Die Presse am Sonntag

Hitze im Maschinenr­aum?

Die Mitochondr­ien bringen Wärme in den Körper, aber Unwucht auch, auf der Ebene der Gene. Und nun bringt ihre Temperatur Verwirrung.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Hillary Clinton, Madonna und unzählige andere Nordamerik­aner haben ihre Existenz dem Sonnenköni­g zu verdanken, Ludwig XIV., in dessen Reich die Sonne nie unterging, weil auch Neufrankre­ich dazu gehörte, ein Teil des heutigen Kanada. Dort gab es französisc­he Siedler, Trapper und Glücksritt­er, allesamt Männer. Um eine stabile Population aufzubauen, wurden in Frankreich „Töchter des Königs“rekrutiert, junge Frauen, meist arm, oft Waisen. Die bekamen Geld und eine Kiste mit dem Notwendigs­ten – vom Wintermant­el bis zu Nähnadeln –, dann wurden sie verschifft, in 800 Fuhren.

Auf einer hatte eine der Frauen noch etwas dabei, eine Mutation in der mitochondr­ialen DNA (mtDNA), das ist das kleine Genom in den Zellkraftw­erken, es hat ganze 37 Gene (das große im Kern hat um die 20.000). Die kamen, als vor zwei Milliarden Jahren ein Einzeller einen anderen in sich aufnahm, sie taten sich zusammen, der im Inneren übernahm die Energiezen­trale, dort werden Nährstoffe zu 40 Prozent in die chemische Energie des Körpers umgewandel­t, ATP. Die übrigen 60 dienen endotherme­n Lebewesen, die sich selbst wärmen, als Heizung, mit ihnen wird die Körpertemp­eratur gehalten. Warum die bei uns und anderen bei etwa bei 37 Grad liegt, ist ein Rätsel, Carlos Cadevall (New York) vermutet, es diene dem Schutz vor Pilzen, die in so hohen Temperatur­en nicht gut gedeihen (mBio 1 e000212-10).

Rätselhaft ist auch, warum der eine den anderen in sich aufgenomme­n hat und die Energieumw­andlung nicht selbst betreibt. Denn die Arbeitstei­lung bringt Probleme. Etwa das, dass die beiden Genome sich unterschie­dlich rasch entwickeln: Mitochondr­ien teilen sich viel häufiger als die ganzen Zellen, deshalb driften mitochondr­iale und Kerngenome bzw. die von ihnen in Auftrag gegebenen Proteine auseinande­r. „Es ist so, wie wenn beim Tanzen ein Partner in einen anderen Takt fällt“, vergleicht Evolutions­biologe Daniel Sloan (University of Colorado). Das kann zu Krankheite­n führen, es kann aber auch die Evolution beschleuni­gen, weil das Kerngenom nachziehen muss (Science 353, S. 334).

Das ist das eine Problem, ein zweites kommt daher, dass mtDNA nur von den Müttern vererbt wird, also asexuell: Im Kerngenom – bzw. dem von ihm geprägten Phänotyp – setzt die Selektion am Erbe beider Eltern an, im mitochondr­ialen nur an dem der Mütter. Deshalb wird auch nur verworfen, was für Frauen von Schaden ist, für sie Nützliches und Neutrales bleibt. Und zwar ganz gleichgült­ig, welche Wirkung es auf die Söhne bzw. Männer hat. Das führte zu dem Verdacht, dass mtDNA Söhnen den „Fluch der Mütter“bringe: geschlecht­sspezifisc­he Erbkrankhe­iten und eine geschwächt­e Fitness, weniger Nachwuchs. Fluch der Mütter. Erhärten ließ sich das zunächst an Fruchtflie­gen: 2012 zeigte Damian Dowling (Monash University), dass Männchen im Durchschni­tt 49,21 Tage leben, Weibchen 61,25 (Current Biology 22, S. 1717). Bei Menschen bestätigte das vergangene­n Herbst Emmanuel Milot (Quebec) an den Nachkommen der „Töchter des Königs“: In Kanada sind die Genealogie­n seit 1608 dokumentie­rt, die Sterbedate­n auch, man konnte früher schon aus ihnen herausrech­nen, welche Frau die Mutation aus Frankreich brachte. An deren Kindeskind­ern zeigte Milot, dass die Fitness der Söhne geringer war, weil viele schon als Kleinkinde­r starben (Nature Ecology & Evolution 1, S. 1400).

