Der Kern von Österreich
Eine gemeinsame Klammer, die das Land zusammenhält, gibt es nicht. Es ist allerdings genau diese Vielschichtigkeit, die Niederösterreich ausmacht. Wenn man vom Politischen einmal absieht.
Das Weinviertel, in seinem sanfthügeligen Relief an die Toskana erinnernd, mit seinen heißen, trockenen Sommern, den Dörfern, vor allem jenen in Richtung tschechischer Grenze, in denen die Zeit in den 1970er-Jahren stehen geblieben zu sein scheint.
Das raue, kühlere, mit Burgen und Schlössern verzierte Waldviertel, in das die Wochenend-Bobos aus Wien am Freitag einfallen und am Sonntag wieder abfahren.
Das Mostviertel mit seinen Skigebieten im Süden, die von der Anmutung her auch irgendwo in Salzburg oder Tirol sein könnten.
Und dann noch jenes Gebiet, das Industrieviertel genannt wird, mittlerweile jedoch weniger mit dem Arbeitermilieu assoziiert wird, sondern dessen wiennahe Ausläufer als Teil des Speckgürtels zu den bürgerlichen Wohngebieten zählen – jener grundsätzlich urbanen Menschen also, die einen festen Wohnsitz dem Wochenendhaus im Waldviertel vorziehen.
Es ist diese Verschiedenartigkeit, die Niederösterreich, seinen Reiz, ausmacht. Eine gemeinsame Klammer wird man hingegen nur schwer finden. Wiewohl es immer wieder Versuche gab, eine übergeordnete Landesidentität zu kreieren. Mittels Hymne, Tracht, und eigener Hauptstadt.
Neben der Unterschiedlichkeit der Viertel waren es vor allem zwei Dinge, die die Ausprägung einer starken Landesidentität wie sie etwa Tiroler oder Kärntner haben, verhinderten: Das eine ist die so ganz anders tickende Metropole Wien mittendrin, bis 1986 ja auch die Landeshauptstadt Nieder- österreichs. Das andere ist das Selbstverständnis, dass man sich nicht als etwas genuin Eigenes von Österreich als Staat abgrenzen muss. Weil Niederösterreich historisch betrachtet der Kern Österreichs ist.
Als „Ostarrichi“996 das erste Mal urkundlich erwähnt wurde, war damit ein Teil Niederösterreichs gemeint, ein Teil des Donautals (ohne Wien) genauer gesagt, mit dem Zentrum in Melk. Regiert wurde dieses Gebiet von den Babenbergern. In besagter Schenkungsurkunde hieß es wörtlich, diese Schenkung liege „in regione vulgari vocabulo Ostarrichi in marcha et comitatu Heinrici comitis filii Luitpaldi marchionis“, also im Gebiet, das in der Volkssprache Österreich heißt, in der Mark des Grafen Heinrich, Sohn des Markgrafen Leopold. Bis 1192 war Österreich im Wesentlichen das heutige Niederösterreich, in diesem Jahr kamen dann ein Großteil Oberösterreichs und die Steiermark hinzu.
Wenn Niederösterreich heute durch etwas zusammengehalten wird, dann ist es – im Guten wie im Schlechten – die jahrzehntelange Regentschaft der ÖVP. Das höchste an Pluralität ist, dass der Landeshauptmann abwechselnd immer aus einem anderen Bund kommt. Auf Andreas Maurer (Bauernbund) folgte Siegfried Ludwig (ÖAAB), folgte Erwin Pröll (Bauernbund), folgte Johanna Mikl-Leitner (ÖAAB).
