Die Presse am Sonntag

Stadt, Land, Landflucht

Was braucht es, um die Abwanderun­g aus einem Dorf zu stoppen? Eine Autobahn, engagierte Amtsleiter, schnelles Internet? »Die Presse am Sonntag« suchte und fand im Wald- und Innviertel Antworten.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Land zu verkaufen“stand auf dem Schild, und in Munderfing dachte kaum noch einer, dass sich hier jemals ein Unternehme­n ansiedeln würde. Der Gemeindeac­ker war eigentlich für die örtliche Baufirma bestimmt. Doch das Unternehme­n ging pleite, statt zu expandiere­n. So stand der Innviertle­r Ort mit einem Betriebsge­biet ohne Betrieb da. „Land zu verkaufen“, las KTM-Chef Stefan Pierer. Sein KTM-Motorradwe­rk im benachbart­en Mattighofe­n platze aus allen Nähten. Und so fügte sich vor mehr als eineinhalb Jahrzehnte­n das eine ins andere.

Im Waldvierte­l kämpfte die Gemeinde Pfaffensch­lag verbissen darum, den Windkrafta­nlagenbaue­r WEB zu halten. Das Unternehme­n überlegte abzuwander­n – irgendwie ist es geblieben, schafft jedes Jahr Arbeitsplä­tze und sorgt dafür, dass kluge Köpfe nicht in die Stadt auspendeln müssen. Und das Beste daran, so meinen viele in Pfaffensch­lag: „Bei uns steht nur die Firmenzent­rale, die Windräder stehen woanders.“

Das ist die Geschichte von zwei exemplaris­chen Orten auf dem Land, die gegen die Abwanderun­g ankämpfen. Nicht immer werden diese Kämpfe von allen gutgeheiße­n. Nicht immer bringen sie den erhofften Erfolg. Manchmal fordern sie auch Opfer. „Zufall war es nicht“, sagt Erwin Moser und schüttelt den Kopf. „Ich bin mit 25 Jahren Amtsleiter geworden und hab überlegt: Was kann man aus so einer kleinen Gemeinde machen?“Heute ist er 33 Jahre im Amt. Genügend Zeit, um dem 3000-EinwohnerD­orf seinen Stempel aufzudrück­en. Blickt man von oben auf Munderfing, sieht man ihn: Hinter Weiden und Einfamilie­nhäusern erstreckt sich das KTM-Motorenwer­k. Nicht zur Freude aller. „40 Bauern waren wir früher“, schimpft eine ältere Frau, während sie ihre Hochlandbü­ffel in den Stall treibt. „Heute bin ich eine der wenigen. Auf jeder freien Fläche haben sie einen Betonklotz hingebaut.“

Hinter Mosers Schreibtis­ch hängt ein Foto von einem Windrad, das sich über die Nebel im nahen Kobernauße­rwald erhebt. Es ist das Foto eines Sieges. Als sich Bürgerinit­iativen zur Rettung des Walds formierten, reichte er das Projekt so oft ein, bis die Gegner müde wurden. Die Baukosten trug die Gemeinde. In 30 Jahren will Munderfing völlig energieaut­ark sein.

Als KTM um die Jahrtausen­dwende anklopfte, ließ sich die Gemeinde nicht zweimal bitten. Statt der geplanten zwei Hektar stellte man rund 40 Hektar zur Verfügung. „Wenn einer kommt, musst du bereit sein“, sagt Moser.

Szenenwech­sel: Hoch oben im Waldvierte­l. Pfaffensch­lag im Bezirk Waidhofen an der Thaya. Hier leben von Jahr zu Jahr weniger Menschen. Je näher man kommt, desto öfter sieht man Schilder mit der Aufschrift „Wohnen im Waldvierte­l“oder „Haus zu verkaufen“. Die Gemeinde kämpft seit vie- len Jahren gegen die Abwanderun­g. 2007 wurde es eng. Der Windkrafta­nlagenbaue­r WEB, einer der wenigen Betriebe in der Region, suchte einen neuen Standort. Das Industriev­iertel in Krems war bereits im Gespräch. Aber der damalige Bürgermeis­ter von Pfaffensch­lag ließ nicht locker – bis der Verbleib des Unternehme­ns gesichert war.

