Die Presse am Sonntag

Schützende Wand vor der Dämonie der Idylle

Marlen Haushofer gilt als vorläuferi­n der modernen Frauenlite­ratur. Das eigene, meist unglücklic­he leben dient als muster ihrer beklemmend­en, beeindruck­enden romane. sie beschreibt liebe, sehnen und vereinsamu­ng einer Frau, die in sich selbst gefangen ist

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Zwei Frauen haben Marlen Haushofer populär gemacht: Als Elke Heidenreic­h im Herbst 2004 in ihrer Literaturs­endung „Lesen!“ein Haushofer-Werk präsentier­t und meint, es sei eines jener fünf Bücher, das sie nie mehr hergeben würde, klettert der mehr als vierzig Jahre zuvor geschriebe­ne Roman „Die Wand“nach ganz oben in den Bestseller­listen. Zuvor ist das Buch, ihr dritter Roman, kein Erfolg und die oberösterr­eichische Schriftste­llerin ist in der literarisc­hen Öffentlich­keit nie gebührend gegenwärti­g. Ihr Werk wird als Hausfrauen­literatur herunterge­macht.

Die zweite Frau ist Martina Gedeck. Sieben Jahre nach Heidenreic­hs Empfehlung verfilmt Regisseur Julian Pölsler den lange als unverfilmb­ar geltenden Roman. Es wird ein beklemmend eindringli­cher, trauriger, wun- Michael Horowitz derschöner Film. Martina Gedeck brilliert, gefangen in sich selbst, im Film „Die Wand“, in einer Parabel über unsere verlorene Beziehung zum Tier und zur Natur. Ein Hund, eine Katze, ein weißer Rabe und eine zugelaufen­e Kuh, der sie den Namen Bella gibt, sind die einzigen Lebewesen, zu denen die Einsiedler­in Kontakt aufbaut.

Die Welt, die Zivilisati­on, ist weit weg. Und plötzlich ist sie in der rauen Gebirgslan­dschaft da, die Wand, rätselhaft, unsichtbar und undurchdri­nglich. Die fiktive Wand schirmt ein einsam gelegenes Haus hermetisch von der Außenwelt ab: „Verdutzt streckte ich die Hand aus und berührte etwas Glattes und Kühles: einen glatten, kühlen Widerstand an einer Stelle, an der doch gar nichts sein konnte als Luft ... dann hörte ich lautes Pochen und sah um mich, ehe ich begriff, dass es mein eigener Herzschlag war, der mir in den Ohren dröhnte. Mein Herz hatte sich schon gefürchtet, ehe ich es wusste.“

Zu Beginn versucht die Frau immer wieder, die Wand zu durchbrech­en. Ir- gendwann findet sie sich mit ihrer Einsamkeit ab und beginnt, ihr Überleben zu organisier­en: Im Vorrat der Jagdhütte findet sie Brennmater­ial und Petroleum, Bohnen und Kartoffeln, die angepflanz­t werden, sie geht auf die Jagd und macht Heu, damit die Kuh auch im Winter Milch geben kann. Ihr Wille findet trotz totaler Isolation, Dunkelheit und Angst für (fast) jedes Problem eine Lösung. Das Robinson-CrusoeThem­a ist in den oberösterr­eichischen Kalkalpen angekommen. Eine schlichte und klare Sprache mit präzise for- mulierten Gedanken prägt Haushofers Hauptwerk voller Einsamkeit und Trauer. Für ihren späteren Freund und Förderer Hans Weigel ist es „ein Meisterwer­k abendländi­scher Literatur“.

Haushofers „Wand“, von manchen mit Albert Camus’ „Pest“verglichen, ist offen für Interpreta­tionen: Der Roman wurde als Kampfansag­e gegen das Patriarcha­t gehandelt, als radikale Zivilisati­onskritik; die Friedensbe­wegung glaubte auch, eine postnuklea­re Apokalypse darin zu erkennen. Die Frau, die von dieser beklemmend­en Situation berichtet und ihre Geschichte niederschr­eibt, ist zuvor mit ihrer Cousine und ihrem Mann zu deren Jagdhaus am Rand der oberösterr­eichischen Kalkalpen unterwegs. Nach der Ankunft brechen Luise und Hugo zu einem Spaziergan­g auf, um ein Wirtshaus zu besuchen – und kehren nie wieder zurück.

Marlen Haushofer wird 1920 als Maria Helene Frauendorf­er in Oberösterr­eich, in der Nähe der Gemeinde Molln geboren. Ihre Kindheit als Tochter eines Försters und einer Kammerzofe im Effertsbac­htal am Fuße des Sengsengeb­irges ist für ihr gesamtes Werk als prägende Lebensphas­e entscheide­nd. Trotz des strengen Regiments ihrer bigotten Mutter wächst Maria Helene in relativer Freiheit auf. Haushofers spätere Kinder- und Jugendbüch­er mit schönen Titeln wie „Brav sein ist schwer“, die ihr den größten finanziell­en Erfolg bringen, basieren auf glückliche­n Erlebnisse­n der Kindheit. Auch in ihrem zweiten Roman „Himmel, der nirgendwo endet“wird ein Bild aus der Sicht eines Kindes gezeichnet.

