Was der Papst der französischen
Ob Paul Bocuse der beste oder »nur« der wichtigste Koch war, darüber lässt sich streiten. Fest steht, dass er der Branche ein neues Selbstwertgefühl gegeben hat. Ohne ihn gäbe es heute keine kochenden Superstars.
Man stelle sich vor, der österreichische Innenminister, Herbert Kickl, tritt vor die versammelte Presse und verkündet den Tod des größten Kochs des Landes, der weit mehr als das ist: ein Nationalheiliger, um den nicht nur das Land, sondern fast die ganze Welt trauert. Der Regierungschef, Sebastian Kurz, sieht sich dazu veranlasst, die trauernde Nation zu trösten, und würdigt die „Inkarnation der österreichischen Küche“. Undenkbar? In Frankreich – wo der kürzlich verstorbene Paul Bocuse von offizieller Staatsspitze ebenso gewürdigt wurde – ist das hingegen ganz normal.
Der Vergleich mag hinken – leider, möchte man meinen. Denn einen derart hohen Stellenwert, wie die Franzosen ihrer Küche einräumen, hat hierzulande vielleicht die Musik. Die Köche aber werden nicht annähernd so geschätzt. Die österreichische Küche ist nicht immaterielles Weltkulturerbe der Unesco. Hier werden nicht die besten Köche des Landes für einen Staatsemp- fang engagiert. Es gibt keinen Wettbewerb für Bäcker, deren Sieger die Hofburg beliefern darf. Und es gibt auch keinen „Papst der österreichischen Küche“, der mit Stolz seine Uniform trägt, die aus blütenweißer Kochweste mit eingesticktem Namen und Kragen in den Farben der Nation, einer turmhohen Kochmütze und einem Orden für den besten Handwerker des Landes um den Hals besteht.
Österreich ist damit in guter Gesellschaft. Es gibt auch sonst nicht viele Länder, die der Kulinarik einen der- Paul Bocuse wurde 1926 in Collongesau-Mont-d’Or/Rhˆone geboren. Die Schule hat er abgebrochen, um während des Zweiten Weltkriegs in einem Schwarzmarktrestaurant in Lyon zu arbeiten. Danach lernte er u. a. bei Fernand Point. 1956 übernahm er den elterlichen Betrieb in Lyon, seit 1965 hält das Restaurant „L’Auberge du Pont de Collonges“drei MichelinSterne. Bocuse zählt zu den Wegbereitern der Nouvelle Cuisine, deren Auswüchse er bald kritisierte („nichts auf dem Teller und alles auf der Rechnung“). 1987 gründetet er den Kochwettbewerb Bocuse d’Or. Er betrieb mehrere Restaurants, verkaufte Produkte, Kochbücher und lebte mit drei Frauen (in drei Haushalten). art hohen Stellenwert einräumen wie Frankreich – selbst wenn die französische Küche in den vergangenen Jahren international ein bisschen schwächelte. Geboren und gestorben im selben Haus. Am 20. Jänner dieses Jahres ist also Paul Bocuse gestorben. In jenem Haus in Lyon übrigens, in dem er geboren wurde. Dazwischen hat er dort auch gekocht. Nicht nur dort, aber vor allem und am liebsten dort. Überraschend war sein Tod, knapp vor seinem 92. Geburtstag, nicht. Es stellt sich dennoch die Frage, was jetzt kommt. Wer der nächste Papst der französischen Küche wird. Wer in diese Fußstapfen treten kann oder überhaupt möchte. Oder ob die Zeit eines solchen, traditionellen Typus nicht vielmehr vorbei ist. Zumindest das Auftreten der heutigen Küchenchefs lässt auf Letzteres schließen. Denn heute schreitet kaum einer mit stolzer Brust und krönender Toque am Kopf wie eine Majestät durch sein Restaurant. Vielmehr geht es ein bisschen lässiger zu. Es dürfen Haare ins Gesicht der Köche, viele sogar, gern auch als Vollbart. Der Schmuck der Köche ist längst nicht mehr der eingestickte Name in der weißen Weste, sondern viel eher eine Tätowierung. Wobei auch
So altmodisch er wirkte, er hat schon vor Jahrzehnten Regionalität gepredigt.