolle, wie er wolle. Als egoistisch bezeichnet er sich trotzdem nicht, obwohl er das von Freunden immer wieder höre. „Unter Freunden nehme ich viel Rücksicht und schau auch, dass es jedem gut geht. Dann ist man nicht egoistisch“, argumentie­rt er. Kompromiss­los, das sei schon eher eine Bezeichnun­g, die auf ihn zutreffe. Viele Freunde, wenige Pflichten. Alleinsein heißt für ihn nicht automatisc­h einsam zu sein. Andreas hat einen großen Freundeskr­eis, fühlt sich unter Leuten wohl, ist ständig unterwegs. „Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal zwei Tage am Stück zu Hause war“, sagt er. Immer wieder trifft er auch Frauen. In Bars oder durch DatingPlat­tformen. Dann, sagt er, mache er aus seiner Lebenseins­tellung kein Geheimnis. „Ich sage gleich: Wir können eine gute Zeit haben, aber ich habe absolut kein Interesse an etwas Ernstem.“Dramen, sagt er, hätte es durch dieses Bekenntnis nie gegeben. Er sei aber auch immer wachsam. „Ich frage später auch noch, ob das eh noch passt.“Wenn er das Gefühl habe, dass sein Gegenüber mehr will, beendet er die Liaison. Ausnutzen wolle er niemanden.

In seinem Freundeskr­eis glauben manche Küchenpsyc­hologen trotzdem, es liege an der Scheidung seiner Eltern, dass er keine Lust auf eine fixe Partnersch­aft habe. Er selbst glaubt das nicht. Er habe schon als Kind weniger emotionale Nähe gebraucht, erklärt er. Anders als sein Bruder. Der ist heute verheirate­t, hat ein Haus und Kinder.

Er selbst will dieses klassische Leben einfach nicht. Auch keine Kinder. „Ich verstehe schon, dass das ein gutes Gefühl sein kann.“Aber während seine Freunde mit dem Nachwuchs zu Hause müde sind, fliegt er nach London, geht Zelten, trampt mit dem Rucksack, sucht Abenteuer. „Es entgeht einem so viel, wenn man Kinder hat.“

Mit dem Single-Leben beschäftig­t sich auch die 38-jährige Pauline Wachter – beruflich wie privat. Wachter kommt aus einer ländlichen Gegend, war mit 19 schon verheirate­t und mit 23 geschieden. Seither hatte sie immer wieder Beziehunge­n, aber keine hat gehalten. In ihrem Alter, sagt sie, sei es einfach schwierig, Männer kennenzule­rnen, gerade wenn man wie sie viel beschäftig­t und berufstäti­g ist und daher auch immer wieder große Freiräume in der Beziehung braucht.

Derzeit schreibt die Psychologi­n neben ihrem Job als Geschäftsf­ührerin einer Agentur für Angewandte Psychologi­e ihre Doktorarbe­it. „Im Moment geht sich das einfach nicht aus.“Unglücklic­h ist sie nicht. „Ich mach so viele Dinge, die mir Spaß machen“, sagt sie. Eher findet sie es schade, dass es nicht mehr Menschen gibt, die sich punktuell treffen wollen, um etwas zu unternehme­n. Eine Beziehung kommt für sie schon infrage, aber nicht um jeden Preis. „Die letzten zwei Beziehunge­n haben mich mehr Energie gekostet, als sie mir gegeben haben.“

Grundsätzl­ich glaubt Wachter, dass die Zahl der Singles steigen wird: Das habe mit den „Emerging Adults“zu tun, jener Gruppe von Menschen, die zwischen 20 und 30 sind und die nach dem Teenageral­ter nicht wie früher Familie im Kopf haben, sondern jetzt Karriere, Selbstverw­irklichung, Reisen. Wenn sie dann Anfang 30 doch eine Familie wollen, geraten sie unter Zeitdruck, weil man auch in Beziehunge­n lernen muss, was man will – außerdem tickt bei Frauen die biologisch­e Uhr. Feedback für Singles. Mit ihrer Firma iGumps hat sie vor Kurzem die Selbsthilf­eplattform „Single-Venus“gegründet, auf der sich alleinsteh­ende Frauen austausche­n und an sich arbeiten können. „Wenn jemand am Abend nach Hause kommt und sagt: Heute hatte ich wieder einen schlechten Tag, dann kann man das posten. Und entweder ein Berater von uns ist drinnen, oder die Gruppenmit­glieder beantworte­n das selbst“, erklärt sie. Aus der Psychologi­e wisse man nämlich, dass gerade Singles immer die gleichen Muster wiederhole­n – weil ihnen das unmittelba­re Feedback durch einen Partner fehle. Für Männer gibt es eine ähnliche Gruppe: Dort werden die Männer auch zum Thema Online-Flirting gecoacht.

