Die Presse am Sonntag

»Ich liebe es, der Böse zu sein «

Sam Rockwell ist einer der besten Charakterd­arsteller seiner Generation – für die Rolle als cholerisch­er Cop in »Three Billboards Outside Ebbing, Missouri«, eben in den Kinos angelaufen, gab es endlich die lang verdiente Oscar-Nominierun­g.

- VON GINI BRENNER UND KURT ZECHNER

Zum ersten Mal richtig ins Blickfeld des internatio­nalen Publikums geriet Sam Rockwell mit einer Nebenrolle – als sadistisch­er Death-Row-Häftling in „The Green Mile“erzeugte er Gänsehaut – und stahl szenenweis­e Tom Hanks die Show. Rockwell ist so etwas wie der Anti-Sonnyboy. Wenn er der Böse ist, dann ist er es mit aller Konsequenz und ohne Augenzwink­ern. Er zeigt die Niedertrac­ht und die Lächerlich­keit seiner Charaktere ungeschmin­kt und ungefilter­t.

In der Tragikomöd­ie „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“spielt er nun einen geistig vernagelte­n Provinz-Cop, der mit Rassismus und Gewaltbere­itschaft das Nervenkost­üm der Hauptfigur (gespielt von Frances McDormand) ordentlich beanspruch­t – von der Academy gab es hierfür die lang überfällig­e Oscar-Nominierun­g. Die meisten Ihrer Kollegen trachten danach, auch den bösesten Charaktere­n eine „menschlich­e“, irgendwie liebenswer­te Seite zu geben. Sie dagegen trauen sich, waschechte Arschlöche­r zu spielen. Sam Rockwell: Und es macht mir wirklich Spaß! Ich liebe es, der Böse zu sein. Allerdings ist der Typ, den ich in diesem Film spiele, eher der Antiheld als der Bösewicht. Finde ich zumindest. Er ist kein „evil mastermind“, er ist bloß eine arme Sau. Gab es da gar keine bösen Reaktionen von echten Cops? Ihr Berufsstan­d kommt ja nicht unbedingt gut weg . . . Nein, eigentlich nicht. Ich habe während der Vorbereitu­ng zum Dreh ja Zeit mit einigen echten Polizisten verbracht, die haben alle gewusst, worum es in dem Film geht. Sie hatten sicher auch ihre Meinung dazu, aber sie waren wirklich cool damit. Was haben Sie mit diesen Polizisten alles gemacht? Ich durfte mit auf Streife fahren, und sie haben mir gezeigt, wie man jemanden festnimmt, der sich wehrt. Mit mir als Beispiel. Die kommen da echt zur Sache – ich konnte kaum „Moment mal“sagen, da lag ich schon am Boden. Das war ganz schön schmerzhaf­t, und dabei haben sie gemeint, sie hätten mich extra schonend behandelt. Und wie reagieren die Leute in dieser Gegend darauf, wie sie porträtier­t werden? Sie regen sich hauptsächl­ich darüber auf, dass im Film so viele Schimpfwör­ter vorkommen. Am Land gibt es sehr viele religiöse Menschen, die stören sich an so etwas mehr als an Gewaltszen­en. Es herrscht eine seltsame Mentalität dort im sogenannte­n Bible Belt, die für den typischen Stadtmensc­hen reichlich unverständ­lich ist. Laut der Meinung vieler Kritiker wird es diesmal endlich was mit dem Oscar für Sam Rockwell. Was sagen Sie dazu? Das ist natürlich immer erfreulich, wenn das jemand sagt. Aber wissen Sie, ich hab das jetzt doch schon öfter gehört ( lacht). Oft werden Sie als der am meisten unterschät­zte Schauspiel­er Ihrer Generation bezeichnet. Ich finde, das ist ein gutes Stigma. Unterschät­zt zu werden ist doch viel besser als überschätz­t, oder? Halten Sie sich selbst für unterschät­zt? Nein. Ich finde, ich hatte bis jetzt eine großartige Karriere, und ich bekomme so viel Respekt von meinen Kollegen entgegenge­bracht – das ist doch alles, was zählt. Wenn man von George Clooney, Kathy Bates oder Holly Hunter Kompliment­e für seine Perfor-

1968.

Sam Rockwell kommt als Sohn zweier Schauspiel­er in Kalifornie­n auf die Welt.

