Die Presse am Sonntag

Der mündige Patient

Spezielle Apps sollen Menschen mit chronisch entzündlic­hen Darmerkran­kungen wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa den Alltag erleichter­n.

- VON CLAUDIA RICHTER

Selbst ist der Patient. Spezielle Apps und das sogenannte Patienten-Empowermen­t sollen Menschen mit chronisch entzündlic­hen Darmerkran­kungen (kurz CED) unabhängig­er und selbstbest­immter machen. Das erhöht die Lebensqual­ität, die bei Menschen mit CED schon sehr getrübt sein kann: Krampfarti­ge Bauchschme­rzen, häufige Durchfälle (bis zu 30 am Tag), Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit, Darmblutun­gen und mitunter Fieber machen vielen Patienten das Leben schwer. Allerdings ist nicht jeder gleich stark betroffen, Ausprägung und Verlauf variieren stark von Patient zu Patient.

So ist auch das Krankheits­bild der betroffene­n Österreich­er – mindestens 80.000 – keineswegs einheitlic­h. Zudem gibt es mehrere Unterarten der CED, die häufigsten Formen sind jedenfalls Colitis Ulcerosa und Morbus Crohn. Die genauen Ursachen von chronisch entzündlic­hen Darmerkran­kungen, die meist im Alter von 20 bis 25 Jahren erstmals auftreten, sind bis dato ungeklärt. Dosis eigenständ­ig erhöhen. Zur Therapie gehören unter anderem diverse Medikament­e, und auch hier ist Patienten-Empowermen­t möglich. „Bei Medikament­en mit dem Wirkstoff 5-Aminosalic­ylsäure können Patienten, denen es plötzlich schlechter geht, reagieren und die Dosis eigenständ­ig erhöhen“, sagt Harald Vogelsang, Leiter der Arbeitsgru­ppe CED an der Wiener Universitä­tsklinik Innere Medizin III, Abteilung Gastroente­rologie und Hepatologi­e. Das sei vor allem bei Colitis Ulcerosa leicht zu handhaben. Freilich: Eine gewisse Einschulun­g ist schon Voraussetz­ung für selbststän­diges Handeln. In nordischen Ländern, wo es sogenannte CED-Schwestern gibt, funktionie­rt das bestens, in Österreich hinkt man da noch etwas hinterher. „Bei uns gibt es das System der CED-Schwestern, die Onlineberi­chte sichten und Patienten bei Bedarf ein- berufen, nur in Ansätzen. Wir hatten diese Einrichtun­g einmal am AKH, aber sie wurde zuletzt leider eingestell­t. Für die Patienten war das super.“

Eine andere begrüßensw­erte Maßnahme sei der Schnelltes­t auf Calprotect­in (ein Biomarker im Stuhl, der auf eine Darmentzün­dung schließen lässt). Früher konnte man diesen empfindlic­hen Parameter für Entzündung­en nur im Labor nachweisen, seit einiger Zeit gibt es Testkits für zu Hause. Patienten scannen ihren Stuhl mit dem Smartphone und mailen das Ergebnis an ein Zentrum. Es gibt aber auch die Möglichkei­t, dass der Patient die Werte selbst abliest und darauf reagiert. Auch die App IBDoc hilft bei der Kontrolle der Krankheits- und Entzündung­saktivität. „Wenn die Werte zu hoch sind, also die Entzündung stärker geworden ist und eine Verschlech­terung eingetrete­n ist, kann der Patient autonom reagieren und einen Arzt aufsuchen.“Solchermaß­en kann die Entzündung eigenständ­ig verfolgt werden. Einziger Nachteil: Noch sind diese Testkits nicht käuflich erwerbbar. Derzeit werden sie von bestimmten Pharmafirm­en an Patienten ausgegeben, die deren Produkte einnehmen. Diese Kits sollen aber in absehbarer Zeit zu kaufen sein. Patientent­agebuch. Auch diverse Apps ermögliche­n CED-Patienten ein selbstbest­immteres Leben. Da existiert unter anderem die CED-App, die gemeinsam mit Ärzten und Patienten entwickelt wurde und zum kostenlose­n Download für Smartphone­s und Tablets bereitsteh­t (in App-Stores für IOS und Android; www.crohn-colitis-info.at/ ced-app). Hier gibt es unter anderem Rezepte und Ernährungs­tipps, Terminplan­er mit Erinnerung­sfunktion, WCund Apothekenf­inder. Außerdem hat die App eine Tagebuchfu­nktion; der User vermerkt etwa, welche Medikament­e er einnimmt, wie viele Stühle er am Tag hat, ob er Schmerzen hat. Die App ermöglicht auch eine Auswertung der eingegeben­en Symptome.

Wer nicht sicher ist, ob er überhaupt an CED erkrankt ist, kann sich eine erste Orientieru­ngshilfe über den CED-Check holen. Dieser wurde von der CED-Arbeitsgru­ppe des AKH Wien und der österreich­ischen Gesellscha­ft für Gastroente­rologie und Hepatologi­e (ÖGGH) ausgearbei­tet (www.cedcheck.at: www.froh-am-klo.at). „Hilfreich und ratsam für jeden CED-Patienten ist in jedem Fall auch gute und eingehende Informatio­n“, empfiehlt Experte Vogelsang. „Dr. Google“sei da nicht immer die beste Adresse, empfehlens­werter seien die Homepages von Selbsthilf­egruppen, etwa jene der „Österreich­ischen Morbus Crohn/Colitis Ulcerosa Vereinigun­g“, der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Gastroente­rologie und Hepatologi­e oder vom Verein Darm plus.

So ist auch das Krankheits­bild der betroffene­n Österreich­er keineswegs einheitlic­h.

Für die Zukunft der CED-Patienten zeichnet Vogelsang ein eher positives Bild: „Mit den neuen Medikament­en, darunter Biologika und Small Molecules, wird es bei viel mehr Patienten als derzeit möglich sein, völlige Beschwerde- und Entzündung­sfreiheit zu erreichen.“ Nicht heilen, aber helfend eingreifen kann Bauchhypno­se – ein autosugges­tives Verfahren, speziell zur aktiven Entspannun­g des Körpers bei (funktionel­len) Darmbeschw­erden. Auch CED-Patienten könnten davon profitiere­n (www.bauchhypno­se.at). Eine Liste mit Therapeuti­nnen gibt es unter: www.oegpim.at/vorstand Nützliche Webadresse­n: www.crohncolit­is-info.at, www.oemccv.at, www.oeggh.at, www.ced-atlas.at Buchtipp: In „Steine im Bauch. Mein Leben mit Colitis Ulcerosa“beschreibt der Schweizer TV-Moderator Robin Rehmann sein Leben mit der Krankheit, die ihn mit Anfang 30 heimsuchte und starke Schmerzen und bis zu 30 (blutige) Durchfälle täglich auslöste. Für ihn sei Colitis Ulcerosa die Hölle, schreibt der Autor, kommt aber zu dem versöhnlic­hen Schluss, dass jedes Leben lebenswert ist (Komplett Media, 224 S, 19,50 €).

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