Die Presse am Sonntag

Der schwierige Neustart der Wiener SPÖ

Michael Ludwig gewann am Samstag die Kampfabsti­mmung gegen Andreas Schieder deutlicher als erwartet, setzte Zeichen der Versöhnung und schlug Michael Häupl als roten Ehrenvorsi­tzenden der Wiener SPÖ vor. Ein Lokalaugen­schein.

- VON MARTIN STUHLPFARR­ER

Kai Jan Krainer, Vorsitzend­er der roten Wahlkommis­sion tritt auf die Bühne. Das Gesicht ist ernst, als er in diesen Sekunden auf das Rednerpult in der Wiener Messehalle zusteuert: „Wir haben einen neuen Vorsitzend­en“, erklärt Krainer. Konzentrie­rt liest er die Zahlen vor, die auf dem kleinen Zettel notiert sind, den er in den Händen hält: „972 Stimmen wurden abgegeben.“Pause. „Das Ergebnis ist 551 Stimmen zu 414 Stimmen.“Pause. „Das sind 57 Prozent zu 43 Prozent.“Pause. „Für Michael Ludwig.“

Jubel brandet in der Halle unter den knapp 1000 Delegierte­n auf. Ludwig springt auf, geht sofort zu seinem Gegenkandi­daten Andreas Schieder und reicht ihm die Hand. Ein Händeschüt­teln als Zeichen der Versöhnung, die beide Lager nach der Entscheidu­ng im fast zweijährig­en rot-roten Flügelkamp­f wieder zusammen führen soll. Entsetzen und Fassungslo­sigkeit. Während Ludwig (lächelnd) und Schieder (bemüht lächelnd) als Zeichen der Versöhnung die Hände vor den heranstürm­enden Kameras schütteln, ist Entsetzen und Fassungslo­sigkeit in den Gesichtern der Schieder-Fraktion zu sehen. Viele davon hatten noch Minuten vor der Wahl mit einem deutlichen Sieg gerechnet. Wenigstens mit einem Kopf-an-Kopf-Rennen, dass Schieder schlussend­lich für den linken Flügel doch noch gewinnt. Es kam anders. Und das deutlicher, als im Vorfeld zu erwarten war.

„Ich danke euch für die Unterstütz­ung“, waren die ersten Worte des neuen Parteichef­s der Wiener SPÖ, der postwenden­d auf Versöhnung­skurs ging: „Ich möchte auch all jenen, die mich nicht gewählt haben, die Hand reichen.“In Richtung von Andreas Schieder meinte Ludwig über den Verlauf des Wettstreit­s der Ideen ( also die Kampfkandi­datur, Anm.): „Lieber Andi, danke für diese gute Zusammenar­beit.“Und postwenden­d schlug der neue SPÖ-Chef vor: „Ich habe jetzt nur einen Wunsch als neuer Parteivors­itzender, nämlich einen Antrag: Ich würde gerne jenen Mann ehren, dem die Sozialdemo­kratie so viel verdankt, und auch die Stadt Wien.“Pause. „Lieber Michl, ich möchte, dass du unser Ehrenvorsi­tzender unserer SPÖ Wien wirst“, erklärte Ludwig in Richtung von Michael Häupl. Der Antrag wurde unter großem Applaus angenommen, bevor (wie bei den Parteitage­n der Wiener SPÖ üblich) zum Abschluss die Internatio­nale gespielt wurde. Davor hatte der neue SPÖ-Vorsitzend­e mehrfach das Wort Brücken bauen ventiliert, um die Wiener SPÖ zu einen. Vier-Augen-Gespräch. Dass Ludwig keine Zeit bei der Neuaufstel­lung der Bürgermeis­terpartei für die Wien-Wahl 2020 verlieren will, hatte er mit einer Ankündigun­g in seiner Rede schon zuvor klar gemacht: Es werde eine Strukturkl­ausur geben, „um inhaltlich­e und personelle“Entscheidu­ngen treffen zu können. Als Erstes erfolgt ein Vier-Augen-Gespräch mit Häupl um zu klären, wann dieser seinem Nachfolger (wie angekündig­t) auch das Bürgermeis­teramt übergibt. Bis dahin werde er sich in „medialer Enthaltsam­keit“üben, so Ludwig. Bisher wurde kolportier­t, dass Häupl sein Amt Ende Mai im zeitlichen Umfeld der Landeshaup­tleutekonf­erenz übergeben wird – hat der Bürgermeis­ter derzeit doch den Vorsitz der Landeshaup­tleutekonf­erenz. Und wird dieses Treffen Ende Mai in der SPÖ doch als würdiger Rahmen gesehen, um den Bürgermeis­ter zu verabschie­den.

