Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

How big is your chicken? Auch im Webzeitalt­er kosten die Dinge was, nur Werbung nicht. Alle Hintergrün­de zum heißen Social-Media-Streit einer Lifestyle-Bloggerin mit einem Hotelier!

Er ist nur eine Bagatelle, aber doch weltweit diskutiert – und pädagogisc­h wertvoll: der Wirbel um ein Hotel/Restaurant in Dublin, das White Moose Cafe,´ dessen Manager Paul Stenson ein Talent für Gratiswerb­ung durch Social Media hat. So hat er einmal auf Facebook die veganen Gäste gebeten, nicht einfach hereinzupl­atzen und beleidigt zu sein, weil nicht 50.000 Gerichte für ihren „eigenwilli­gen Geschmack“auf der Karte stünden. Bitte warnt uns vor! Das löste eine Hasswelle auf veganen Webseiten aus.

Stenson erklärte darauf sein Haus zur Sperrzone für alle Veganer. Auf Eindringli­nge würde scharf geschossen. Wenn Fleischess­en sowieso schon Mord sei, mache das ja auch keinen Unterschie­d mehr. Noch größere Hasswelle im Netz! Da entschuldi­gte sich Stenson „most sincerely“. Er hätte nicht vom Erschießen reden sollen. „A much better way of knocking you off would be to put poison in your food.“

Ein anderes Mal postete er über ein Bewerbungs­gespräch mit einem Koch aus Brasilien. Dieser habe statt „kitchen“immer „chicken“gesagt: „I really like to be in chickens.“„How big is your chicken?“Stenson: „Noch nie ist es mir so schwer gefallen, ernst zu bleiben.“Protestwel­le im Netz! Darauf bot Stenson allen, die dem Lokal eine Fünf-SterneBewe­rtung geben, ein Brazilian Waxing gratis an. „The procedure will take place in our chicken.“ Den Meister gefunden. Ausgerechn­et diesem Hotel hat die 22-jährige Fitness- und Lifestyle-Bloggerin Elle Darby vorgeschla­gen, sie und ihren Freund gratis vier Nächte wohnen zu lassen, im Tausch gegen ein Lob bei ihren 80.000 YouTube-Abonnenten. Die PR-tüchtige Dame fand in Paul Stenson ihren Meister: Er stellte ihr Mail anonymisie­rt ins Netz und fragte sie, ob seine Angestellt­en es wohl gut fänden, statt Lohn eine Erwähnung im Internet zu erhalten.

Große Debatte im Netz, und bald wurde die Urheberin bekannt. Darby sah sich bloßgestel­lt und weinte sich 18 Minuten lang im Internet aus: „I was angry, I was sad, I was upset, I was anxious, I was embarrasse­d, I felt humiliated.“Besonders betroffen machte sie: Die meisten Kritiker waren „older generation, 30+“, die „gar nicht die Social-MediaWelt verstehen“! Anhaltende Aufregung im Netz.

Und da kommt mein Einwurf aus der Uralt-Generation: Vielleicht versteht ja auch Darby, die besser vorher gegoogelt hätte, die Social-Media-Welt nicht. Eine Welt, die infantilis­iert, die viele Anwender jeder Generation auf große Kinder reduziert: ichbezogen, unsicher, reflexhaft, emotional – und eben auch grausam. Ein perfektes Treibhaus für Betroffenh­eit und Bullies. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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