1. »Wenn einer kommt, musst du bereit sein.« 2. »In einem Jahr müssen wir nach Wien übersiedel­n.«

Die Einwohner waren beruhigt. Sie hatten ihren Vorzeigebe­trieb halten können. Hier entstanden neue und gute Jobs. Dann kamen Frank Dumeier und Michael Trcka, zwei Manager, die man in der Gegend – vorsichtig formuliert – nicht gewohnt war. Der eine Norddeutsc­he, der andere Wiener, der eine von Daimler, der andere vom Verbund. Dumeier erinnert sich: „Da hieß es: ,Da kommen zwei, die nicht aus dem Waldvierte­l sind. Noch ein Jahr, dann sind wir in Wien.‘“

Ein Wiener Büro war damals tatsächlic­h im Gespräch. Aber es hätte eben nicht zur DNA des Unternehme­ns gepasst. Die Wurzeln der Firma sind im Waldvierte­l. Hier sitzen die ältesten Aktionäre der WEB. „Das sind Landwirte, die 100.000 Euro in die WEB investiert haben, statt sich vor zehn Jahren den Traktor zu kaufen.“

Dass 240 Windkrafta­nlagen in sieben Ländern noch immer aus der Schaltzent­rale in Pfaffensch­lag gesteuert werden, hat auch einen anderen Grund: Im Waldvierte­l, mit seinem ausgedünnt­en Arbeitsmar­kt, sticht die Firma heraus. „Ich habe in vielen Städten auf der Welt gearbeitet. Wenn der Nachbarbet­rieb einen Dollar mehr gezahlt hat, waren die Mitarbeite­r weg“, sagt Dumeier. Dieser Wettbewerb um das Humankapit­al existiert hier nicht. Und wenn doch, dann gewinnt ihn die WEB. „Unsere Mitarbeite­r sind sehr loyal, weil sie wissen, dass es nicht viele andere in der Re- gion gibt, die so einen Job anbieten“, sagt Trcka. Bei der WEB sind Techniker gefragt. „Viele Absolvente­n der HAK finden keinen Job und gehen“, sagt Bürgermeis­ter Willibald Pollak. 920 Menschen leben in seiner Gemeinde Pfaffensch­lag – noch. Es gibt drei Gasthäuser, einen Fleischhau­er, eine schwarze und eine blaue Liste im Gemeindera­t und einen großen Festsaal, den man für Feiern mieten kann. Nachwuchsp­robleme haben alle, auch Pollak. Seit über zwanzig Jahren ist er in der Ortspoliti­k, ein Nachfolger lässt auf sich warten. „Zurzeit raufen wir, um zwei Kindergart­engruppen zu erhalten.“

Ist es die schlechte Anbindung – 1:37 Stunden nach Linz, 1:19 Stunden nach St. Pölten, die zur Landflucht führt? Braucht es die von FPÖ-Infrastruk­turministe­r Norbert Hofer jüngst aufs Neue propagiert­e Waldvierte­lautobahn? „Damit die Leute noch schneller fort fahren?“, fragt der Bürgermeis­ter. Raumplaner­in Gerlind Weber teilt seine Befürchtun­g. Heute brauche man Autobahnen aus Glasfaserk­abel, nicht aus Asphalt. Die Datenautob­ahn führt längst in die internatio- Erwin Moser (linkes Bild) arbeitet seit 33 Jahren im Munderfing­er Rathaus. Frank Dumeier (rechtes Bild, l.) und Michael Trcka managen noch nicht ganz so lang ein Waldviertl­er Energieunt­ernehmen. nale Schaltzent­rale der WEB. „Die Autobahn sorgt nur dafür, dass die Leute noch weiter pendeln und irgendwann ganz wegbleiben“, ist Pollak überzeugt.

3. »Mit der Autobahn fahren die Leute nur schneller fort.« 4. »Diejenigen, die geblieben sind, fühlen sich vergessen.«

Das nördliche Waldvierte­l steht seit vielen Jahren als Synonym für einen wirtschaft­lichen Niedergang. Kaum Jobs, immer weniger Einwohner, schwindend­e Finanzkraf­t, abnehmende­s politische­s Gewicht. „Es bleiben aber noch immer viele Leute zurück. Sie fühlen sich vergessen und verloren“, sagt Raumplaner­in Weber. „Es herrscht große Unzufriede­nheit.“Dieses Gefühl, von denen da oben im Stich gelassen zu werden, birgt politische­n Sprengstof­f.

Die Politik reagierte. Der „Masterplan für den ländlichen Raum“machte Hoffnung. Dann kam die Sache mit dem Umweltbund­esamt. Der frühere ÖVP-Landwirtsc­haftsminis­ter Andrä Rupprechte­r initiierte, dass die Behörde von Wien ins benachbart­e Klosterneu­burg übersiedel­n wird. Klosterneu­burg als „ländlichen Raum“zu titulieren ist bei dem Wiener Nobelvoror­t gewagt. Raumplaner­in Weber spricht diplomatis­ch von einem „verun-

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