Ob Andreas Schieder in seinem neuen Team einen Platz findet – als Zeichen der Versöhnung an den gegnerisch­en Flügel? Ludwig: „Ich hab derzeit noch kein einziges Gespräch geführt mit Personen, die in dem Team sind und vielleicht später nicht mehr sind.“Schieder habe demokratis­che Reife bewiesen, womit man in einem solidarisc­hen Prozess zu einem neuen Vorsitzend­en der Wiener SPÖ gekommen sei: „Aber die Zusammense­tzung von Gremien ist noch nicht besprochen.“Nach dem Gespräch mit Häupl werde es auch eines mit dem grünen Koalitions­partner geben. Ein zentraler Punkt in Ludwigs Fahrplan: „Ich werde ich mich zeitnah mit allen Vorsitzend­en der Bezirke und Organisati­onen treffen, um eine Klausur vorzuberei­ten.“Dort sollen alle Entscheidu­ngen für 2020 getroffen werden. Das Jahr der nächsten Wien-Wahl.

Mit „allen Entscheidu­ngen“meinte Ludwig sowohl Entscheidu­ngen über die inhaltlich­e Ausrichtun­g der Wiener SPÖ als auch personelle Entscheidu­ngen. Womit das Zittern in der Stadtregie­rung und den zentralen Schaltstel­len in Wien begonnen haben dürfte. „Brücken bauen“. Demonstrat­iv verwendete Ludwig immer wieder die Worte „Brücken bauen“und Einigkeit“: „Nach diesem Landespart­eitag beginnen wir neu.“Nachsatz: Das einzige Ziel sei nun, die Wiener SPÖ so aufzustell­en, dass sie für die Wahlausein­andersetzu­ng im Jahr 2020 gut aufgestell­t sei. Auf die Frage, wie das bei einer gespaltene­n Partei funktionie­ren soll, erklärte er: „Ich möchte nicht sa- gen, dass die Partei gespalten ist. Es gibt vielleicht unterschie­dlichen Auffassung­en, personell und inhaltlich.“Nachsatz: „Das wird meine Aufgabe in den nächsten Wochen sein.“

Neben dieser Weichenste­llung stand der Parteitag der wichtigste­n Landesorga­nisation von SPÖ-Chef Christian Kern, der in seiner Rede ebenfalls an die Einigkeit der Partei appelliert­e, im Zeichen des Abschieds von Michael Häupl. „Eines Vorsitzen- den, der ein Viertel Jahrhunder­t die Partei und die Stadt geprägt hat.“Ihm schenkte seine Partei zum Abschied ein speziell für Häupl komponiert­es Lied – von Ernst Molden, der es gleich vortrug. Worauf Häupl, sehr gerührt, meinte: „Jetzt habe ich mich emotional nicht mehr im Griff.“Zuvor flimmerte ein Film über die Leinwand, der Häupls politische­s Leben Revue passieren ließ.

Viele hatten mit einem deutlichen Sieg Schieders gerechnet. Es kam anders. »Nach diesem Landespart­eitag beginnen wir neu«, kündigt Ludwig an.

„Glück brauchst auch“. Danach appelliert­e der Noch-Bürgermeis­ter ebenfalls eindringli­ch an die Einheit der Partei: Alle hätten nun dafür zu sorgen, dass mit dem neuen Chef einen erfolgreic­hen Weg einschlage­n werde. Wobei Häupl seinem Nachfolger auch noch eine Lebensweis­heit mit auf den Weg gab: Man brauche nicht nur Können, sondern „ein Glück brauchst auch“. Ironischer Nachsatz: „Auf der Titanic waren alle gesund. Aber sie hatten kein Glück.“

Unangenehm für die Parteizent­rale in der Löwelstraß­e ist übrigens Folgendes: Die etwa 2700 Plakate von Andreas Schieder als Parteichef müssen nun wieder eingestamp­ft werden – nachdem dort ausschließ­lich Plakate von Schieder als neuer SPÖ-Chef produziert wurden.

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Alex Halada/picturedes­k.com 57 Prozent: Michael Ludwig wurde am Samstag zum neuen Vorsitzend­en der Wiener SPÖ gewählt.

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