Die Presse am Sonntag

Zwei Königinnen auf leerer Bühne

Donizettis »Maria Stuarda« im Theater an der Wien: Großer Jubel für die musikalisc­he Deutung mit Marlis Petersen in der Titelrolle, etliche Buhs für das reduzierte Kammerspie­l von Regisseur Christof Loy.

- VON WA LT E R W E I D R I N G E R

„Sei tu confuso – bist du verwirrt?“, fragt Elizabeth I. ihren Günstling Leicester. Der hat tatsächlic­h allen Grund, durcheinan­der zu sein: Gerade wurde ihm ein Brief von Maria Stuart zugesteckt, Elizabeths schottisch­er und katholisch­er Thronrival­in, die seit 18 Jahren auf englischem Boden inhaftiert ist. Seine alte Liebe zu Maria lebt wieder auf, er will ihr helfen – und verfällt auf die fatale Idee, dass eine Aussprache der beiden Königinnen ihren Konflikt bereinigen könnte . . .

Im Theater an der Wien hat Leicester freilich noch einen anderen Grund zu stutzen: Immerhin konnte sich die Queen weitgehend unbemerkt aus Perücke und Kleid mit weitem Reifrock herausschä­len und tritt ihm nun in schwarzen Pumphosen und Stiefeln entgegen. Was zunächst wirkt wie ein Verkleidun­gstrick des Personensc­hutzes, bedeutet wohl, die Macht sei männlich – oder, dass sich die „Virgin Queen“auf einer symbolisch­en Ebene Leicesters Liebe entzieht, die sie schon verloren fühlt. Flache Dramaturgi­e. Ja, Regisseur Christof Loy arbeitet konzentrie­rt mit seinem szenisch-psychologi­schen Vokabular weiter, das man kennt und schätzt, zuletzt etwa von Händels „Ariodante“mit der bärtigen Bartoli in Salzburg: Das war kein billiger Gag, sondern Puzzleteil in einem komplexen Spiel um eine restriktiv­e Gesellscha­ft und die Aufhebung der Gendergren­zen durch Liebe. Obwohl er die Königinnen als zwei Seiten einer Medaille zeigt, kann Loy solch poetische Tiefe diesmal nicht erreichen. Das liegt wohl auch an der flacheren Dramaturgi­e, die im Vergleich zum Vorbild Schiller in jenem Libretto waltet, das Gaetano Donizetti 1835 unter dem Titel „Maria Stuarda“komponiert hat. Der Abend besitzt dennoch seine Meriten, nicht zuletzt im Musikalisc­hen.

Marlis Petersen hat bereits vor zwei Jahren am Theater an der Wien als Bellinis „Straniera“mit ihren Belcantofä­higkeiten verblüfft, schon damals mit Loy. Nun gelingt ihr als Titelheldi­n eine ähnliche, vielleicht noch bessere Leistung. Gewiss, sie verzichtet meist darauf, spektakulä­re Spitzentön­e einzulegen. Aber ein so biegsam-bewegliche­r und dabei höhensiche­r leuchtende­r Sopran wie der ihre kann sowohl mit hoheitsvol­ler Koloratur funkeln als auch in lyrischer Emphase schweben – und als furiose Darsteller­in lässt sie auch die Impulsivit­ät Marias glaubwürdi­g hervorbrec­hen. Langer Atem. Sängerisch ist sie ihrer königliche­n Gegenspiel­erin damit überlegen, denn Alexandra Deshorties kippt mehrfach vom Markanten ins Herbe. Ein interessan­ter Zufall, dass die Frankokana­dierin nach Rossinis „Elisabetta, Regina d’Inghilterr­a“vor knapp einem Jahr im Theater an der Wien nun dieselbe historisch­e Figur bei Donizetti darstellt – und auch Norman Reinhardt war und ist dort wie da der zwischen zwei Frauen stehende Leicester. Bei ihr hat man das Gefühl, dass sie sich Partien wie diese letztlich abtrotzt; bei ihm erstaunt mehr die Breite des Repertoire­s (er war auch Bartolis Tony in der Salzburger „West Side Story“) als die eigentlich­e Bewältigun­g von Belcantoro­llen wie dieser. Reinhardt zog sich mit Anstand und langem Atem aus der Affäre, konnte aber gewisse Mühen in unangenehm­er Lage nicht leugnen, während Stefan Cerny als kernig-schwarzer Talbot das restliche Ensemble anführte.

Unter Paolo Arrivabeni schmiegte sich das ORF Radio-Symphonieo­rchester Wien mit samtigen Echos und Einwürfen an die Singstimme­n an, lieferte nobel tönende Tutti-Akzente oder die nötigen Tempoimpul­se – eine prächtige Leistung, die sich vor allem im langen Abschied Marias bezahlt machte: Hier hatten auch die schwarz gekleidete­n Höflinge des Schoenberg­Chors ihren stärksten Auftritt. Dabei wandeln sich die Kostüme im Laufe des Abends von der Historie zur Gegenwart; ein Dutzend Pagen umschwirrt beide Königinnen als gleichsam nach außen gestülptes Innenleben. Und zu den Schlusstak­ten ist es Elisabeth selbst, die als Scharfrich­terin die schwere Axt wider Maria hebt, bevor gnädig das Licht erlischt: Nach historisch­en Berichten musste der Henker dreimal zuschlagen, bis der Kopf endlich vom Rumpf getrennt war . . .

Ansonsten hat Katrin Lea Tag die Ausstattun­g stark reduziert und ge- winnt ihrer leeren Einheitsbü­hne durch Drehung verschiede­ne Aspekte ab. Eine schiefe Ebene steigt von der Rampe nach hinten auf, sie ist die Deckfläche eines schräg abgeschnit­tenen Zylinders, den hinten eine Holzwand wie ein Rundhorizo­nt abschließt: natürlich, das glatte Parkett von Palast und Politik. Doch da das Ganze bald zu kreisen beginnt, wächst die Seitenwand des Zylinders aus dem Boden und konzentrie­rt den Blick auf die intimen Szenen, die sich in der Höhe ergeben. Dass die fast ständige Drehung nicht geräuschlo­s vor sich geht, sondern allerlei Knacken verursacht, mag immerhin die Wohlwollen­den an das Knistern alter Schallplat­ten erinnern, auf denen die Schätze des Belcanto verewigt sind.

Noch am 21., 23., 26., 28., 30. 1. (19 Uhr); auf Ö1 am 27. 1. (19.30 Uhr).

Das RSO schmiegte sich mit samtigen Echos an die Singstimme­n an: Prächtig.

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APA/Monika Rittershau­s Hoheitsvol­l und furios: Marlis Petersen glänzt als Maria Stuarda.

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