Stadt, Land, Landflucht
Was braucht es, um die Abwanderung aus einem Dorf zu stoppen? Eine Autobahn, engagierte Amtsleiter, schnelles Internet? »Die Presse am Sonntag« suchte und fand im Wald- und Innviertel Antworten.
Land zu verkaufen“stand auf dem Schild, und in Munderfing dachte kaum noch einer, dass sich hier jemals ein Unternehmen ansiedeln würde. Der Gemeindeacker war eigentlich für die örtliche Baufirma bestimmt. Doch das Unternehmen ging pleite, statt zu expandieren. So stand der Innviertler Ort mit einem Betriebsgebiet ohne Betrieb da. „Land zu verkaufen“, las KTM-Chef Stefan Pierer. Sein KTM-Motorradwerk im benachbarten Mattighofen platze aus allen Nähten. Und so fügte sich vor mehr als eineinhalb Jahrzehnten das eine ins andere.
Im Waldviertel kämpfte die Gemeinde Pfaffenschlag verbissen darum, den Windkraftanlagenbauer WEB zu halten. Das Unternehmen überlegte abzuwandern – irgendwie ist es geblieben, schafft jedes Jahr Arbeitsplätze und sorgt dafür, dass kluge Köpfe nicht in die Stadt auspendeln müssen. Und das Beste daran, so meinen viele in Pfaffenschlag: „Bei uns steht nur die Firmenzentrale, die Windräder stehen woanders.“
Das ist die Geschichte von zwei exemplarischen Orten auf dem Land, die gegen die Abwanderung ankämpfen. Nicht immer werden diese Kämpfe von allen gutgeheißen. Nicht immer bringen sie den erhofften Erfolg. Manchmal fordern sie auch Opfer. „Zufall war es nicht“, sagt Erwin Moser und schüttelt den Kopf. „Ich bin mit 25 Jahren Amtsleiter geworden und hab überlegt: Was kann man aus so einer kleinen Gemeinde machen?“Heute ist er 33 Jahre im Amt. Genügend Zeit, um dem 3000-EinwohnerDorf seinen Stempel aufzudrücken. Blickt man von oben auf Munderfing, sieht man ihn: Hinter Weiden und Einfamilienhäusern erstreckt sich das KTM-Motorenwerk. Nicht zur Freude aller. „40 Bauern waren wir früher“, schimpft eine ältere Frau, während sie ihre Hochlandbüffel in den Stall treibt. „Heute bin ich eine der wenigen. Auf jeder freien Fläche haben sie einen Betonklotz hingebaut.“
Hinter Mosers Schreibtisch hängt ein Foto von einem Windrad, das sich über die Nebel im nahen Kobernaußerwald erhebt. Es ist das Foto eines Sieges. Als sich Bürgerinitiativen zur Rettung des Walds formierten, reichte er das Projekt so oft ein, bis die Gegner müde wurden. Die Baukosten trug die Gemeinde. In 30 Jahren will Munderfing völlig energieautark sein.
Als KTM um die Jahrtausendwende anklopfte, ließ sich die Gemeinde nicht zweimal bitten. Statt der geplanten zwei Hektar stellte man rund 40 Hektar zur Verfügung. „Wenn einer kommt, musst du bereit sein“, sagt Moser.
Szenenwechsel: Hoch oben im Waldviertel. Pfaffenschlag im Bezirk Waidhofen an der Thaya. Hier leben von Jahr zu Jahr weniger Menschen. Je näher man kommt, desto öfter sieht man Schilder mit der Aufschrift „Wohnen im Waldviertel“oder „Haus zu verkaufen“. Die Gemeinde kämpft seit vie- len Jahren gegen die Abwanderung. 2007 wurde es eng. Der Windkraftanlagenbauer WEB, einer der wenigen Betriebe in der Region, suchte einen neuen Standort. Das Industrieviertel in Krems war bereits im Gespräch. Aber der damalige Bürgermeister von Pfaffenschlag ließ nicht locker – bis der Verbleib des Unternehmens gesichert war.
