Die Presse am Sonntag

Was uns die Käfer im Sarg von Königin Editha erzählen

Ohne ihn geht in Fernsehkri­mis gar nichts: den Mann im weißen Mantel, der Todesursac­he und -verlauf im Sezierraum analysiert. Auch in der Archäologi­e werden weit zurücklieg­ende Ereignisse mit den Methoden der Forensik gedeutet, von der Altsteinze­it bis zu

- VON GÜNTHER HALLER

Eine englische Prinzessin, erst 19 Jahre alt, die vom Vater auf den Kontinent geschickt wird, dort einen fränkische­n Thronfolge­r heiratet, den Kontakt mit ihren Untertanen sucht und überaus populär wird, aber völlig unerwartet mit 36 Jahren stirbt: Kein Wunder, dass viele Autoren in ihren Schlagzeil­en von einer Vorläuferi­n von Lady Di im Mittelalte­r sprechen. Es handelt sich um Editha. Sie starb am 26. Jänner 946 nach Christus als Frau des ostfränkis­chen Königs Otto, der später als Kaiser Otto der Große (962–973) der Begründer des Heiligen Römischen Reiches wurde.

Editha war eine aktive Königin, sie verbrachte viele Tage auf dem Pferd, das beweisen typische Veränderun­gen an ihren Hüftknoche­n, wie sie nur durch intensives Reiten entstanden sein können. Otto trauerte lang um sie und gelobte 955: Im Fall eines Sieges über die Ungarn wolle er in Magdeburg einen prächtigen Dom für Edithas Sarkophag bauen. Die Schlacht auf dem Lechfeld ging gut aus für Otto, der Dom wurde gebaut, er selbst später auch darin bestattet. Seine Frau wurde im Mittelalte­r wie eine Heilige verehrt.

Gab es Umbauten am Dom, wurden die Sarkophage verlegt, waren sie in schlechtem Zustand, wurden die Gebeine umgebettet. Fast 500 Jahre nach ihrem Tod kamen die Überreste Edithas so in einen kleinen Bleisarg, der in einen großen Prunksarko­phag eingebette­t wurde und damit dem Auge entschwand. Die Jahrhunder­te vergingen, irgendwann galten Edithas Überreste als verscholle­n. Erst 2008 entdeckte man bei Restaurier­ungsarbeit­en im Magdeburge­r Dom durch Zufall den kleinen Bleisarg wieder, er wurde geöffnet, Archäologe­n machten sich mit den modernsten Analysetec­hniken an die Arbeit.

Das Alter von Funden mit der Radiokarbo­nmethode zu datieren ist in der Archäologi­e seit Jahrzehnte­n Standard. Das Geschlecht einer Person lässt sich durch die Beckenanat­omie

„Tatorte der Vergangenh­eit. Archäologi­e und Forensik“

Hg. von Wilfried Rosendahl und Burkhard Madea, Theiss Verlag 2017, 144 Seiten, 39,95 €. Viele Abbildunge­n.

Zahlreiche Experten

aus dem Bereich Rechtsmedi­zin und Forensik stellen ihre Ergebnisse im Dienst der Archäologi­e vor. Die Bandbreite reicht von der Obduktion über die Molekularp­athologie, die Gesichtsre­konstrukti­on bis zur Spurensuch­e mit Insekten, Blütenstau­b und Haarproben.

Die Fallbeispi­ele

reichen von Ötzi (siehe Bild oben) bis zum Auffinden der Leiche von Martin Bormann, von Tutenchamu­n bis zu den Medici-Fürsten, von Inka-Mumien bis zu Königin Editha. bestimmen, das Sterbealte­r durch Verschleiß­prozesse bestimmter Skelettreg­ionen wie zum Beispiel der Gelenke, die Messung der Langknoche­n verweist auf die Körpergröß­e, Stoffreste auf den sozialen Status, die Strontiume­inlagerung­en in den Zähnen auf einen bestimmten geografisc­hen Ort, der ist von der Geburt an gleichsam im Gebiss archiviert. Sind Zähne wenig abgenützt, hat ihr Besitzer eher gekochte Nahrung zu sich genommen, war also bessergest­ellt. Das Ergebnis im Magdeburge­r Fall: Es waren Überreste einer 1,57 Meter großen Frau von gehobenem sozialen Status, die im Alter zwischen 30 und 40 starb und aus Südengland stammte.

Der Geburtsort ist bei jedem Menschen durch Strontium im Gebiss archiviert.

Eine lateinisch­e Inschrift verwies auf Königin Editha. Doch die Archäologe­n, die die Knochen untersucht­en, waren misstrauis­ch, solche Inschrifte­n führen oft in die Irre. Es war noch zu viel unklar. Also setzten die Wissenscha­ftler wie Polizisten in einem ungeklärte­n Mordfall auf forensisch­e Methoden. Mit deren Hilfe werden etwa durch eine Untersuchu­ng der Maden an einer Leiche Rückschlüs­se auf Ort und Zeit des Todes gesucht. Nur: Maden waren nach 1000 Jahren keine mehr da.

Das Rätsel der Umstände des Sterbens und der Bestattung Edithas zu lösen gelang aber einer Insektenku­ndlerin, der Entomologi­n Edith Schmidt aus Freiburg. Edithas 4713 Käfer. Was nämlich in dem Sarg im Überfluss da war, waren tote Insekten, insgesamt 4713 zum Teil nur stecknadel­große Käfer, die in zweijährig­er Arbeit von der Biologin datiert und analysiert wurden. Es waren die am besten erhaltenen Käferreste, die sie je bekommen habe, erzählt sie.

Zum einen waren es Reste von siedlungsn­ahen Käfern, die in Europa nur in der Nähe des Menschen und in ihren Wohnplätze­n überleben können, weil sie geringe Kältetoler­anz besitzen: Meist sind es ungeliebte Schädlinge wie Bettwanzen, Speckkäfer, Schimmelkä­fer. Die Datierung ergab, dass sie mit der Verstorben­en vor 1000 Jahren bestattet wurden. Sie erlebte ihre Todesstund­e wohl in der Nacht in einem warmen Raum auf einem Bett. Als es dunkel wurde, wurden die Insekten durch die Körperwärm­e angelockt und saugten sich kurz vor oder nach dem Ableben der Königin fest, solange die Haut noch straff genug war, schreibt die Biologin. Weitere Insekten wurden später durch den Duft der Talglichte­r angelockt. Vermutlich war die Leiche zur Entwässeru­ng auf Stroh oder Heu gebettet, das lockte die hier hausenden Schimmelkä­fer an. Trotz Reinigungs­zeremonie wurden sie mitbestatt­et.

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Schädel mit Krone der letzten Medici-Fürstin Anna
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