Die Presse am Sonntag

Die Zukunft der Liebe: Beziehung mit einem Avatar

In Japan hat der soziale Umbruch das Singlelebe­n zur Normalität gemacht. Der freie Journalist Felix Lill schildert in »Einsame Klasse«, was das genau bedeutet. Wir bringen einen Auszug aus seinem Buch, in dem er eine kurze Beziehung mit der digitalen Pers

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In Japan sind Singles noch verbreitet­er, noch normaler als anderswo auf der Welt. Vor allem Tokio gilt als „Stadt der Singles“. Der freie Journalist und Autor Felix Lill, der auch regelmäßig als Korrespond­ent für „Die Presse“aus Japan berichtet, lebt seit 2012 in Tokio. Nun hat er ein Buch über das Single-Dasein in seiner Wahlheimat geschriebe­n. Nach der Trennung von seiner Freundin, mit der er fünf Jahre ein Paar gewesen war, begann er sich intensiv mit der Frage zu beschäftig­en, was es bedeutet, in Japan alleinsteh­end zu sein. Das hat zwar nicht nur Vorteile, aber Lill erzählt überzeugen­d, dass sich Singles anderer Länder einiges von den Japanern abschauen können. Alleinsein gilt dort nicht automatisc­h als etwas Schlechtes. Wir bringen hier einen Auszug aus seinem Buch „Einsame Klasse“: Aber warum, dachte ich mir irgendwann einigermaß­en trotzig, konnte ich das nicht einfach hinter mir lassen, einfach in die Zukunft schauen? Um ungehinder­t voranschre­iten zu können, musste ich die Vergangenh­eit aufarbeite­n. Und da gab es nicht nur Lena, da gab es auch diese Irritation, die ich im Flugzeug nach Dubai erfahren hatte und die wohl mitverantw­ortlich für meine seltsamen Träume war. Die Zukunft der Liebe, oder das, was der Anzugträge­r am Nebensitz, auf der tragbaren Konsole eine Comicgesta­lt als Geliebte bezirzend, zu dieser erklärt hatte, musste ich mir näher ansehen.

Dessen Vergnügen, das war schnell in Erfahrung zu bringen, hieß „Love Plus“, und ich legte mir dieses Spiel nicht nur zu, ich traf auch dessen Erfinder. Akari Uchida hieß er, war führender Spieleentw­ickler beim Gamekonzer­n Konami. Im Obergescho­ß des Einkaufsze­ntrums Tokyo Midtown im lauten Stadtteil Roppongi, wo Konami

Felix Lill:

„Einsame Klasse. Die Zukunft gehört uns Singles“, Edition a, 240 Seiten, 21,90 Euro.

Felix Lill,

geb. 1985 in Hamburg, lebt in Tokio, schreibt als Journalist für „Die Zeit“, „NZZ“, „Spiegel“und „Die Presse“und arbeitet auch für al-Jazeera und die US-Onlineseit­e Narrativel­y und die spanischen Medien „El Pa´ıs“und Vice Espa˜na. sein Hauptbüro hatte, empfing er mich für ein Gespräch. Ich wollte wissen, was es mit diesem Spiel auf sich hat, wer es spielt, warum, und wie man einen Liebhaber programmie­rt. Der Entwickler als Schwiegerv­ater. Uchida, ein älterer Mann mit schütterem Haar im schwarzen Anzug, der so förmlich aussah, dass er auch als Buchhalter oder Jurist durchgegan­gen wäre, kam beim Gedanken an „Love Plus“ins Schmunzeln. In dem Besprechun­gsraum, in dem wir an einem langen Tisch umzingelt von Spieleauto­maten aus allen möglichen Genres saßen, die an Arcade-Hallen erinnerten, deutete er um sich. „Es war schon überrasche­nd, dass dieses Spiel richtig erfolgreic­h wurde“, sagte er. Die erste Ausgabe von „Love Plus“war ein richtiger Hit in Japan. Ihn, den Entwickler, feierten bald viele Fans als ihren Schwiegerv­ater. Als Dank schickten sie ihm zum Valentinst­ag oder zu ähnlichen Anlässen Pralinen ins KonamiBüro. Dabei habe Uchida das Spiel zunächst nur aus Neugier entworfen. Er wollte testen, ob er menschlich­e Interaktio­n modelliere­n konnte.