Und Mikl-Leitner versucht, bei dieser Landtagswahl das Erbe zu bewahren, das ihr Erwin Pröll in Form einer absoluten Mehrheit übertragen hat. Vom Stil her legt sie es etwas sanfter an. Sie ist zwar jovial und schulterklopfend wie ihr Vorgänger, aber weniger polternd. Bei der Abschlussveranstaltung in Eggenburg am vergangenen Dienstag wurde auf den obligaten Einpeitscher in Person des Landesgeschäftsführers verzichtet. Mikl-Leitner selbst übte sich dann auf der Bühne mit einem Moderator im politischen Small Talk. Der Einpeitscher in Person des Landesgeschäftsführers trat erst danach auf – und auch dieser gab sich verhältnismäßig zahm und verzichtete auf die Angriffe auf den Gegner, die unter Erwin Pröll zum Standardrepertoire gehört hatten. Dieser saß übrigens mit seiner Frau in Reihe eins und verfolgte die neuen Zeiten mit Wohlwollen. Prölls Botschaft. Erwin Pröll war durchaus erfolgreich darin, seinem Land ein neues Selbstbewusstsein zu geben. Er tat das gemäß dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“. Die zentrale Botschaft war: Wir haben aus dem zurückgebliebenen Land am Eisernen Vorhang ein prosperierendes im neuen Europa gemacht. Und so falsch war das ja auch nicht. Die Betriebsansiedelungen, die Kreisverkehre und die Dorfverschönerungen konnten sich sehen lassen. Freilich erkauft zum Preis einer höheren Verschuldung.
Die Dominanz der ÖVP ging stets mit einer Schwäche der SPÖ einher. Deren Einfluss blieb auf größere Städte und klassische Arbeitergemeinden beschränkt. Auch die Freiheitlichen brachten hier nie wirklich einen Fuß in die Tür. Die ÖVP hatte stets das Credo der bayrischen CSU beherzigt: Rechts von einer konservativen, christlich-sozialen Partei dürfe kein Platz sein.
Erwin Pröll gelang sogar das Kunststück, auf der nationalen wie auf der liberalen Seite wenig Spielraum für andere zu lassen. Den Bau von Moscheen mit Minaretten lehnte er als „artfremd“ab. Und Künstler von Peter Turrini und Hermann Nitsch abwärts ließen sich von ihm bereitwillig hofieren. Sommertheater, Museen und andere vom Land geförderte Kulturinitiativen schossen wie die Pilze aus dem Boden.
Das Höchste an Pluralität: Der Landeschef kommt immer von einem anderen Bund.
Migration – kein Thema. Das Zuwanderungsthema, das noch den Nationalratswahlkampf im Vorjahr dominiert hatte, spielte in diesem Landtagswahlkampf kaum eine Rolle. Die Freiheitlichen versuchten zwar, es hochzuziehen, die ÖVP hingegen spielte wenn, dann nur unterschwellig darauf an. Etwa wenn Mikl-Leitner davon sprach, man wolle ein Sozialsystem „für die Schwächsten, nicht für die Frechsten“. Das sei „hineingegangen bei Unternehmern und Arbeitnehmern“, sagt ein ÖVP-Wahlkämpfer.
Erwin Pröll gelang das Kunststück, rechts wie links wenig Raum zu lassen.
Relevant ist das Thema Zuwanderung aber allemal. Denn diese fand in größerem Umfang nicht nur im Ballungsraum Wien statt, sondern auch in etlichen Städten Niederösterreichs. Den höchsten Migrantenanteil haben hier Wiener Neustadt, Amstetten und Tulln. In Wiener Neustadt entstanden Viertel mit Wohnblöcken, die fast zur Gänze nur noch von Zugewanderten bewohnt werden. Die Stadtregierung versucht nun, mittels Quoten für mehr Durchmischung zu sorgen.
Arbeit, Mobilität, Gesundheit, Familie – das waren die bestimmenden Themen dieses Wahlkampfs. Und als Familie sieht sich gewissermaßen auch die herrschende ÖVP. Was ihre (breite) Kandidatenauswahl ebenso betrifft wie ihre Machtpolitik mittels Personalbesetzungen. Und so sieht sie eigentlich auch das Land: Eine große Familie mit einem umtriebigen, verständnisvollen Landesvater – nun eben einer Landesmutter – an der Spitze, der/die weiß, wo es langgeht. So viel wie möglich für das Volk, so wenig wie möglich durch das Volk. Sehr (nieder-)österreichisch eben.