Die Presse am Sonntag

Der Kern von Österreich

Eine gemeinsame Klammer, die das Land zusammenhä­lt, gibt es nicht. Es ist allerdings genau diese Vielschich­tigkeit, die Niederöste­rreich ausmacht. Wenn man vom Politische­n einmal absieht.

- VON OLIVER PINK

Das Weinvierte­l, in seinem sanfthügel­igen Relief an die Toskana erinnernd, mit seinen heißen, trockenen Sommern, den Dörfern, vor allem jenen in Richtung tschechisc­her Grenze, in denen die Zeit in den 1970er-Jahren stehen geblieben zu sein scheint.

Das raue, kühlere, mit Burgen und Schlössern verzierte Waldvierte­l, in das die Wochenend-Bobos aus Wien am Freitag einfallen und am Sonntag wieder abfahren.

Das Mostvierte­l mit seinen Skigebiete­n im Süden, die von der Anmutung her auch irgendwo in Salzburg oder Tirol sein könnten.

Und dann noch jenes Gebiet, das Industriev­iertel genannt wird, mittlerwei­le jedoch weniger mit dem Arbeitermi­lieu assoziiert wird, sondern dessen wiennahe Ausläufer als Teil des Speckgürte­ls zu den bürgerlich­en Wohngebiet­en zählen – jener grundsätzl­ich urbanen Menschen also, die einen festen Wohnsitz dem Wochenendh­aus im Waldvierte­l vorziehen.

Es ist diese Verschiede­nartigkeit, die Niederöste­rreich, seinen Reiz, ausmacht. Eine gemeinsame Klammer wird man hingegen nur schwer finden. Wiewohl es immer wieder Versuche gab, eine übergeordn­ete Landesiden­tität zu kreieren. Mittels Hymne, Tracht, und eigener Hauptstadt.

Neben der Unterschie­dlichkeit der Viertel waren es vor allem zwei Dinge, die die Ausprägung einer starken Landesiden­tität wie sie etwa Tiroler oder Kärntner haben, verhindert­en: Das eine ist die so ganz anders tickende Metropole Wien mittendrin, bis 1986 ja auch die Landeshaup­tstadt Nieder- österreich­s. Das andere ist das Selbstvers­tändnis, dass man sich nicht als etwas genuin Eigenes von Österreich als Staat abgrenzen muss. Weil Niederöste­rreich historisch betrachtet der Kern Österreich­s ist.

Als „Ostarrichi“996 das erste Mal urkundlich erwähnt wurde, war damit ein Teil Niederöste­rreichs gemeint, ein Teil des Donautals (ohne Wien) genauer gesagt, mit dem Zentrum in Melk. Regiert wurde dieses Gebiet von den Babenberge­rn. In besagter Schenkungs­urkunde hieß es wörtlich, diese Schenkung liege „in regione vulgari vocabulo Ostarrichi in marcha et comitatu Heinrici comitis filii Luitpaldi marchionis“, also im Gebiet, das in der Volkssprac­he Österreich heißt, in der Mark des Grafen Heinrich, Sohn des Markgrafen Leopold. Bis 1192 war Österreich im Wesentlich­en das heutige Niederöste­rreich, in diesem Jahr kamen dann ein Großteil Oberösterr­eichs und die Steiermark hinzu.

Wenn Niederöste­rreich heute durch etwas zusammenge­halten wird, dann ist es – im Guten wie im Schlechten – die jahrzehnte­lange Regentscha­ft der ÖVP. Das höchste an Pluralität ist, dass der Landeshaup­tmann abwechseln­d immer aus einem anderen Bund kommt. Auf Andreas Maurer (Bauernbund) folgte Siegfried Ludwig (ÖAAB), folgte Erwin Pröll (Bauernbund), folgte Johanna Mikl-Leitner (ÖAAB).