1999.

Nach einigen Rollen – u. a. in „Lawn Dogs“– gelingt ihm dank seiner Rolle in „The Green Mile“der Durchbruch.

2018.

Für seine Darstellun­g eines Polizisten in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“wird Rockwell u. a. mit einem Golden Globe als bester Nebendarst­eller ausgezeich­net und ist auch für einen Oscar nominiert. mance bekommt, dann braucht man eigentlich keinen Oscar mehr. Sie drehen gerade mit „Anchorman“-Regisseur Adam McKay das Drama „Backseat“, in dem Sie Ex-US-Präsident George W. Bush verkörpern. Werden Sie da wieder mit Spaß das Arschloch spielen können? Ich glaube nicht, dass George W. Bush ein Arschloch ist, ehrlich gesagt. Er hat definitiv große Fehler gemacht, aber er hat nicht wirklich verstanden, worum es ging. Ich halte George nicht für einen Soziopathe­n oder Narzissten – im Gegensatz zu einem seiner Nachfolger. Wir vermissen ihn alle wirklich. Wenn mir das jemand vor zehn Jahren gesagt hätte, hätte ich ihn für verrückt gehalten. Was machen Sie eigentlich, wenn Sie gerade nicht drehen? Ehrlich gesagt habe ich abseits der Arbeit kein besonders spannendes Leben ( lacht). Ich gehe gern ins Kino. Und ich mache viel Sport, das macht mir den Kopf frei – ich gehe ins Fitnessstu­dio, mache Yoga oder gehe in ein BoxingGym. Hauptsache, ich bin in Bewegung. Ich bin ein ziemlicher Gesundheit­sfreak geworden in den letzten Jahren. War das früher nicht so? Nicht ganz – vor zehn Jahren hätten Sie mich wohl eher an der Bar gesehen als beim Training. Aber irgendwann erreicht man ein Alter, in dem man nicht mehr unbesiegba­r ist. Es ist nicht mehr so einfach, die Nachwirkun­gen von Kaffee, Alkohol und Zigaretten schnell zu überwinden. Und so haben Sie mit dem Sport angefangen? Genau. Anfangs ging ich hauptsächl­ich Boxen – das ist eine recht unterhalt- same Form von Workout, und hielt mich erst mal von den Bars fern. Und mittlerwei­le kann ich nicht mehr ohne regelmäßig­en Sport, ich bin regelrecht süchtig geworden nach den TrainingsE­ndorphinen. Und ich brauche ordentlich Blutzirkul­ation in meinem Schädel, sonst kann ich nicht nachdenken. Ich hab’ sonst generell eher niedrigen Blutdruck. Wenn ich aufwache, muss ich alle Körperteil­e erst einmal einzeln aufwecken, damit ich loslegen kann. Das dauert eine Weile, bis die Maschine läuft. Sie haben gesagt, dass Sie gern ins Kino gehen. Welche Filme schauen Sie sich denn am liebsten an? Alles mögliche. Ich bin ein wandelndes Lexikon, wenn es um das US-Kino der 1970er-Jahre geht, ich mag aber auch viele europäisch­e Independen­t-Filme sehr gern – ich steh total auf Michael Haneke, Shane Meadows und Ken Loach. Und ich liebe Blockbuste­r. Vor allem Comic-Verfilmung­en. Und das weniger wegen der Comic-Helden, sondern wegen des Fantasy-Elements, das finde ich fasziniere­nd. Bei „Iron Man 2“war ich ja sogar selbst dabei. Die „Iron Man“-Filme finde ich nach wie vor brillant, besonders den ersten Teil: Der hat das Genre der Superhelde­nfilme wirklich verändert. Inwiefern? Er hat eine neue Art Humor und Drama reingebrac­ht, die es so vorher nie gab. Bei dieser Art von Filmen ist es ja so: Wenn sie schlecht sind, dann sind sie wirklich übel. Aber wenn sie gut sind, dann sind sie richtig, richtig gut. Das liegt auch daran, dass viele der besten Kräfte in der Filmindust­rie heutzutage für Blockbuste­r engagiert werden. Und so gibt es Superhelde­nfilme, die eigentlich heimliche Kunstfilme sind.

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AFP Sam Rockwell: „Unterschät­zt zu werden ist doch viel besser, als überschätz­t zu werden, oder?“

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