»Hausbau ist für viele kein Lebensziel mehr«
Waldviertel und Innviertel sind nicht vergleichbar. Die Lektionen, die die Politik laut Regionalforschern dort ziehen sollte, sind es schon.
„Zuerst muss man mit einem Mythos aufräumen“, setzt Peter Mayerhofer an. „Ländlicher Raum ist nicht automatisch Abwanderungsraum, auch wenn das oft gleichgesetzt wird.“
Das geklärt, dienen dem Wifo-Regionalforscher das Innviertler Dorf Munderfing und sein Waldviertler Gegenüber Pfaffenschlag als Beispiele, um seine Sicht mit Zahlen zu unterfüttern: Von 2002 bis 2017 stieg die Einwohnerzahl in der Innviertler Gemeinde, die zwischen der Stadt Salzburg und dem wirtschaftsstarken Süddeutschland liegt, um 13,7 Prozent. So sieht kein Problemfall aus.
Pfaffenschlag, im nördlichen Waldviertel nahe dem Grenzverlauf des Eisernen Vorhangs, verlor im selben Zeitraum von einem niedrigen Niveau ausgehend 5,2 Prozent der Einwohner. In den übergeordneten Bezirken Braunau und Waidhofen an der Thaya wiederholen sich die Trends. „Und das wird nach derzeitigen Prognosen auch bis 2030 so bleiben“, sagt Mayerhofer.
Eines haben die Bezirke, zwischen denen das gesamte Oberösterreich und ein Zipfel Niederösterreichs liegen, aber gemeinsam: Die erwerbsfähige Bevölkerung geht beiden langsam abhanden. In Braunau werden laut Prognosen der Raumordnungskonferenz 2060 15,1 Prozent weniger Menschen zwischen 20 und 65 Jahren leben. In Waidhofen wird diese Gruppe bereits um 28,7 Prozent geschrumpft sein. Der Langzeittrend ist das Abbild einer überalterten, westlichen Gesellschaft, in der die Pyramide auf dem Land stärker kopfsteht als im urbanen Raum, wo mehr Junge leben. Einmal fort, immer fort? „Von den Jungen haben 30 Prozent eine höhere Bildung, die müssen weg vom Land“, sagt Mayerhofer. Es brauche aber später innovative Firmen, die sie zurücklocken. Wie den Windkraftanlagenbauer WEB (siehe Hauptgeschichte) – „aber das kann man natürlich nicht planen“.
Kann man nicht? Gerlind Weber, emeritierte Raumforscherin an der Universität für Bodenkultur in Wien, sieht das anders und greift ebenfalls auf die WEB zurück: Wenn so eine Fir- ma im Waldviertel funktioniert, sei die Lage „ernst, aber nicht hoffnungslos“.
Die Bundespolitik habe in den vergangenen Jahrzehnten nichts gegen das langsame Ausrinnen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Landlebens getan. Die Infrastruktur wurde zurückgefahren; Vermessungsämter, Schulen, Polizeistationen, Kindergärten schlossen oder fusionierten. Die Bürgermeister hätten diesen „Niedergang verwaltet“, keine Angebote für junge, urbane Menschen geschaffen. Die 20- bis 40-Jährigen, die am häufigsten weggehen, würden Dinge wie schnelles Internet, Kaffees, Fitnesscenter vermissen. „Die Bürgermeister haben nicht erkannt, dass Hausbau für viele kein Lebensziel mehr ist.“
Wie könnte man es besser machen? „Es fängt bei den Kindern an“, sagt Weber. Ihnen muss man gleichwertige Ausbildungsmöglichkeiten wie in der Stadt bieten, von der Kindergartengruppe über eine Talentförderung bis zur Fachhochschule. Dann blieben auch die Mütter eher auf dem Land – vorausgesetzt, es gibt für sie und ihre Partner ansprechende Berufe. Die moderne Technologie macht das einfacher. IT-Spezialisten könnten von überall arbeiten. „Und wer sagt, dass sich Kreativwirtschaft nicht im ländlichen Milieu etablieren könnte?“
Mayerhofer plädiert ebenso für eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur auf dem Land. „Bei der Innovationspolitik darf ich die Peripherie nicht vergessen.“Ländlichen Raum mit landwirtschaftlichem Raum gleichzusetzen sei genauso kurzsichtig wie die Annahme, dass jede Region auf dem Land unter Abwanderung leidet. „Der Förderfokus auf der Landwirtschaft ist zu wenig.“
Aber was ist mit den Gemeinden, in denen man den Prozess trotz aller Mühe nicht aufhalten kann? Mit ihnen müsse die Politik rücksichtsvoll umgehen, sagen die Forscher. Das bedeute Übergangslösungen für die Älteren, Immobilen und keine Benachteiligung im Finanzausgleich. Die Fixkosten für die Infrastruktur blieben schließlich dieselben, auch wenn sie weniger Menschen nützten. Weber: „Schrumpfen darf nicht bestraft werden.“