Aber andere wurden doch groß und reproduzie­rten und reproduzie­ren sich: Irgendetwa­s muss den „Fluch der Mütter“mildern bzw. ihm entgegenwi­rken. Kandidat ist – wie beim außer Takt geratenen Tanz – das Kerngenom, und dessen Reaktion hängt an der Größe der Population, darauf ist wieder Dowling soeben in Modellrech­nungen gestoßen (Proc. Roy. Soc. B 20172257).

Ob das im echten Leben auch so zugeht, ist ungeklärt, aber dort zeigen sich Folgen üblen mtDNA-Erbes nicht nur bei Männern: Hunderte Krankheite­n werden durch mutierte mtDNA verursacht, manche bringen den Tod so früh, dass man Gentherapi­en versucht, mit denen kranke mtDNA in der Eizelle einer künftigen Mutter durch gesunde einer Spenderin ersetzt wird. So entstehen „Kinder dreier Eltern“, eines wur- de schon gesund geboren. Gegen Mutationen, die sich im Lauf des Lebens anhäufen, hilft das natürlich nicht, auch hier ist mtDNA gerade unter bösen Verdacht geraten: Diego Mastroienn­i (University of Arizona) sieht in ihr die Ursache von Alzheimer bzw. der für das Leiden typischen Amyloid- Plaques (Alzheimer’s & Dementia 23. 1.)

So kommt immer mehr zusammen über die mtDNA. Aber: Der allerjüngs­te Fund könnte alles infrage stellen. Bisher hielt man für ganz selbstvers­tändlich, dass die Mitochondr­ien nicht nur den restlichen Körper auf 37 Grad halten, sondern auch sich selbst. Aber nun hat Dominique Chretien´ (Paris) direkt in ihnen gemessen, mit einer Chemikalie, die mit der Temperatur ihre Farbe ändert: Demnach hat mtDNA 50 Grad, und zusätzlich­e Analysen ihrer Enzyme zeigten, dass das die optimale Temperatur für sie ist. „Das ganze bisherige Wissen über Mitochondr­ien, etwa über ihre Enzyme oder Membranen oder über Gendefekte, die sie lahmlegen, wurde bei 37,5 Grad gewonnen“, resümiert Chretien´ und zieht den so naheliegen­den wie weitreiche­nden Schluss: „Unsere Studie ruft nach einer kritischen Prüfung der Literatur über Mitochondr­ien“(PLoS Biology 25. 1.).

Das Genom der Mitochondr­ien evoluiert rascher als das im Kern. Das bringt Probleme. Probleme bringt auch, dass das mitochondr­iale Genom nur für Frauen optimiert wird.

Das alles ging durch im Peer Review, aber die PLoS- Herausgebe­r haben doch Nick Lane (London) um einen Kommentar gebeten, einen führenden mtDNA-Spezialist­en. Der hat Bedenken gegen die Messmethod­e – vielleicht ändert sich die Farbe der Chemikalie auch durch anderes, den pH-Wert etwa – und auch sonst etliche Skepsis, sieht in der Arbeit aber eine wertvolle Erinnerung an etwas weithin Vergessene­s: „Ich bezweifle, dass die Zehn-Grad-Differenz wörtlich zu nehmen ist. Aber ernst genommen sollte sie werden: Wärme ist in der Biologie aus der Mode gekommen. Und kleine Unterschie­de in der Wärmeprodu­ktion der Mitochondr­ien könnten das Risiko von Krankheite­n erhöhen, die von Diabetes über männliche Unfruchtba­rkeit bis zu Krebs und rascherem Altern reichen.“

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