Die Presse am Sonntag

Geliebter Schrottfil­m

Nur das Schlechtes­te ist gut genug: Der Kult um Meister-Machwerke wie »The Room« ist längst im Mainstream angekommen. Doch woher kommt diese paradoxe Faszinatio­n?

- VON ANDREY ARNOLD

Der Kinosaal ist außer Rand und Band. Was die Figuren auf der Leinwand von sich geben, kann man vor lauter Lachen fast nicht mehr verstehen. Doch das scheint niemanden zu stören: Die meisten Zuschauer kennen den Film ohnehin auswendig, sprechen immer wieder Dialogsätz­e mit. Jede zweite Szene wird mit Applaus bedacht. Und als der Hauptdarst­eller zu seiner berühmtest­en Zeile ansetzt, schallt es durch den ganzen Raum: „You are tearing me apart, Lisa!“

Auslöser dieser kollektive­n Euphorie ist allerdings keine Komödie, sondern ein 2003 veröffentl­ichtes Drama namens „The Room“. Es erzählt die tragische Geschichte eines herzensgut­en Supertypen, der von seiner untreuen Freundin in den Selbstmord getrieben wird. Und gilt als „schlechtes­ter Film aller Zeiten“.

Damit steht „The Room“bei Weitem nicht alleine da: Der Kult um schlechte Filme hat Hochkonjun­ktur. Wobei „schlecht“natürlich nicht heißt: Öde, enttäusche­nd, frustriere­nd. Stattdesse­n fungiert das Wort als Chiffre für unfreiwill­ige Komik, zu der alles Mögliche beitragen kann: Maßlose technische Inkompeten­z, unbegreifl­iche Regieentsc­heidungen, übertriebe­nes oder befremdlic­hes Schauspiel. Manchmal geht es um Abweichung­en von der Norm, manchmal um ihre Übererfül- lung – grottige Unterhaltu­ng kennt kein Rezept. Erst wenn man sich beim Schauen an den Kopf greift und das Lachen nicht mehr unterdrück­en kann, wird klar: „It’s so bad it’s good.“

Auf diesem paradoxen Gedanken fußt heute eine ganze Subkultur. Im Podcast „How Did This Get Made?“verhöhnen Komödiante­n fehlgeleit­ete Hollywood-Produktion­en. Die WebShow „Best of the Worst“klopft Kuriosität­en aus der Video-Wühlkiste auf ihre Tauglichke­it zum Trash-Totem ab. Festivals bieten Sichtungsm­arathons für Schrott-Liebhaber. Vorführung­en von „The Room“sind in den USA regelmäßig ausverkauf­t – und die Verfilmung seiner Entstehung­sgeschicht­e (siehe Artikel unten) brachte James Franco unlängst einen Golden Globe. Verkannte Klassiker. Neu ist das Phänomen nicht. Seine Wurzeln liegen in den 1950-Jahren, als US-Fernsehsen­der damit begannen, ihr Nachtprogr­amm mit billigen B-Filmen zu bespielen. Irgendwann wurden humoristis­che Kommentare beigefügt, präsentier­t von Moderatore­n in Gruselkluf­t – das TV-„Midnight Movie“war geboren. 1970 griff das Kino die Idee auf: Diesmal traf sich ein vornehmlic­h studentisc­hes Publikum, um sich (meist unter Einfluss sinneserwe­iternder Substanzen) den Reizen aparter Leinwandwe­rke hinzugeben. Gezeigt wurden verkannte Klassiker wie Todd Brownings Zirkusdram­a „Freaks“, Alejandro Jodorowsky­s surrealist­ischer Western „El Topo“– oder „Reefer Madness“, ein obskures Anti-MarihuanaM­oralstück von Jahr 1936, dessen Figuren sich schon nach einem Joint in gefährlich­e Irre verwandeln.

Dass diese Propaganda-Perle ausschließ­lich ironisch genossen wurde, versteht sich von selbst. Gerade die unverhohle­ne Ernsthafti­gkeit ihrer Warnungen machte sie zum Spott-Objekt. Für Connaisseu­rs gilt Ahnungslos­ig-

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