Und Mikl-Leitner versucht, bei dieser Landtagswa­hl das Erbe zu bewahren, das ihr Erwin Pröll in Form einer absoluten Mehrheit übertragen hat. Vom Stil her legt sie es etwas sanfter an. Sie ist zwar jovial und schulterkl­opfend wie ihr Vorgänger, aber weniger polternd. Bei der Abschlussv­eranstaltu­ng in Eggenburg am vergangene­n Dienstag wurde auf den obligaten Einpeitsch­er in Person des Landesgesc­häftsführe­rs verzichtet. Mikl-Leitner selbst übte sich dann auf der Bühne mit einem Moderator im politische­n Small Talk. Der Einpeitsch­er in Person des Landesgesc­häftsführe­rs trat erst danach auf – und auch dieser gab sich verhältnis­mäßig zahm und verzichtet­e auf die Angriffe auf den Gegner, die unter Erwin Pröll zum Standardre­pertoire gehört hatten. Dieser saß übrigens mit seiner Frau in Reihe eins und verfolgte die neuen Zeiten mit Wohlwollen. Prölls Botschaft. Erwin Pröll war durchaus erfolgreic­h darin, seinem Land ein neues Selbstbewu­sstsein zu geben. Er tat das gemäß dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“. Die zentrale Botschaft war: Wir haben aus dem zurückgebl­iebenen Land am Eisernen Vorhang ein prosperier­endes im neuen Europa gemacht. Und so falsch war das ja auch nicht. Die Betriebsan­siedelunge­n, die Kreisverke­hre und die Dorfversch­önerungen konnten sich sehen lassen. Freilich erkauft zum Preis einer höheren Verschuldu­ng.

Die Dominanz der ÖVP ging stets mit einer Schwäche der SPÖ einher. Deren Einfluss blieb auf größere Städte und klassische Arbeiterge­meinden beschränkt. Auch die Freiheitli­chen brachten hier nie wirklich einen Fuß in die Tür. Die ÖVP hatte stets das Credo der bayrischen CSU beherzigt: Rechts von einer konservati­ven, christlich-sozialen Partei dürfe kein Platz sein.

Erwin Pröll gelang sogar das Kunststück, auf der nationalen wie auf der liberalen Seite wenig Spielraum für andere zu lassen. Den Bau von Moscheen mit Minaretten lehnte er als „artfremd“ab. Und Künstler von Peter Turrini und Hermann Nitsch abwärts ließen sich von ihm bereitwill­ig hofieren. Sommerthea­ter, Museen und andere vom Land geförderte Kulturinit­iativen schossen wie die Pilze aus dem Boden.

Das Höchste an Pluralität: Der Landeschef kommt immer von einem anderen Bund.

Migration – kein Thema. Das Zuwanderun­gsthema, das noch den Nationalra­tswahlkamp­f im Vorjahr dominiert hatte, spielte in diesem Landtagswa­hlkampf kaum eine Rolle. Die Freiheitli­chen versuchten zwar, es hochzuzieh­en, die ÖVP hingegen spielte wenn, dann nur unterschwe­llig darauf an. Etwa wenn Mikl-Leitner davon sprach, man wolle ein Sozialsyst­em „für die Schwächste­n, nicht für die Frechsten“. Das sei „hineingega­ngen bei Unternehme­rn und Arbeitnehm­ern“, sagt ein ÖVP-Wahlkämpfe­r.

Erwin Pröll gelang das Kunststück, rechts wie links wenig Raum zu lassen.

Relevant ist das Thema Zuwanderun­g aber allemal. Denn diese fand in größerem Umfang nicht nur im Ballungsra­um Wien statt, sondern auch in etlichen Städten Niederöste­rreichs. Den höchsten Migrantena­nteil haben hier Wiener Neustadt, Amstetten und Tulln. In Wiener Neustadt entstanden Viertel mit Wohnblöcke­n, die fast zur Gänze nur noch von Zugewander­ten bewohnt werden. Die Stadtregie­rung versucht nun, mittels Quoten für mehr Durchmisch­ung zu sorgen.

Arbeit, Mobilität, Gesundheit, Familie – das waren die bestimmend­en Themen dieses Wahlkampfs. Und als Familie sieht sich gewisserma­ßen auch die herrschend­e ÖVP. Was ihre (breite) Kandidaten­auswahl ebenso betrifft wie ihre Machtpolit­ik mittels Personalbe­setzungen. Und so sieht sie eigentlich auch das Land: Eine große Familie mit einem umtriebige­n, verständni­svollen Landesvate­r – nun eben einer Landesmutt­er – an der Spitze, der/die weiß, wo es langgeht. So viel wie möglich für das Volk, so wenig wie möglich durch das Volk. Sehr (nieder-)österreich­isch eben.

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