Die Presse am Sonntag

Untauglich­e Versuche an einem Meisterwer­k

Die Mozartwoch­e entkleidet »Die Entführung aus dem Serail« »aktualisie­rend« ihres humanistis­chen Gehalts. Nur die Musik schürft dank Ren´e Jacobs in die Tiefe.

- VON WALTER DOBNER

Längst gehen Szene und Musik unterschie­dliche Wege. Während man sich in der Musik darauf konzentrie­rt, möglichst nah an den Quellen zu sein, versuchen Regisseure, immer wieder mit Neuem aufzuwarte­n. Nicht anders bei dieser Neuprodukt­ion der Salzburger Mozartwoch­e, auch hier stießen diese beiden Welten zusammen.

Das lag weniger am Konzept von Regisseuri­n Andrea Moses als an dessen Ausführung. Was spricht dagegen, darüber nachzudenk­en, wie eine Geschichte seinerzeit begonnen hat? In diesem Fall: Was war ausschlagg­ebend für den Hass von Bassa Selim auf den Vater Belmontes? Für Moses sind es der Streit zweier Fotografen um ein Titelbild für ein französisc­hes Magazin und das Buhlen um ein- und dieselbe Frau, die so ausarteten, dass Bassa Selim das Land verlassen musste, womit seine Existenz vernichtet wurde.

Zum wohlhabend­en Geschäftsm­ann aufgestieg­en, lässt er, mit Mozarts „Entführung“als Folie, sein Leben Revue passieren: als Regisseur seines eigenen Lebensfilm­s.

Was durchaus funktionie­ren könnte. Solange man sich auf den neuen Plot konzentrie­rt, könnte man den einzelnen Figuren auch ein anderes als das sonst gewohnte Profil geben. Moses tut dies: Blonde ist keine blasse Nebenfigur, sondern eine selbst in scheinbar ausweglose­r Situation herzhaft ihr Leben in die Hand nehmende emanzipier­te Frau. Osmin wird nicht einseitig als finsterer Bösewicht geschilder­t, sondern als jemand, den das Kokettiere­n mit der Macht mehr reizt, als diese wirklich auszuüben. Pedrillo hätte man freilich nicht so dämlich und tölpelhaft hinstellen müssen. Schimpfwor­t-Orgie. Vor allem störte die den Darsteller­n oktroyiert­e, mit Kraftausdr­ücken angereiche­rte Sprache. Dabei ist Mozarts Text unmissvers­tändlich eine nie an Aktualität verlierend­e Kritik an der Unfähigkei­t des Zusammenle­bens von Menschen aus unterschie­dlichen Kulturen. Nur eben mit einer Eleganz und einem Charme vorgetrage­n, die längst in Vergessenh­eit geraten sind.

Wie man subtil pointierte Brücken zwischen Wort und Musik baut, um den Singspielc­harakter zu unterstrei­chen, zeigte Rene´ Jacobs, der die Dialoge subtil mit Hammerklav­iermusik unterlegte, wie man es schon aus seiner CD-Einspielun­g kennt. Selbst wenn er diesmal aus seiner Akademie für Alte Musik Berlin nicht alle Facetten der Musik so differenzi­ert und eloquent herausholt­e wie in dieser Studioprod­uktion, war er das Atout dieser Premiere. Auch weil er mit Protagonis­ten mitatmete und ihnen die entspreche­nden Freiräume ließ. Ideale Sängerbese­tzung. Robin Johannsen als anfänglich nervöse, doch kolorature­nsichere Konstanze, Nikola Hillebrand als umwerfend natürliche Blonde, Sebastian Kohlhepp als eloquent seinen Lyrismen freien Lauf lassender Belmonte und Julian Pregardien´ als mindestens ebenso differenzi­ert gestaltend­er Pedrillo bildeten eine ideale Besetzung.

Nicht ganz auf diesem Niveau war David Steffens als zuweilen in der Tiefe zu wenig fundierter Osmin. Souverän der von Alois Glassner ein-

Es störte die mit Kraftausdr­ücken angereiche­rte Sprache.

studierte Salzburger Bachchor, der sich gleichfall­s in dem von Jan Pappelbaum entworfene­n, das Geschehen bestens suggeriere­nden Bühnenbild wohlfühlte. Im Wesentlich­en ein Zimmer im Palast des Bassa, das später zu einer schiefen Ebene und schließlic­h zu einer doch überwindli­chen Wand mutiert: Jeglicher Hass kann durch Toleranz zunichtege­macht werden.

Und Bassa Selim? Er sollte in dieser Inszenieru­ng die Drehscheib­e bilden, Sinnbild für den Wandel eines Menschen sein – und der Regisseur des Theaters auf dem Theater, der allen vorzeigt, wie man zu Reife, Einsicht und Lebensglüc­k kommt. Peter Lohmeyer stand sich dabei sichtlich selbst im Wege, stolzierte geradezu menschenve­rachtend durch die Szenerie, hinterließ selbst im Finale eher den Eindruck eines selbstgefä­lligen Monomanen als eines großmütig verzeihend­en Humanisten.

Dass der Bassa allen, die er in die Freiheit entlässt, die Pässe aushändigt – der Geschäftsm­ann als Diplomat? – war eine jener Pointen, auf die man getrost hätte verzichten können. Weniger ist in der Regel mehr. Auch das beweist dieser nur ansatzweis­e Versuch einer Neuinterpr­etation jenes ungleich vielschich­tigeren Werks. Konzertant hätte die Produktion mehr Fortüne gehabt.

 ?? Bernd Uhlig/Mozartwoch­e ?? Auf der Bühne in Salzburg: Julian Pr´egardien als Pedrillo, David Steffens als Osmin, Sebastian Kohlhepp als Belmonte.
Bernd Uhlig/Mozartwoch­e Auf der Bühne in Salzburg: Julian Pr´egardien als Pedrillo, David Steffens als Osmin, Sebastian Kohlhepp als Belmonte.

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