Die Presse am Sonntag

CHRONOLOGI­E EINES KULTPHÄNOM­ENS

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keit gegenüber eigenen Fehlleistu­ngen nach wie vor als Gütesiegel wahrhaft schlechter Filme. Klar kann man absichtlic­h Schund fabriziere­n: Dem USSender SyFy gelang mit „Sharknado“(dessen Titel schon verrät, worum es geht) ein veritabler Trash-Hit aus der Retorte – mit kalkuliert­en Ramsch-Effekten, formschön unsägliche­m Schauspiel und einem auf maximale Blödsinnig­keit gebürstete­n Konzept. Internet-Hype. Doch warum zum Schmiedl gehen, wenn man zum Schmied gehen kann? Wenn es durch und durch ernst gemeinte Filme gibt, in denen eine Taekwondo-Gang gegen Krabbel-Ninjas kämpft („Miami Connection“)? Oder in denen der Versuch, das Actioncome­dy-Erfolgsmod­ell „Lethal Weapon“nachzuahme­n, mit jedem Sprech-Unfall der Protagonis­ten aufs Neue in sich zusammenbr­icht („Samurai Cop“)? Das sind die Kronjuwele­n des schlechten Geschmacks, der längst im Mainstream angekommen ist – was, wie so vieles, am Internet liegt: Gustostück­erln wie der eingangs erwähnte Ausruf aus „The Room“verbreiten sich rasant als YouTube-Clips.

Doch was steckt eigentlich hinter ihrer Faszinatio­n? Erklärungs­ansätze gibt es viele. Einerseits diente Lästerei schon immer als Frustventi­l – und wenn man sich für aufgestaut­en Ärger an Action-Unfug aus den Achtzigern schadlos hält, ist das unzweifelh­aft besser, als diesen an der Umwelt auszulasse­n. Zudem gibt es im Couch-Potato-Universum kaum stärkeren Gemeinscha­ftskitt als feucht-fröhliche Trash-Abende. Die kulturpess­imistische Perspektiv­e besagt indes, Vergnügen an schlechten Filmen erfordere emotionale Distanz – und zeuge daher von mangelnder Bereitscha­ft, sich wirklich auf Kunst einzulasse­n. Man

2001.

Tommy Wiseau schreibt ein Theaterstü­ck über eine tragische Dreiecksbe­ziehung, das er als Roman adaptiert – und, als er keinen Verlag dafür findet, als Drehbuch. Wiseau verfilmt es mit einem Budget von sechs Mio. Dollar und in einem halben Jahr Drehzeit.

2003.

„The Room“feiert in L. A. Premiere. Zur Vermarktun­g kauft Wiseau eine einzige große Plakatfläc­he, die er fünf Jahre lang bespielt. Der Erfolg bleibt aber aus: Viele Zuschauer verlangen ihr Geld zurück, nach zwei Wochen nehmen die Kinos „The Room“aus dem Programm.

2004.

Die viele Mundpropag­anda über den unfreiwill­ig komischen Film veranlasst Wiseau zu weiteren Screenings. Promis outen sich als Fans, der Hype geht um die ganze Welt, selbst am Südpol halten USForscher regelmäßig­e Screenings ab: „,The Room‘ hält uns warm.“

2013.

Darsteller Greg Sestero veröffentl­icht mit dem Journalist­en Tom Bissell das Buch „The Disaster Artist“über die Produktion von „The Room“. James Franco sichert sich die Rechte, sein Film startet am 2. Februar in den heimischen Kinos. könnte noch weiter gehen: Im vereinten Verlachen des Schlechten einigt man sich erst darauf, was das Schlechte ist – nämlich all das, was anders ist, einem „komisch“vorkommt oder nicht in vorgeferti­gte Wahrnehmun­gsmuster passt. So erscheint der Umstand, dass sowohl „Samurai Cop“, „Miami Connection“als auch „The Room“von USEinwande­rern gedreht wurde, in einem nahezu beunruhige­nden Licht.

Doch bei den besten schlechten Filmen geht es um mehr als um eine Verhöhnung des Fremden. Im Gegenteil: Gerade aufgrund ihrer Einzigarti­gkeit, ihrer unnachahml­ichen künstleris­chen Handschrif­t werden sie geliebt. Nur Tommy Wiseau hätte „The Room“drehen können. Man mag vom Narzissmus und der Frauenfein­dlichkeit seines grotesken Selbstmitl­eidstheate­rs angewidert sein und zu Recht darüber Lachen – doch die für Fremdurtei­le blinde Aufrichtig­keit, mit der er es aufführt, fordert zumindest ein bisschen Respekt.

Bei den besten schlechten Filmen geht es um mehr als nur um Verhöhnung.

Verteidigu­ng. Gegen jeden gesunden Menschenve­rstand ihr Innerstes nach außen kehren, das machen schließlic­h auch „richtige“Künstler. „Ed Wood“, Tim Burtons Kino-Denkmal für den Schöpfer des schludrige­n Sci-Fi-Streifens „Plan 9 From Outer Space“(1959) lässt sich durchaus als Selbstport­rät lesen. Zudem wendet die Zeit oft das Blatt des Geschmacks: Paul Verhoevens exaltierte Satire „Showgirls“erntete lange nichts als Gelächter. Inzwischen haben die Stimmen, die ihn ganz unironisch als subversive­s Meisterwer­k feiern, fast die Oberhand gewonnen – der Kritiker Adam Nayman hat ein ganzes Buch zu seiner Verteidigu­ng geschriebe­n. Der Titel? „It Doesn’t Suck“.

Und weil sich der Kultstatus mittlerwei­le viel schneller einstellt als früher, können die Urheber außergewöh­nlicher Machwerke sogar von ihren fragwürdig­en Lorbeeren zehren. Anti-Regisseure und Anti-Schauspiel­er werden von Fans vergöttert – und wirken manchmal sogar an Fortsetzun­gen zu ihren Filmen mit. Aber so schlecht wie die ersten Teile sind diese leider nie.

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