1. »Wenn einer kommt, musst du bereit sein.« 2. »In einem Jahr müssen wir nach Wien übersiedeln.«
Die Einwohner waren beruhigt. Sie hatten ihren Vorzeigebetrieb halten können. Hier entstanden neue und gute Jobs. Dann kamen Frank Dumeier und Michael Trcka, zwei Manager, die man in der Gegend – vorsichtig formuliert – nicht gewohnt war. Der eine Norddeutsche, der andere Wiener, der eine von Daimler, der andere vom Verbund. Dumeier erinnert sich: „Da hieß es: ,Da kommen zwei, die nicht aus dem Waldviertel sind. Noch ein Jahr, dann sind wir in Wien.‘“
Ein Wiener Büro war damals tatsächlich im Gespräch. Aber es hätte eben nicht zur DNA des Unternehmens gepasst. Die Wurzeln der Firma sind im Waldviertel. Hier sitzen die ältesten Aktionäre der WEB. „Das sind Landwirte, die 100.000 Euro in die WEB investiert haben, statt sich vor zehn Jahren den Traktor zu kaufen.“
Dass 240 Windkraftanlagen in sieben Ländern noch immer aus der Schaltzentrale in Pfaffenschlag gesteuert werden, hat auch einen anderen Grund: Im Waldviertel, mit seinem ausgedünnten Arbeitsmarkt, sticht die Firma heraus. „Ich habe in vielen Städten auf der Welt gearbeitet. Wenn der Nachbarbetrieb einen Dollar mehr gezahlt hat, waren die Mitarbeiter weg“, sagt Dumeier. Dieser Wettbewerb um das Humankapital existiert hier nicht. Und wenn doch, dann gewinnt ihn die WEB. „Unsere Mitarbeiter sind sehr loyal, weil sie wissen, dass es nicht viele andere in der Re- gion gibt, die so einen Job anbieten“, sagt Trcka. Bei der WEB sind Techniker gefragt. „Viele Absolventen der HAK finden keinen Job und gehen“, sagt Bürgermeister Willibald Pollak. 920 Menschen leben in seiner Gemeinde Pfaffenschlag – noch. Es gibt drei Gasthäuser, einen Fleischhauer, eine schwarze und eine blaue Liste im Gemeinderat und einen großen Festsaal, den man für Feiern mieten kann. Nachwuchsprobleme haben alle, auch Pollak. Seit über zwanzig Jahren ist er in der Ortspolitik, ein Nachfolger lässt auf sich warten. „Zurzeit raufen wir, um zwei Kindergartengruppen zu erhalten.“
Ist es die schlechte Anbindung – 1:37 Stunden nach Linz, 1:19 Stunden nach St. Pölten, die zur Landflucht führt? Braucht es die von FPÖ-Infrastrukturminister Norbert Hofer jüngst aufs Neue propagierte Waldviertelautobahn? „Damit die Leute noch schneller fort fahren?“, fragt der Bürgermeister. Raumplanerin Gerlind Weber teilt seine Befürchtung. Heute brauche man Autobahnen aus Glasfaserkabel, nicht aus Asphalt. Die Datenautobahn führt längst in die internatio- Erwin Moser (linkes Bild) arbeitet seit 33 Jahren im Munderfinger Rathaus. Frank Dumeier (rechtes Bild, l.) und Michael Trcka managen noch nicht ganz so lang ein Waldviertler Energieunternehmen. nale Schaltzentrale der WEB. „Die Autobahn sorgt nur dafür, dass die Leute noch weiter pendeln und irgendwann ganz wegbleiben“, ist Pollak überzeugt.
3. »Mit der Autobahn fahren die Leute nur schneller fort.« 4. »Diejenigen, die geblieben sind, fühlen sich vergessen.«
Das nördliche Waldviertel steht seit vielen Jahren als Synonym für einen wirtschaftlichen Niedergang. Kaum Jobs, immer weniger Einwohner, schwindende Finanzkraft, abnehmendes politisches Gewicht. „Es bleiben aber noch immer viele Leute zurück. Sie fühlen sich vergessen und verloren“, sagt Raumplanerin Weber. „Es herrscht große Unzufriedenheit.“Dieses Gefühl, von denen da oben im Stich gelassen zu werden, birgt politischen Sprengstoff.
Die Politik reagierte. Der „Masterplan für den ländlichen Raum“machte Hoffnung. Dann kam die Sache mit dem Umweltbundesamt. Der frühere ÖVP-Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter initiierte, dass die Behörde von Wien ins benachbarte Klosterneuburg übersiedeln wird. Klosterneuburg als „ländlichen Raum“zu titulieren ist bei dem Wiener Nobelvorort gewagt. Raumplanerin Weber spricht diplomatisch von einem „verun-