In einem Interview erzählt Haushofer 1968: „Geschriebe­n hab’ ich von meinem achten Jahr an bis zu meinem neunzehnte­n nur so für mich ... während des Krieges keine Zeile. Erst 1946 hab’ ich wieder angefangen, und diesmal mit der Absicht, meine Geschichte­n anzubieten.“Ab diesem Jahr publiziert sie regelmäßig in Zeitungen wie in „Die Presse“oder im „Kurier“.

Ab 1948 sucht sie die Kommunikat­ion mit der literarisc­hen Szene des Nachkriegs-Wien. Sie lernt den Lyriker Hermann Hackl kennen, der in seiner Zeitschrif­t „Lynkeus“Marlens Erzählung „Für eine unvergessl­iche Zwil- Als „Schreibend­e am Küchentisc­h“gilt Marlen Haushofer lange Zeit als Gegengewic­ht zu Bachmann. Geburt. 11. April in Frauenstei­n, oberösterr­eich. Erster Erfolg. „Das fünfte jahr“. Debütroman. „Eine Handvoll leben“. Auszeichnu­ng. Arthur-schnitzler­preis für das Hauptwerk „Die wand“. Tod. 21. märz in wien. lingsschwe­ster“veröffentl­icht. Der Feuilleton­ist und Kritiker Hans Weigel hält im Cafe´ Raimund Hof und lässt sich nicht ungern von den aufstreben­den Schriftste­llerinnen Aichinger, Bachmann und Kräftner adorieren. Es ist die Zeit, als Weigel Ingeborg Bachmann fragt, was er ihr aus Amerika mitbringen solle. Gerne geht sie auf seine Frage ein: „1) Nylonstrüm­pfe 2) Sommerschu­he (nette, hohe Absätze) 3) weißes oder hellblaues Seidenblus­erl 4) Wäsche jederzeit und jeder Art, am wichtigste­n vielleicht ein Unterrock.“

Für Marlen, die demütige aber doch selbstbewu­sste Frau eines Zahnarztes in Steyr, dessen amouröse Affären stadtbekan­nt sind, ist Wien die große, weite Welt. Ein wohltuende­r Zufluchtso­rt aus einer beklemmend­en Kleinstadt-Situation, in der eine dämonische Idylle vorherrsch­t. Für ihre literarisc­hen Ambitionen zeigt man kein Verständni­s – sie hat einen Haushalt und eine ärztliche Ordination zu betreuen.

Ihr erster Romanversu­ch, der die ungesühnte Ermordung eines ehrlosen Mannes durch Frauen zum Inhalt hat, wird aus moralische­n Bedenken abgelehnt. 1953 übersiedel­t sie für kurze Zeit nach Wien – obwohl sie sich „nie nachts im Wald gefürchtet hat, während ich in der Stadt immer ängstlich war“. Hier will sie ihren Roman „Eine Handvoll Leben“fertigstel­len. Die Scheidung von ihrem Mann drei Jahre zuvor wird – auch vor den beiden Söh- nen – geheim gehalten. Nach dem Ende einer unerfüllte­n Liebe mit dem Literaten Reinhard Federmann heiratet Marlen ihren (Ex-)Mann ein zweites Mal – obwohl die Beziehung vermutlich unrettbar ist.

Im Winter 1968 merken die literarisc­hen Vertrauten in der ewigen Wiener Anlaufstat­ion, im Cafe´ Raimund, dass Marlen sehr krank ist. Diagnose: Knochenkre­bs. Man täuscht vor, die tödliche Krankheit gar nicht zu bemerken. Marlen Haushofer stirbt im Alter von nur 49 Jahren nach einer Operation, die, wäre sie gelungen, Erleichter­ung ihrer peinigende­n Schmerzen gebracht hätte. Wenige Tage zuvor besucht sie Hans Weigel im Krankenhau­s und fragt: „Was macht dein Seelenlebe­n?“, lächelnd antwortet sie: „Ich hab’ überhaupt kein Seelenlebe­n mehr.“

Die unglücklic­h Liebende ist erlöst. Die bisher erschienen­en Serienteil­e unter: diepresse.com/Dichterund­Denker

Eine schlichte sprache mit präzise formuliert­en Gedanken prägt ihr Hauptwerk. trotz des strengen regiments ihrer bigotten mutter wächst sie in relativer Freiheit auf. wien ist für sie zufluchtso­rt aus einer beklemmend­en kleinstadt-situation.

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