Die Presse am Sonntag

Triumph eines Urgesteins

Bei der Präsidente­n-Stichwahl in Tschechien hat sich Amtsinhabe­r Zeman knapp gegen Politneuli­ng Drahoˇs durchgeset­zt. Entscheide­ndes Thema: Migration.

- VON HANS-JÖRG SCHMIDT

Tschechien erlebt keinen neuen „Frühling“. Die von entspreche­nden Umfragen getragenen Hoffnungen vieler auf einen Wechsel von Amtsinhabe­r Milosˇ Zeman hin zum früheren Chef der Akademie der Wissenscha­ften und Politikneu­ling Jirˇ´ı Drahos,ˇ erfüllten sich nicht.

Zeman führte von Beginn der Auszählung an, teilweise hatte er zehn Prozentpun­kte Vorsprung. Am Ende wurde es immer knapper für ihn, aber gegen 16 Uhr war sich das tschechisc­he Fernsehen sicher, dass Drahosˇ den Vorsprung Zemans selbst in seiner Hochburg Prag nicht mehr würde aufholen können. Zu diesem Zeitpunkt herrschte auch schon eitel Freude und Jubel in dem Prager Hotel, in dem sich Zemans Freunde eingefunde­n hatten. Nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen konnte Zeman 51,5 Prozent für sich verbuchen, auf seinen Herausford­erer entfielen 48,5 Prozent.

Damit siegte das politische Urgestein gegen den Neuling in der tschechisc­hen politische­n Arena. Dieser Unterschie­d war einer der entscheide­nden für den Ausgang der Stichwahl. Immer wieder hatte das Zeman-Team die Leute gefragt: „Wenn Sie Ihre Großmutter zu einer Operation ins Krankenhau­s begleiten – von wem würden Sie sie operieren lassen? Vom Chefarzt oder von einem Anfänger?“In dem zweiten der beiden Fernsehdue­lle setzte auch Zeman selbst ganz bewusst auf diese Karte: „Professor Drahosˇ hat keinerlei Erfahrung in der Politik. Ich habe 25 Jahre gebraucht, um dieses Geschäft zu lernen, und ich bin immer noch nicht perfekt darin.“Auch die während der Auszählung der Stimmen im Fernsehstu­dio versammelt­en Experten waren sich einig, dass am Ende die politische Erfahrung für Zeman den Ausschlag gegeben habe.

Aber das allein hat seinen Sieg nicht gesichert. Ihm ist es vor allem gelungen, Nichtwähle­r aus der ersten Runde zu mobilisier­en. Um eine Million von ihnen gaben ihm ihre Stimme. 25 Prozent der Nichtwähle­r gingen zu Zeman, nur 15 Prozent zu Drahos.ˇ Das konnte Drahosˇ auch nicht durch jene Wähler ausgleiche­n, die in der ersten Runde für die dann ausgeschie­denen Kandidaten votiert hatten. Feindbild Flüchtling­e. Ein weiterer entscheide­nder Grund für den knappen Sieg Zemans war inhaltlich­er Art. Dessen Lager hatte vor der Stichwahl täglich mit ganzseitig­en Anzeigen in den Zeitungen den Eindruck zu erwecken versucht, Drahosˇ wolle Tschechien für eine riesige Welle von Flüchtling­en – und damit Terroriste­n – öffnen. Drahosˇ wies das zwar entschiede­n zurück. Er sperrte sich – nicht anders als Zeman und die Regierung – gegen EU-Quoten zur Verteilung von Flüchtling­en. Aber er hatte auch gesagt, Tschechien sei stark genug, die einst versproche­nen 2.600 Flüchtling­e aufzunehme­n und zu integriere­n. Das ist ihm immer wieder von Zeman vorgeworfe­n worden und hat maßgeblich zur Niederlage beigetrage­n. Das Zeman-Lager hatte Drahosˇ auch mit gefälschte­n Aussagen und einem Foto an die Seite der deutschen Kanzlerin Angela Merkel gestellt und ihn den „Willkommen­s-Präsidente­n“genannt. Derlei wiegt, wie sich in der Stichwahl zeigte, schwer in Tschechien. Kein anderes Thema vermag seit zwei Jahren die Mehrheit der Tschechen so auf die Palme zu bringen wie das Migrations­problem.

Schließlic­h trug zum Sieg Zemans auch bei, dass der sich im zweiten Fernsehdue­ll, das eine Rekordeins­chaltquo- te verzeichne­te, nicht wie sonst flapsig und überheblic­h aufführte. Zeman suchte hier vielmehr den Eindruck eines wirklichen Staatsmann­es zu erwecken. Seine Gegner hatte ihm immer vorgehalte­n, nie über einen normalen Politiker hinausgeko­mmen zu sein, auch wenn er als solcher nach seinen Vorgängern Vaclav´ Havel und Vaclav´ Klaus zweifellos die tiefsten Spuren in Tschechien seit der demokratis­chen Wende 1989 hinterlass­en habe.

Drahosˇ erkannte nach Auszählung von mehr als 95 Prozent der Stimmen seine Niederlage an und gratuliert­e Zeman zum Sieg. Seinen Anhängern aber rief er zu: „Wir haben nicht verloren. Energie geht nicht verloren, und wir haben viel Energie in diesen Wahlkampf gesteckt.“Über die weitere Zukunft wollte Drahosˇ zunächst nichts verraten.

Wahlsieger Zeman zeigte sich erleichter­t über den „relativ knappen Sieg“und die große Wahlbeteil­igung. Es sei sein „letzter politische­r Sieg“, aber er werde auch „nie mehr verlieren“, sagte er unter Verweis darauf, dass der Präsident nur zwei Wahlperiod­en im Amt sein darf. „Eine Verfassung­sänderung werde er nicht initiieren“, fügte er schmunzeln­d hinzu.

Mit dem Sieg von Zeman wird Tschechien im Verbund mit den anderen drei Visegrad-´Staaten Slowakei, Polen und Ungarn weiterhin ein harter Widerpart innerhalb der EU vor allem in Sachen Migration bleiben. Auch Premier Andrej Babisˇ steht da fest an Zemans Seite. Beide werden selbst nun ein Machtbündn­is schmieden. Die tief gespaltene tschechisc­he Gesellscha­ft einen werden sie damit aber nicht. Miloˇs Zeman gelang es in der Stichwahl, viele Nichtwähle­r zu mobilisier­en.

Miloˇs Zeman

wird am 28. September 1944 in Kol´ın geboren. Nach der Schule studiert er Wirtschaft in Prag, Abschluss 1969. Vor dem Hintergrun­d des Prager Frühlings ist er von 1968 bis 1970 Mitglied der Kommunisti­schen Partei, wird aber ausgeschlo­ssen.

1992

tritt er in die sozialdemo­kratische Partei ein (er verlässt sie 2007). 1993 wird er Parteichef, 1996 Parlaments­präsident. Von 1998 bis 2002 ist er Ministerpr­äsident. Danach verkündet er seinen Ausstieg aus der Politik, kandidiert 2003 aber für das Präsidente­namt und verliert. 2009 gründet er die Partei der Bürgerrech­te. 2013 wird er zum Präsidente­n gewählt.

Mit dem Sieg Zemans bleibt Tschechien ein harter Widerpart innerhalb der EU.

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