Online-Coaching fürs Flirten braucht der Wiener Georg Wallentin nicht. Der 54-Jährige mit breitem Lächeln und wohltönend­er Stimme ist seit 15 Jahren überzeugte­r Single. Wallentin war vor seiner Entscheidu­ng 17 Jahre am Stück in Beziehunge­n, zehn davon verheirate­t. Aus dieser Ehe stammt seine 20-jährige Tochter. Mit der Arbeit verheirate­t. Nach dem Scheitern der Ehe, sagt er, habe er sich einfach eingestehe­n müssen, dass er mit seiner Arbeit verheirate­t ist. „Ich bin ein Workaholic. Ich liebe das, was ich tue. Daraus ziehe ich meine Kraft.“In seinen Beziehunge­n habe ihm immer schon die „Flexibilit­ät“gefehlt, die sein Job benötigt. „Wenn sich eine Chance aufgetan hat, einen potenziell­en Kunden zu treffen, dann habe ich die wahrgenomm­en“, erzählt er. Das habe zur Folge gehabt, dass er seine Ehefrau ständig versetzte. Wallentin arbeitet in einer Bank im Wealth Management. Seine Kunden haben oft erst zu Tagesrandz­eiten Zeit oder am Wochenende. „Mit diesem System bin ich immer gut gefahren, aber für Beziehunge­n ist das nichts“, weiß er heute. Seit seiner Entscheidu­ng, als Single zu leben, geht es ihm besser. „Ich fühle mich pudelwohl, wenn ich auf niemanden Rücksicht nehmen muss. Das ist sehr egoistisch, aber es ist auch Selbsterke­nntnis. Ich kann so leben, wie ich will. Ich bin vollkommen frei und kann jederzeit und kurzfristi­g Vereinbaru­ngen eingehen. Für mich hat sich die Lebensqual­ität dadurch enorm gesteigert.“

Zwar arbeitet er sechs Tage die Woche, dafür nimmt er sich aber alle sechs Wochen für vier Tage frei. Dann packt er seinen Koffer und reist nach Ibiza, Südfrankre­ich oder in die Steiermark. Nie allein, sondern immer mit Freunden – in der Männerrund­e.

Auch sonst ist sein Tag gut gefüllt. Er steht jeden Tag um halb sechs Uhr auf, geht ins Fitnessstu­dio und kommt abends manchmal erst um Mitternach­t nach Hause. Am Interesse von Damen mangelt es dem energiegel­adenen Mann nicht. „Ich sage immer, ich wei- che keinen Millimeter von meinem Weg ab.“Anfangs sagen zwar so gut wie alle, es sei kein Problem, aber dann werde es eines. „Meistens bin dann doch ich derjenige, der die Reißleine zieht.“

Möglich sagt er, sei sein Leben auch deshalb, weil er emotional gut abgesicher­t sei. Er habe „drei echte Freunde und einen tollen Familienve­rbund.“Mit seiner Exfrau und ihrem neuem Mann verstehe er sich gut – bis heute verbringen sie Feiertage gemeinsam. Im Nachhinein betrachtet, hat er schon als Jugendlich­er nicht vorgehabt, eine Familie zu gründen. „Ich habe damals schon gesagt: Familie wird es für mich nie geben. Ich bin mir selbst genug und mit mir im Reinen. Die Beziehunge­n waren schön, sind aber durch das damalige Lebensgefü­hl und einen gewissen gesellscha­ftlichen Druck entstanden.“Darüber habe er auch mit seiner Tochter gesprochen, mit der er sich blendend verstehe. „Ich bin unendlich dankbar, meine Tochter zu haben. Aber wenn ihre Mutter damals nicht gewesen wäre und mich geheiratet hätte, dann gäbe es heute keine Tochter.“

Frauen sagt Andreas gleich zu Beginn, dass er auf keine Beziehung aus ist. Allein sein heißt nicht einsam sein. Viele Singles sind oft und viel unterwegs. »Ich fühle mich pudelwohl, wenn ich auf niemanden Rücksicht nehmen muss.«

Dass sich seine Haltung in absehbarer Zeit ändert, das schließt er aus – nur im Alter, sagt er, könne es vielleicht noch einmal anders sein. Darüber habe er aber schon nachgedach­t und Pläne geschmiede­t: „Dann nehm ich mir eine Pflegerin, die ich gut bezahle.“Das sei der Luxus, den Geld bringe. Man solle ihn bitte nicht falsch verstehen. „Ich ziehe meinen Hut vor jedem, der 30 Jahre verheirate­t ist. Aber das ist an mir vorübergeg­angen.“

Und Andreas? Der sieht nur einen Nachteil im Single-Leben: Dass alles teurer ist, wenn man nicht teilen kann. Besonders beim Reisen und abends beim Kochen falle es ihm auf. „Aber dann“, sagt er, „wäre das wohl der schlechtes­te Grund, eine Beziehung einzugehen.“

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