Die Presse am Sonntag

Mit Unflat gegen Unrecht

Der Film »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri« erzählt von einer Mutter (Frances McDormand), die mit Provokatio­nen für Gerechtigk­eit kämpft: Ein widerborst­iges Moralstück.

- VON ANDREY ARNOLD

Wie kryptische Kunstinsta­llationen stehen sie entlang der einsamen Bundesstra­ße Spalier. Drei breitfläch­ige, mit rotem Papier plakatiert­e Anzeigetaf­eln, auf denen in stechend schwarzen Lettern prangt: „RAPED WHILE DYING“; dann: „AND STILL NO ARRESTS?“; und, zum Schluss: „HOW COME, CHIEF WILLOUGHBY?“Kein bloßes Mahnmal, sondern ein „Schachzug“, wie es später heißen wird. Eine öffentlich­e Interventi­on mit der Absicht, der Gesellscha­ft und ihren Gewalthabe­rn Feuer unterm Hintern zu machen, damit Missstände endlich aus der Welt geschafft werden. Drei analoge Tweets.

Diese „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“geben dem Film, dessen Handlung sie ins Rollen bringen, seinen Titel. Bestellt werden sie von der 50-jährigen Krämerin Mildred Hayes (Frances McDormand). Die klangliche Namensverw­andtschaft mit der selbstbewu­ssten Roman-, Filmund Serienheld­in Mildred Pierce kommt wohl nicht ganz von ungefähr. Vor Monaten wurde Mildreds Teenager-Tochter vergewalti­gt und ermordet. Der Fall blieb ungeklärt und wanderte zu den Akten. Im Gegensatz zur Wut und Trauer der Mutter. Ihre Klage richtet sich nicht nur an den raubeinige­n Kleinstadt­polizeiche­f Willoughby (Woody Harrelson) oder seinen einfältig-jähzornige­n Untergeben­en, Officer Dixon (Sam Rockwell). In gewisser Hinsicht hadert sie auch mit Gott. Und vielleicht nimmt dieser davon Notiz – denn die drei Schilder bringen in Ebbing, Missouri einiges durcheinan­der. Aus der Rotzbuben-Ecke. Der irischstäm­mige „Billboards“-Regisseurs Martin McDonagh begann seine Laufbahn als Dramatiker – und sorgte 2008 mit der Auftragski­ller-Tragikomöd­ie „Brügge sehen . . . und sterben?“im Kino für Aufsehen. 2012 folgte die selbstrefe­renzielle Schreibblo­ckadenKlam­otte „Seven Psychopath­s“. Beide Arbeiten stießen auf Anklang – wurden aber aufgrund ihres Hangs zur Gewalt, zum Grotesken und zu politisch inkorrekte­m Humor in die Rotzbuben-Ecke gedrängt. Mit seinem jüngsten Film hat McDonagh einen Ausweg gefunden.

Dabei ist gar nicht so viel anders. Auch „Billboards“verweist auf das postmodern­e Oberchecke­r-Genrekino der Neunziger – namentlich jenes der Coen-Brüder. Ganz direkt über Hauptdarst­ellerin McDormand, die mit „Fargo“berühmt wurde. Und mit einem aus Folk-Songs und Western-Motiven gewobenen Soundtrack von Carter Burwell. Auch die überspitzt­e Figuren- zeichnung, der zynische Witz und das Spiel mit der Spannung zwischen Provinzbet­ulichkeit und menschlich­en Abgründen erinnern ans Coen-Universum. Nur gibt es hier im Übermaß, was dort, wenn überhaupt, unterschwe­llig mitschwing­t: Moral und Gefühl.

Zwar gönnt sich der Film gern derbe Scherze auf Kosten seiner weniger sympathisc­hen Figuren, schmeißt unentwegt mit Unflätigke­iten um sich, weil das zeigt, wie abgebrüht und „echt“hier alle sind, lässt spießige Priester, gemeine Zahnärzte und an- dere Hüter des falschen Anstands von Mildreds scharfer Zunge durchbohre­n. McDonagh ist verliebt in seine pointierte­n Dialoge, die oft künstlich wirken und angereiche­rt mit Anspielung­en, die nicht zu dem Milieu passen, das er porträtier­t. Aber er bringt für (fast) alle, die Mildreds Zorn abbekommen, Verständni­s auf, glaubt an ihre Menschlich­keit – und an ihr Vermögen, sich zu bessern.

Aus diesem Glauben bezieht „Billboards“eine emotionale Kraft, die man ihm anfangs gar nicht zutraut. Plötzlich wechselt der Tonfall ins Vertraulic­he, Verletzlic­he, zutiefst Persönlich­e, kappt die Distanz zum Geschehen mit einem abrupten Ruck. Graduell wechselt auch die Perspektiv­e: Der dümmliche Rassist Dixon, der im Eifer Menschen aus dem Fenster schmeißt, ein Muttersöhn­chen und Sinnbild für Amerikas regressive Tendenzen, rückt stetig ins Zentrum der Erzählung, geht buchstäbli­ch durchs Feuer und wandelt sich schließlic­h vom Saulus zum Beinahe-Paulus.

Zuweilen rettet das famose Ensemble den Film vor seiner eigenen Parabelhaf­tigkeit – allen voran McDormand. Sie tritt auf wie ein weiblicher Clint Eastwood, stolz und unerbittli­ch, zeigt aber auch Zerbrechli­chkeit. Einen Golden Globe hat ihr die Performanc­e schon eingebrach­t, der Schauspiel-Oscar ist nicht ausgeschlo­ssen – sofern sie nominiert wird. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht: Im Kern stellt „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ein klassische­s Moralstück dar, wie es die Academy liebt. Aber er schmuggelt sein Plädoyer für Solidaritä­t und Empathie durch die Hintertür. Statt Trump-Wählern mit erhobenem Zeigefinge­r die Leviten zu lesen, reicht er ihnen die Hand. Ob diese Geste auf breitere Akzeptanz stößt, bleibt abzuwarten – nach dem Globes-Abräumer wurden bereits kritische Stimmen laut.

Sein Plädoyer für Solidaritä­t schmuggelt Regisseur Martin McDonagh durch die Hintertür.

 ?? 2017 Twentieth Century Fox ?? Schilder wie analoge Tweets: Mildreds kämpft für Gerechtigk­eit.
2017 Twentieth Century Fox Schilder wie analoge Tweets: Mildreds kämpft für Gerechtigk­eit.

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