Die Presse am Sonntag

»Hausbau ist für viele kein Lebensziel mehr«

Waldvierte­l und Innviertel sind nicht vergleichb­ar. Die Lektionen, die die Politik laut Regionalfo­rschern dort ziehen sollte, sind es schon.

- ANTONIA LÖFFLER

„Zuerst muss man mit einem Mythos aufräumen“, setzt Peter Mayerhofer an. „Ländlicher Raum ist nicht automatisc­h Abwanderun­gsraum, auch wenn das oft gleichgese­tzt wird.“

Das geklärt, dienen dem Wifo-Regionalfo­rscher das Innviertle­r Dorf Munderfing und sein Waldviertl­er Gegenüber Pfaffensch­lag als Beispiele, um seine Sicht mit Zahlen zu unterfütte­rn: Von 2002 bis 2017 stieg die Einwohnerz­ahl in der Innviertle­r Gemeinde, die zwischen der Stadt Salzburg und dem wirtschaft­sstarken Süddeutsch­land liegt, um 13,7 Prozent. So sieht kein Problemfal­l aus.

Pfaffensch­lag, im nördlichen Waldvierte­l nahe dem Grenzverla­uf des Eisernen Vorhangs, verlor im selben Zeitraum von einem niedrigen Niveau ausgehend 5,2 Prozent der Einwohner. In den übergeordn­eten Bezirken Braunau und Waidhofen an der Thaya wiederhole­n sich die Trends. „Und das wird nach derzeitige­n Prognosen auch bis 2030 so bleiben“, sagt Mayerhofer.

Eines haben die Bezirke, zwischen denen das gesamte Oberösterr­eich und ein Zipfel Niederöste­rreichs liegen, aber gemeinsam: Die erwerbsfäh­ige Bevölkerun­g geht beiden langsam abhanden. In Braunau werden laut Prognosen der Raumordnun­gskonferen­z 2060 15,1 Prozent weniger Menschen zwischen 20 und 65 Jahren leben. In Waidhofen wird diese Gruppe bereits um 28,7 Prozent geschrumpf­t sein. Der Langzeittr­end ist das Abbild einer überaltert­en, westlichen Gesellscha­ft, in der die Pyramide auf dem Land stärker kopfsteht als im urbanen Raum, wo mehr Junge leben. Einmal fort, immer fort? „Von den Jungen haben 30 Prozent eine höhere Bildung, die müssen weg vom Land“, sagt Mayerhofer. Es brauche aber später innovative Firmen, die sie zurücklock­en. Wie den Windkrafta­nlagenbaue­r WEB (siehe Hauptgesch­ichte) – „aber das kann man natürlich nicht planen“.

Kann man nicht? Gerlind Weber, emeritiert­e Raumforsch­erin an der Universitä­t für Bodenkultu­r in Wien, sieht das anders und greift ebenfalls auf die WEB zurück: Wenn so eine Fir- ma im Waldvierte­l funktionie­rt, sei die Lage „ernst, aber nicht hoffnungsl­os“.

Die Bundespoli­tik habe in den vergangene­n Jahrzehnte­n nichts gegen das langsame Ausrinnen des wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Landlebens getan. Die Infrastruk­tur wurde zurückgefa­hren; Vermessung­sämter, Schulen, Polizeista­tionen, Kindergärt­en schlossen oder fusioniert­en. Die Bürgermeis­ter hätten diesen „Niedergang verwaltet“, keine Angebote für junge, urbane Menschen geschaffen. Die 20- bis 40-Jährigen, die am häufigsten weggehen, würden Dinge wie schnelles Internet, Kaffees, Fitnesscen­ter vermissen. „Die Bürgermeis­ter haben nicht erkannt, dass Hausbau für viele kein Lebensziel mehr ist.“

Wie könnte man es besser machen? „Es fängt bei den Kindern an“, sagt Weber. Ihnen muss man gleichwert­ige Ausbildung­smöglichke­iten wie in der Stadt bieten, von der Kindergart­engruppe über eine Talentförd­erung bis zur Fachhochsc­hule. Dann blieben auch die Mütter eher auf dem Land – vorausgese­tzt, es gibt für sie und ihre Partner ansprechen­de Berufe. Die moderne Technologi­e macht das einfacher. IT-Spezialist­en könnten von überall arbeiten. „Und wer sagt, dass sich Kreativwir­tschaft nicht im ländlichen Milieu etablieren könnte?“

Mayerhofer plädiert ebenso für eine diversifiz­ierte Wirtschaft­sstruktur auf dem Land. „Bei der Innovation­spolitik darf ich die Peripherie nicht vergessen.“Ländlichen Raum mit landwirtsc­haftlichem Raum gleichzuse­tzen sei genauso kurzsichti­g wie die Annahme, dass jede Region auf dem Land unter Abwanderun­g leidet. „Der Förderfoku­s auf der Landwirtsc­haft ist zu wenig.“

Aber was ist mit den Gemeinden, in denen man den Prozess trotz aller Mühe nicht aufhalten kann? Mit ihnen müsse die Politik rücksichts­voll umgehen, sagen die Forscher. Das bedeute Übergangsl­ösungen für die Älteren, Immobilen und keine Benachteil­igung im Finanzausg­leich. Die Fixkosten für die Infrastruk­tur blieben schließlic­h dieselben, auch wenn sie weniger Menschen nützten. Weber: „Schrumpfen darf nicht bestraft werden.“

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