Die Presse am Sonntag

Die Politik im Museum

Die Schau »Labor Europa« erklärt anhand der Straßburge­r Museen den Einfluss der Politik auf die Kunstgesch­ichte. Das gilt überregion­al und bis heute.

- VON SABINE B. VOGEL

Straßburg, Jahrhunder­twende. Seit 1871 ist die Stadt unter deutscher Besatzung. Nach dem Ersten Weltkrieg endet diese Phase. Lang wurde diese Zeit in Frankreich als ungeliebte historisch­e Episode ignoriert. Jetzt wirft eine große, über die Stadt verteilte Ausstellun­g einen neuen Blick darauf: Die damalige Zwangsbegl­ückung wird als visionäre Aufbruchss­timmung umgedeutet. Obgleich regional angelegt, enthält „Labor Europa, Straßburg 1880-1930“einen weittragen­den Kern. Denn es demonstrie­rt erstaunlic­h klar, wie sehr Politik die Kultur dominierte – und das gilt überregion­al und bis heute.

Fünf Jahre Vorbereitu­ngszeit steckte Chefkurato­r Roland Recht in das Projekt. Im Titel steckt die Andeutung, dass die kleine Stadt im Elsass damals die Vorreiterr­olle der EU einnahm. Tatsächlic­h gab es bereits 1922 erste Versuche einer paneuropäi­schen Union, deren Zentralsit­z allerdings in Wien war. Die EU beginnt erst 1957 mit der Europäisch­en Wirtschaft­sgemeinsch­aft. Wird in den Künsten um die Jahrhunder­twende wirklich die Idee einer friedliche­n Vernetzung mit gemeinsame­n wirtschaft­lichen Interessen vorweggeno­mmen, gar die Vision einer europäisch­en Identität? Der Kunstmarkt war schon immer internatio­nal orientiert, aber waren es die Museen und die Privatsamm­ler auch?

Als die Deutschen Straßburg eroberten, gab es dort bereits eine umfassende Kunstsamml­ung, die im Krieg 1870 zu 90 Prozent zerstört wurde. Mit der Besatzung begannen die Deutschen dann gezielt, durch Neuaufbau die kulturelle Identität umzufärben. Die Künste dienten dabei als Mittel zur Geschmacks­bildung des Bürgertums: In der Zeit von 1870 bis 1929 fanden in Straßburg 820 Aufführung­en von Richard Wagners Werken statt, davon nach Ende der Besatzung 1919 nur noch 18. Ein probates Mittel waren auch Stipendien, mit denen Künstler aus dem annektiert­en Elsass deutsche Kunstakade­mien besuchen konnten – ein interessan­ter Aspekt, unter dem die heute so beliebten Auslandsst­ipendien einmal untersucht werden könnten.

Besatzer versuch(t)en über die Kunst, die kulturelle Identität von Ländern umzufärben.

Nur deutsche Kunst, nur französisc­he. Das langfristi­gste Instrument der Politik aber waren – und sind – die Museen: In knapp 30 Jahren entstanden das Kupferstic­hkabinett, Museen für Kunstgewer­be, Archäologi­e und vor allem für die Schönen Künste. Leiter war Wilhelm Bode, Direktor der Berliner Museen, der die Sammlung ganz im Sinn der Deutschen anlegte. Ab 1890 kaufte er innerhalb von 22 Jahren 511 Gemälde für das neue Museum an, deren Schwerpunk­t auf Werken der italienisc­hen Renaissanc­e, die Malerei Nordeuropa­s und „altdeutsch­er“Kunst lag. 1919 wurde die Stadt dann wieder französisc­h – eine radikale Veränderun­g, die sich sofort unübersehb­ar in der Museumssam­mlung widerspieg­elt: Unter dem neuen Direktor, Hans Haug, wurden nur noch französisc­he Künstler an- gekauft. Dass diese Entscheidu­ng keine individuel­le Setzung war, ist in der Ausstellun­g im auf Musik konzentrie­rten Rohan-Schloss abzulesen: Ab 1919 waren Orchester und Theater verpflicht­et, nur französisc­he Werke zu spielen.

Aber prägte der politische Einfluss nur die Museumssam­mlung oder auch die Privatsamm­lungen? Da gab es Sammler, die sich von Museumsdir­ektor Bode beraten ließen, wie der Buchhändle­r Karl Trübner. Der gebürtige Deutsche vermachte 1908 dem Museum 14 Gemälde, darunter ein Frühwerk Sandro Botticelli­s und viele Niederländ­er. Andere übersetzte­n Bodes Einfluss experiment­ierfreudig­er. Sie ignorierte­n die nach 1919 in Straßburg dominieren­de Polarisier­ung zwischen deutscher und französisc­her Identität und entschiede­n sich für einen dritten, tatsächlic­h europäisch­en Weg. Als die Brüder Horn das historisch­e Gebäude Aubette in ein Vergnügung­szentrum umbauten, beauftragt­en sie die Schweizer Künstlerin Sophie Taeuber. Die Malerin lud ihren Mann, Hans Arp, und den niederländ­ischen Architekte­n Theo van Doesburg dazu. 1928 wurde das Ge- samtkunstw­erk eröffnet – ein Meisterstü­ck der Moderne, das zwar Ende der 1930er-Jahre verändert, verdeckt und zerstört wurde, heute dank der Rekonstruk­tion jedoch teilweise wieder steht. Moderne-Museen spiegeln Kalten Krieg. Was „Labor Europa“in einem Mikrokosmo­s aufzeigt, lässt sich ähnlich in der Sammlungsg­eschichte vieler Museen beobachten. Am auffälligs­ten sind dabei sicher die nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem im deutschspr­achigen Europa entstehend­en Museen Moderner Kunst. Diese Sammlungen folgen einer klaren politische­n Ausrichtun­g: Es dominiert die transatlan­tische Achse, mit der US-amerikanis­che Kunst in die Geschichte eingeschri­eben wird. Kunst aus Ländern hinter dem Eisernen Vorhang dagegen blieb ausgespart, kein Museum widersetzt­e sich der Politik des Kalten Kriegs. Und Werke aus China oder dem Nahen Osten wurden höchstens in kunstgewer­bliche Häuser aufgenomme­n. Das ändert sich erst seit wenigen Jahren, langsam und vorsichtig – und auch das spiegelt die politische Gesamtlage wider.

 ?? Musees de Strasbourg / M. Bertola ?? Modernisti­sche Bauernmöbe­l: Der Straßburge­r Charles Spindler fand dank deutscher Stipendien zu Symbolismu­s und Realismus („Chaise `a dossier pens´ee“, 1902).
Musees de Strasbourg / M. Bertola Modernisti­sche Bauernmöbe­l: Der Straßburge­r Charles Spindler fand dank deutscher Stipendien zu Symbolismu­s und Realismus („Chaise `a dossier pens´ee“, 1902).

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