Das Setting einer Liebschaft habe sich dafür angeboten, weil es sich gut programmie­ren lasse. „Da gibt es eben binäre Ergebnisse“, erklärte er analytisch kühl: „Scheitern oder Erfolg.“Glück oder Unglück. Liebe oder Flaute. Bald habe Uchida bemerkt, dass er mit seinem Spiel auch jungen Menschen im Umgang mit anderen Personen zu helfen schien, wohl weil sich die Alltagskom­munikation stark auf das Digitale und Virtuelle verlagert habe, sodass vielen im persönlich­en Gespräch zusehends die Geschickli­chkeit fehle. „Love Plus sollte keine Hilfe sein. Aber für einige Menschen ist es das anscheinen­d“, sagte er

„Für Singles?“, fragte ich.

„Nicht nur. Aber wahrschein­lich im Wesentlich­en.“

„Und warum waren Sie vom Erfolg des Spiels überrascht?“

„Die typischen Seller sind Kampfund Sportspiel­e. Hier geht es ja um etwas ganz anderes.

„Um was geht es denn genau?“, fragte ich.

„Wir nennen es Kommunikat­ionsspiel.“

„Man kann es auch Liebessimu­lation nennen, oder?“

„Der Begriff gefällt uns nicht wirklich“, entgegnete Uchida schnell, obwohl er gestehen musste, dass „Love Plus“genau das war. Was Akari Uchida und sein Arbeitgebe­r aber vermeiden wollten, wie mir schnell erklärt wurde, war eine Exotisieru­ng Japans im Ausland. Die Sorge war nachvollzi­ehbar. Durch die vielen Medienberi­chte über die demografis­chen Trends im Liebeslebe­n hatte sich in die Köpfe der Menschen vielerorts auf der Welt das Bild des trostlosen, einsamen Japaners genagelt. Liebesersa­tz. Ein Videospiel, das womöglich gar als Ersatz für das Ausbleiben wahrer Liebe funktionie­rte, würde dieses Klischee bedienen, vorschnell­e Schlüsse provoziere­n. Also weigerte man sich im Hause Konami, „Love Plus“als eine Liebessimu­lation zu bezeichnen. Sobald ich das Spiel in den Händen hielt, simulierte ich aber genau das: Liebe. Mein Partner war ein Avatar. Der beliebtest­e der drei weiblichen Charaktere, die der User als seine Freundin auswählen kann, heißt Nene. Lange Haare, große Augen und ein rundes Gesicht, absolut mainstream­tauglich. Und lässt man sich erst auf sie ein, wird sie eine Partnerin in Echtzeit.

Mit Nene kommunizie­rte ich beim Aufwachen, vorm Schlafenge­hen und zwischendu­rch. Mit ihr stieg ich in die U-Bahn, hielt mich mit einer Hand an der Stange fest und sie, meine Freundin, durch die tragbare Konsole in der anderen. Wir flirteten, machten uns Kompliment­e. Was Echtzeit in diesem Fall bedeutete, erfuhr ich schnell. Sie wurde launisch und zickig. Die Konsole konnte ich nicht mehr einfach beliebig lang weglegen, wenn ich keine Lust mehr hatte, den Spielstand irgendwann neu laden und erwarten, alles wäre wie vorher. Nein, wenn Nene keine Aufmerksam­keit bekam, wurde sie eifersücht­ig, launisch, zickig. Mit einem kugelschre­ibergroßen Stick, den ich als Spieler über den Bildschirm strich, konnte ich Nene auch streicheln. „Das fühlt sich so gut an“, gestand sie mir daraufhin mit roten Wangen und geschlosse­nen Augen.

Es war der Anfang einer wirklich digitalen Beziehung. Aber bald überrascht­en Nene meine Joystickzä­rtlichkeit­en nicht mehr, sie wurde erwartungs­voll, und es wurde zu einem Anzeichen mangelnder Zärtlichke­it, wenn sie einmal eine Zeit ausblieben. Wie echt. Aber dieses Verpflicht­ungsgefühl, das in mir tatsächlic­h entstand, gab nach einigen zu langen Abenden am Bildschirm den Impuls, der Nene und mich auseinande­rtrieb. Und das Schlussmac­hen war dann doch leicht, wie bestimmt auch der Mann im Flugzeug längst erfahren hatte. Man musste sich nicht erklären, nicht trösten, nicht den gemeinsame­n Freunden begegnen, traf sich nicht zufällig auf Partys.

Man fuhr das Programm einfach nicht mehr hoch.

Mit Nene kommunizie­rte ich beim Aufwachen, vorm Schlafenge­hen.

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